Interview mit Dr. Georg Kremer von Kremer Pigmente

19.11.2022
Lea Kämpf

Dr. Georg Kremer, Gründer von Kremer Pigmente, stand Lea Kämpf (Kunst- und Künstler:innenbetreuung bei art24) Rede und Antwort auf ihre kunstspezifischen Fragen. Im Interview spricht er über die enge Zusammenarbeit mit Künstler:innen, über hergestellte Pigmente aus Gletschergestein, aus Purpurschnecken oder aus alten Kleidungsstücken. Erfahrt, warum Kobaltblau teurer als Ultramarinblau ist, welches Pigment das Unternehmen im neuen Jahr 2023 nicht mehr anbieten darf und wie die Herstellung eines Regenbogen-Pigments aussehen könnte. Lest über das Anfrage- und Herstellungsverfahren von Pigmenten, wie Kremer Pigmente die Nachhaltigkeit im Betrieb gewährleistet, welche ethischen Grundlagen sie verfolgen und woran sie gerade arbeiten. 

Portrait Kremer Pigmente 

Mit einem verloren gegangenen Blaupigment begann die einzigartige Geschichte des Unternehmens «Kremer Pigmente». Als der Chemiker Dr. Georg Kremer eine Anfrage eines Restaurators nach dem bestimmten «Smalte»-Pigment erhielt, das 1970 nicht mehr käuflich war, setzte er sich daran, entsprechendes Blaupigment im eigenen Labor und nach traditioneller Rezeptur selbst herzustellen. Die ersten Steine für das Familienunternehmen waren gelegt. Heute führt es erfolgreich Geschäftsstellen in München, Deutschland sowie New York, USA und vertreibt von dort aus ihre Produkte weltweit. In der Farbmühle in Aichstetten im Allgäu werden noch heute über 100 der mehr als 1’500 angebotenen Pigmente von Hand hergestellt.  

Dr. Georg Kremer ©Kremer Pigmente 

 

Familie Kremer ©Kremer Pigmente 

 

Einleitung 

Als ausgebildete Gemälderestauratorin lernte ich schon früh den Namen «Kremer Pigmente» kennen. Öffnete man die schwere Tür des Gemälde- und Skulpturen-Ateliers an der Hochschule der Künste in Bern, Schweiz, begrüsste eine riesige Glasvitrine gefüllt mit farbigen Pigmenten, Farbmitteln und Bindemitteln in Gläsern und Behältern den/die Besucher:in.

 

Schrank mit Farbgläser ©Kremer Pigmente 

 

 Insbesondere für die restauratorische Massnahme des Retuschierens setzt man sich mit der Thematik der Farbverwendung eines:r Künstlers:in auseinander. Das Studium der Pigment-Geschichte, der historischen Herstellungsverfahren, z.B. von Oel- und Temperafarben, der chemischen Zusammensetzung und der charakteristischen Eigenschaften bestimmter Pigmente, ist unerlässlich, um das Gemälde in seiner (gealterten) Existenz verstehen und die Fehlstellen in der Farbschicht gezielt retuschieren zu können. Welche Pigmente und Füllstoffe verwendete der/die Künstler:in damals für seine farbige Grundierung oder für die Malfarbe? Wie kann ich mein Retuschemedium danach ausrichten? Anhand von Materialanalysen (z.B. FTIR- und Raman-Spektroskopie) lässt sich die Farbe in seinem Aufbau (Pigment, Füllstoff, Bindemittel) erkennen und identifizieren. Sie bildet die Basis für die Zusammensetzung der Kittung und Retusche. Die Pigmente und Füllstoffe stammten dabei in meinem Studium alle von «Kremer Pigmente».  

Die Freude und Begeisterung darüber, Kremer Pigmente selbst ein paar Fragen stellen zu können, war dementsprechend sehr gross.  

 

Farbmühle in Aichstetten ©Kremer Pigmente

 

Leider konnten wir für das Interview nicht vor Ort in der Farbmühle sein, freuen uns aber auf einen zukünftigen Besuch. Vielen Dank an Frau Bartenschlager für die Vermittlung der Fragen an Herr Dr. Georg Kremer und das Zuschicken der Fotos.  

 

Frage-Antwort-Runde 

 

LK: Sie stellen historische, teils vergessene Pigmente wieder her. Wie schwer ist es die teilweise alten, traditionellen Rezepturen ausfindig zu machen? Lassen Sie sich dabei von Kunsthistoriker:innen bzw. Kunstwissenschaftler:innen beraten? 

GK: Unsere Forschung in alten Rezeptsammlungen hat uns viel Wissen zur Herstellung historischer Pigmente vermittelt. Mit diesem Wissen und meiner Ausbildung als Chemiker konnten wir die Produktion in den vergangenen 40 Jahren immer weiter verbessern. Unsere Arbeit führt jedes Jahr zur Wiederentdeckung neuer historischer Pigmente. Von den Restaurator:innen bekommen wir die Nachricht: da gibt es ein unbekanntes Pigment. Durch chemische Untersuchungen können wir das neue Pigment verstehen und dann fängt unsere Arbeit der Wiederherstellung / Wiederbeschaffung an. 

 

LK: Welche Techniken kommen bei der Herstellung von historischen Pigmenten zur Anwendung?  

GK: Über 250 Pigmente werden heute in der Farbmühle nach alten Rezepten hergestellt. Rohstoffe aus aller Welt werden in aufwendiger Handarbeit zu feinen Pigmentpulvern gemahlen, gesiebt oder abgefiltert. Bei einigen Rohstoffen werden die großen Brocken von Hand vorzerkleinert und die Bruchstücke anschließend nach Qualität von Hand sortiert. Die guten Stücke werden dann zu Pigment aufgearbeitet. Färbepflanzen werden extrahiert und mit Alaun zu Pigmenten verarbeitet. Verschiedene Metallsalze werden bei hoher Temperatur in einer Festkörperreaktion zu blauen und gelben Pigmenten verarbeitet.

 

Kursraum und Atelier ©Kremer Pigmente 

 

LK: Sie kreieren auch eigene Farbtöne, unabhängig von schon bestehenden Rezepturen. Wie kann man sich diesen Kreationsprozess vorstellen? Entdecken Sie, vielleicht auch zufällig, ein spannendes Material und überlegen sich dann, wie man daraus ein Pigment herstellen könnte? Oder geschieht dies aus gezielten Auftragsanfragen?

GK: Die Wünsche unserer Kunden nach Materialien für die Restaurierung und für die modernste zeitgenössische künstlerische Malerei stellen große Ansprüche an unsere Produktentwicklung. Die Fragen unserer Kunden aus der ganzen Welt erfordern immer wieder gezielte Recherchen und darauf basierende Neuentwicklungen von Produkten. Innerhalb dieser Versuche entstanden auch schon neue Pigmente, welche wir dann in unser Sortiment aufgenommen haben. Die meisten von uns entwickelten Erdfarben entstanden aus Zufallsfunden. Wenn man mit wachen Augen durch die Welt reist, kann man die Unterschiede in den Gebirgen nicht übersehen.

 

Grüne Erde ©Kremer Pigmente 

 

LK: Wie lange dauert die Herstellungsentwicklung eines Pigments bis es die gewünschte Zusammensetzung bzw. (optischen) charakteristischen Eigenschaften aufweist?

GK: Zuerst muss der Farbton passen. Dann wird die Verarbeitbarkeit optimiert. Anschliessend werden die Lichtechtheit und die Beständigkeit in verschiedenen Bindemitteln geprüft. Der ganze Prozess kann leicht 2 bis 3 Jahre dauern.

 

LK: Für eine:n Restaurator:in ist die Alterungsbeständigkeit von grosser Wichtigkeit. Was ist für Sie bei der Herstellung der Pigmente wichtig bzw. welche Kriterien muss das Endprodukt erfüllen?

GK: Die wichtigste Eigenschaft eines Pigments ist für uns, dass der Kunde mit diesem Pigment einen Vorteil erhält. Der Vorteil kann ganz unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. Meist ist die «historische» Richtigkeit, also dass das Pigment in dieser Form früher benutzt wurde, das wichtigste Kriterium. Für Restaurator:innen sind meistens Farbton und Beständigkeit gleich wichtig. Bei Geigenbauern ist der historisch richtige Farbton aus dem historisch richtigen Pigment das wichtigste Kriterium, Lichtechtheit ist bei den meist im Geigenkasten aufbewahrten Instrumenten weniger bedeutsam. Wir hatten auch schon Anfragen von Künstlern, die für eine Installation oder eine Aktion ein schnell verbleichendes Pigment wünschten.

 

LK: Sie nehmen auch Spezialaufträge bzw. Anfragen für die Herstellung besonders individueller Pigmente an. So stellte Ihr Unternehmen beispielsweise Pigmente aus Gletschergestein für den Künstler Peter Lang her. Das heisst, Sie arbeiten auch direkt mit Künstler:innen zusammen. Kommen diese Resultate solcher Auftragsabreiten dann auch in den allgemeinen Handel?  

GK: Unsere Kunden sind häufig Künstler:innen. Diese suchen oft nach neuen Formen von Schönheit. Manchmal finden Künstler:innen etwas sehr Schönes in der Natur, und dann möchten Sie dieses auch in ihrer Arbeit verwenden. Wenn der Rohstoff in ausreichender Menge verfügbar ist, dann machen wir manchmal daraus ein Produkt für alle. Aus den Steinen für die besonderen Farben für Peter Lang konnten wir – mit seiner Unterstützung - das Islandfarben Set für alle Kunden herstellen.

 

LK: Für den Künstler Tobias Rehberger stellten Sie ein Pigment aus seinen Kleidungsstücken her. Man kann davon ausgehen, dass dieses speziell nur für ihn auf den Markt kam. Welches war für Sie die bisher verrückteste Anfrage?

GK: Wir arbeiten gerne an der Realisierung von schwierigen Fragestellungen. Und, eigentlich hatten wir noch keine wirklich verrückten Anforderungen. Oder anders ausgedrückt, wir konnten eigentlich alle Wünsche realisieren. Ein Kunde wünschte sich z.B. ein Sortiment von nie trocknenden Ölfarben – kein Problem für uns. Für Herrn Rehberger stellten wir aus seinem Rohmaterial ein Schwarzpigment her, die Ausbeute war schon für Ihn etwas knapp. Da konnten wir für andere Kunden kein Rehberger-Schwarz daraus machen. 

 

LK: Der echte Purpur wurde ursprünglich aus Purpurschnecken hergestellt. Gibt es Farbtöne, die Sie aus ökologischen, ethischen oder nachhaltigen Gründen einstellen mussten?  

GK: Für Kremer Pigmente ist Nachhaltigkeit und Ökologie ein schon immer da gewesenes Leitmotiv. Wir stellen unseren eigenen Strom mit einem Generator in unserem Wasserkraftwerk her. Bei der Verpackung unserer Produkte verwenden wir möglichst viel Glas, Papier und Metall. Leider lässt sich bis heute die Verwendung von Kunststoffen nur einschränken, nicht aber vermeiden.  

Die Herstellung und der Vertrieb von Materialien für die – im weitesten Sinne – Malerei ist für uns ethisch, wenn wir dem/der Kunden/Kundin genaue Auskunft zu dem Produkt geben. Das Produkt – ob Pigment oder Malmittel – ist als Rohstoff für die Malerei nicht ethisch beurteilbar, nur die Verwendung durch den/die Kunden/Kundin unterliegt der ethischen Beurteilung. 

Für die Herstellung von Purpur benötigen wir Purpurschnecken, welche wir von Fischmärkten in Italien, Spanien und Frankreich beziehen. Purpur ist in der Herstellung sehr zeitaufwendig und mühsam und wird von uns auch heute noch so wie vor vielen tausend Jahren aus Purpurschnecken hergestellt. Der Prozess ist schwierig und benötigt etwas Erfahrung. Nach dem Verfahren von Plinius kann mit Purpurschnecken auch ein Pigment, das Purpurissum hergestellt werden, wodurch ein für die Malerei geeignetes Pigment zugänglich wird. Purpur rein wird eigentlich nur für die Färberei verwendet.   

Unser Nachhaltigkeitsverständnis in der Produktion bedeutet für uns Herstellungsmethoden ohne den Verbrauch von fossilen Brennstoffen. Fossile Rohstoffe im engeren Sinn sind Stoffe wie Erdgas, Rohöl und Kohle. Der CO₂-Abdruck eines Pigments ist umso geringer, je weniger diese drei Rohstoffe für die Herstellung notwendig sind. Ungeachtet der Art der Energiegewinnung und der entsprechenden Transportaufwendungen ist ein natürliches Produkt, wie z. B. eine Farberde, stets klimaneutraler, als weiterverarbeitete Produkte, wie z. B. synthetisches Eisenoxid. Auch die Verwendung von angebauten, pflanzlichen Materialien, wie z. B. Indigo, ist nachhaltiger, als die Verwendung der gleichnamigen synthetischen Produkte (hier synthetischer Indigo). Von besonderer Bedeutung sind diese Überlegungen für die Auswahl von Bindemitteln.  

Für Bleiweiß gibt es ein Verwendungsverbot. Es darf in der EU nur für die Erhaltung und Wiederherstellung von denkmalgeschützten Kunstwerken eingesetzt werden.  

Alle Chromatpigmente sind in Wasser etwas löslich und dadurch giftig. In der Europäischen Union sind sie seit dem Jahr 2015 verboten. 

Aufgrund der neuesten Regulierung der Europäischen Union ist es uns leider nicht mehr möglich ab dem Jahr 2023 echtes Elfenbeinschwarz, das tiefste Schwarzpigment für die Malerei, anzubieten. 

 

LK: Und gibt es ein Pigment, welches Sie bisher noch nicht hergestellt haben, aber zukünftig unbedingt noch erzielen möchten? Was erwartet das Unternehmen in der Zukunft? Dürfen Sie uns da etwas verraten?   

GK: Aus den früher in ganz Europa angebauten Krappwurzeln kann man sehr schöne Krapplacke herstellen. Bisher stellen wir ein Sortiment von neun verschiedenen Krapplacken aus Krappwurzel mit Farbtönen von hellrosa bis dunkelbraun her. Im Moment arbeiten wir an der Verbesserung des Herstellungsverfahrens für ein farbstärkeres dunkelrotes Krapp-Pigment. Hoffentlich klappt das. 

 

Krapplack ©Kremer Pigmente 

 

LK: Neben Restaurator:innen zählen vor allem auch Künstler:innen selbst zu Ihrer Kundschaft. Sie würde interessieren, wie sich die unterschiedlichen Preisgruppen der Pigmente klassifizieren.  

GK: Unsere Pigmente werden hauptsächlich für nichtindustrielle Oberflächengestaltungen eingesetzt. Die Kundschaft sucht in unserem Sortiment für ihre Projekte die beste Qualität und die grösste Auswahl. Leider sind manche Produkte durch die schwierige Herstellung oder die teuren Ausgangsstoffe sehr teuer. Kobaltblau, ist ein Vielfaches teurer als Ultramarinblau. Dies kommt daher, dass in Kobaltblau Kobaltsalze verwendet werden und in Ultramarin Aluminiumverbindungen den Farbton geben. Kobalt ist sehr viel seltener als Aluminium, weshalb es viel teurer ist.

 

LK: Haben Sie selbst ein Lieblingspigment?

GK: In der Natur gibt es nur schöne Farben. Für eine bestimmte Gestaltung benötigt man eine Auswahl – aber es gibt so viele schöne Farben, dass ich bis heute nicht das EINE Lieblingspigment für mich auswählen konnte. Für jede Anwendung gibt es DAS schönste Farbpigment. 

 

LK: Für art24 wäre natürlich die Herstellung eines Regenbogen-Pigments aufgrund des Farbverlaufes in unserem Firmen-Logo spannend. Meinen Sie, eine solche Pigmentherstellung wäre möglich? Hätten Sie eine Idee, wie sich diese gestalten liesse? 

GK: Der Regenbogen entsteht aus kleinen Wassertropfen, welche in einem unterschiedlichen Winkel von Sonnenstrahlen getroffen werden. Um diesen Effekt nachzustellen müssen bei einem festen Betrachtungswinkel verschiedene Pigmente nebeneinander benutzt werden. COLORSTREAM® Perlglanzpigmente basieren auf synthetisch hergestellten, optimal planparallelen SiO2 (Siliziumdioxid) Plättchen, die mit Metalloxiden belegt werden. Die sehr dünnen und ebenen Pigmentplättchen ermöglichen außergewöhnliche winkelabhängige Interferenzeffekte. Wir bezeichnen diese Mehrfarbigkeiten als »MAGIC«. In sehr dünnen Schichten gegen einen dunklen Hintergrund, eventuell in Kombination mit anderen durchsichtigen Farbpigmenten – kommen die COLORSTREAM® Effektpigmente richtig zur Geltung, wie z.B. COLORSTREAM® T20-01 WNT Viola Fantasy, grün-violett, COLORSTREAM® T10-04 Lapis Sunlight, gold-grün bis dunkelblau oder COLORSTREAM® T10-02 ARCTIC FIRE, Magic Feuer, silber-grün-rot. Mit der richtigen Abfolge unserer farbigen Magic Pigmente könnte man einen ansprechenden Regenbogen gestalten.  

Wir werden einen solchen Regenbogen im Winter entwickeln. 

 

Pigmente im Atelier ©Kremer Pigmente 

 

Ich danke Kremer Pigmente für Ihre sofortige Bereitschaft zum Interview und Ihre Herzlichkeit.