«Im Herzen der Kunst»: ein Besuch im Atelier des Luzerner Künstlers Paul Louis Meier

31.12.2022
Martina Kral

Was sind das für Orte, wo Kunstwerke entstehen? Wo Ideen, Visionen, Entwürfe, Skizzen, erste Entwürfe still darauf warten, eines Tages verwirklicht zu werden? Wo fertige Arbeiten und Gerüche verschiedener Materialien den Räumen eine eigene Atmosphäre verleihen? Der Besuch solcher Kreativorte ist «Gänsehaut pur». Beim direkten Eintauchen-Dürfen in die Welt von Künstlerinnen und Künstlern werden Entstehungsprozesse und Aussagen verständlicher, offensichtlicher, klarer und Annäherungen erleichtert. Der Besuch bei Paul Louis Meier «im Herzen der Kunst» in seinem Luzerner Atelier offenbart dies einmal mehr.

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Einladend sind die überlebensgross aufragenden Bronzeplastiken im idyllisch-friedlichen Vorgarten. Wie Botschafterfiguren, die in stummen Dialogen zu Assoziationen anregen. Worüber «sprechen» sie? «Gehen» sie «aufeinander zu» und warum? Oder sind sie als Wächterfiguren zu verstehen, die den Eingang zum Atelier markieren, begrenzen, behüten? 

 

Im Inneren des hellen Ateliers wird die Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Menschen sicht- und spürbar. Überall. Der ganze Raum ist bevölkert. In Gipsmodellen unterschiedlicher Grössen oder als zu bearbeitende Tonfiguren in Plastikbahnen eingehüllt, damit sie nicht austrocknen. Als dreidimensionale oder «halbierte» Einzel- bzw. Paar- oder Gruppenfiguren auf kleinen oder hohen, runden, eckigen, u-förmigen Sockeln stehend, schreitend, liegend, in Kreis- oder Bogenformen eingebunden oder auf Kugeln montiert… der Mensch in all` seinen Facetten. Wie im richtigen Leben. Mal solo, mal in der Gruppe, mal im Dialog als Ich und Du oder als Ich und der/ die Andere, aber auch in zahlreichen Beispielen, bei denen sich das Gegenüber abwendet. 

Ein spannendes menschliches Panoptikum ist das, was sich auch im nächsten Scheunenraum mit grösseren Werken fortsetzt. Überwiegend (über-)lebensgrosse Gips- und Bronzefiguren, jede individuell geformt, ziehen in Bann, laden mit ihrem Schattenspiel zum genauen Betrachten ein oder fordern respektvollen Abstand. Jede einzelne von ihnen hat ihre individuelle Entstehungsgeschichte und jede einzelne von ihnen sendet unterschiedliche Assoziationen aus. Welche gefällt mir in diesem Moment, welche erst später? An was oder wen erinnern sie mich? Warum erscheinen mir einige eher unheimlich? Ein stummer Dialog zwischen ihnen und mir ist schon längst in Gang…

Paul Louis Meier ist ein genauer Beobachter. Einer, der seine menschliche Umwelt studiert, sie aufnimmt, interpretiert, in Skizzen, Entwürfen, Zeichnungen, schliesslich in der Plastik wiedergibt. In jeder und mit jeder Figur oder Figurengruppe werden Welten von Ich, Du und/ oder Wir widergespiegelt. Die Frage ist: Bleibt es beim Ich oder Du? Oder wird ein Werk zum (harmonischen) Wir mit verschiedenen Weltansichten? Es ist spannend von Werk zu Werk sehen zu können, wie der Künstler mit feinsten Abstufungen in Gestik, Körper- oder Kopfhaltung den Raum für Interpretationsmöglichkeiten erweitert.   

An den Wänden lehnen grossformatige Papiere mit menschlichen Silhouetten und gezeichneten Figuren. Auf einem Tisch gibt ein Blätterstapel mit flüssig skizzierten, zeichnerischen Ideen und Studien Einblicke in figürliche Kreationen oder Gedanken, die (eventuell) weiterentwickelt werden. Bis sie ausgereift als Zeichnung das dreidimensionale Kunstwerk ergänzen, dessen Raum erweitern oder es zeichnerisch spiegeln. Faszinierend, wie Paul Louis Meier die beiden Medien Zeichnung und Plastik zusammenführt, ihre Möglichkeiten im Dialog oder mehrteiligen Werk auslotet oder ausweitet. Etwa dann, wenn die direkt auf der starren, statischen Bronzefigur aufgetragene Zeichnung dem kühlen Metall eine vibrierende, lebendige Oberfläche gibt. Wo hört die Zeichnung auf, wo beginnt das dreidimensionale Objekt und umgekehrt? 

Und plötzlich wird auch klar, wie der Künstler auf verschiedene Arten Raum für die Figur schafft, ihn begrenzt oder ausdehnt. Zwischen Zeichnung und Objekt ebenso wie bei der Einbeziehung von Schattenwürfen oder der spannungsgeladenen Gegenüberstellung halbierter Figuren oder durch die Integration von Winkeln oder Wänden hinter respektive neben einer Figur, die damit bestimmt, von welcher Seite sie zu betrachten ist.

Auf diesem geführten, erlebnisreichen Rundgang mit vielen Entdeckungen und durch das wunderbare Gespräch mit Paul Louis Meier wird einmal mehr bewusst, dass ein Verstehen, ein Erkennen und Begreifen künstlerischer Prozesse Zeit brauchen. So wie künstlerische Prozesse auf ihre Art Zeit, Geduld und Raum sowie eine unterstützende Öffentlichkeit mit Ausstellungs- und Präsentationsmöglichkeiten im offline-/online-Bereich benötigen.

Cécile Fuchs (Fotos) und Martina Kral (Essay) danken Dir lieber Paul Louis Meier für den erkenntnisreichen Vormittag in Deinem Atelier.