Kunstbegegnung: Werner Häberling – Ein Zürcher Künstler und Meister des fantastischen Realismus

28.08.2023
Richard Grebien

Taucht ein in die geheimnisvolle Traumwelt des Schweizer Künstlers und lasst Euch von den Emotionen und Gedanken beim näheren Betrachten von zwei seiner Kunstwerke mitreißen. 

Anmerkung: Das Foto des Künstlers im Titelbild des Blogs stellt eine besondere Rarität dar. Denn der Schweizer Maler liess sich nur ungern fotografieren. Es zeigt ihn bei einer seiner Vernissagen. 

 

Bild 1 Werner Häberling, Das Boot, 76x100 cm

 

Auf dem Gemälde «Das Boot» von 1992 sieht man Wasser, ein Boot mit zwei Personen und eine Insel. Eigentlich etwas Alltägliches, das auf den meisten Gewässern gesehen werden kann. Im Detail betrachtet jedoch, fallen dann einige Sachen auf. Das Wasser ist ruhig, fast spiegelglatt. Das Boot ist ein einfaches Kanu aus einem Stamm geschnitzt. Die Bootsführerin ist nackt und geschminkt, der Passagier ist verhüllt. Der oder die Reisende transportiert eine Kugel. So wie er sie hält und auf sie herabschaut, scheint diese sehr wertvoll zu sein. Auf der kleinen Insel befindet sich ein Baum oder ein grosser Strauch sowie der Hals eines Schwans. Die Luft scheint dunstig zu sein, denn der Übergang von Wasser zu Luft ist unscharf. 

Was ist der Grund der Überfahrt? Wer ist die nackte Frau? Warum ist der Passagier verhüllt? Warum die Insel und der Schwan oder Schwanenbaum? Was ist der Grund der Reise? Soll die Kugel den Weg weisen oder ist sie einfach nur wertvoll für den Passagier? Könnte die Bootsführerin eine Nymphe sein, welche dem Menschen behilflich ist? 

Nymphen sind oft wenig bekleidet oder nackt wie hier. Die Bootsführerin soll eine Nymphe sein. Sie scheint genau zu wissen, was sie tut, darum liegt die Vermutung nahe, dass die gehaltene Kugel nicht den Weg weist, sondern einfach nur sehr wertvoll für den Passagier ist – so wertvoll, dass sie konstant betrachtet werden muss. Denn Gewässer können gefährlich sein, die Ruhe kann trügen. Die Nymphe war sicher vorsichtig genug, sich selbst, den Passagier und seinen Schatz zu schützen. Deshalb bat sie Nestis, die sizilianische Göttin des Wassers, ihre Unterwelt zu verlassen, und das Kanu mit seinen Insassen zu beschützen. Nestis, Herrin des Elements Wasser, nimmt die reine Gestalt eines Schwans an und zeigt so der Nymphe, dass sie ihrer Bitte nachgekommen ist. Das Gesicht der Nymphe zeigt eine unglaubliche Ruhe und Gelassenheit, weil sie weiss, dass ihnen nichts passieren kann. Leider ist sich der Mensch in seiner Kutte dieser Sicherheit nicht bewusst und fixiert sich auf sein angeblich wertvolles Gut, ängstlich und unfähig die Umwelt wahrzunehmen, die Kanufahrt zu geniessen, nicht in der Lage, die freundliche und schöne Nymphe näher kennenzulernen, einen Dialog zu führen, Gelassenheit und Vertrauen zu leben. 

Wie oft passiert uns das im Leben? Vor lauter Nachdenken und Sorgen vergessen wir oft das Leben, den Moment zu leben und zu geniessen, zuzulassen, dass der Gedanke und die Sorge um die Zukunft uns lähmt und blind macht, verpassen, dass es nur den gelebten Moment gibt - gestern ist vorbei, die Zukunft existiert nicht.

Bild 2 Werner Häberling, Hot Lips, 50x88 cm

 

Das 2. Werk Häblings «Hot Lips» von 2002 lässt uns an Afrika denken: Imposante Landschaften, die schönsten Wildtiere der Erde, unendliche Weiten, Steppen, Wüste, Dschungel, Armut, Hunger, Krieg, Elend, Slums, Wilderer. Sehnsucht nach dem Schönen, Distanz zum Schrecklichen. Das sind die ersten Assoziationen, wenn wir an Afrika denken. Dabei vergessen wir das tatsächliche Afrika, wir vergessen die Schönheit der Menschen, ihre besondere Art und ihre Lebensfreude. Die gemalte Frau zeigt uns viel Interessantes. Sie zeigt Stolz, Lebensfreude, innere Ruhe und eine grosse Schönheit. 

Wäre es die gleiche Schönheit ohne diese Attribute? Kann man schön sein, wenn man keine Freude hat, sich andauernd Sorgen macht, und eventuell sogar missgünstig und neidisch ist? Es braucht kein Tageslicht. Alles kommt von innen, vom Gemüt, der Seele, der Einstellung. Ein Leuchten von innen heraus, eine positive Aura. Was kostet ein Damenhut des englischen Etablissements? Ein halbes oder ganzes Vermögen, wenigstens aus Sicht Afrikas. Diese Frau windet sich ein Tuch um den Kopf, und eleganter und schöner ist kaum möglich. Der Schalk in den Augen und die grosse Zufriedenheit sind für viele eine Herausforderung. 

Wie ist das möglich? Eventuell besitzt sie kein solides gebautes Haus, und auch die Luxuskarosse könnte fehlen. Allerdings hat sie Ansprüche an ihr Aussehen, die Augenbrauen sind präzise gepflegt und die Augen etwas geschminkt, was ihre Ausstrahlung von Selbstsicherheit und Zufriedenheit zusätzlich unterstreicht. Wir wissen nicht, was die Frau besitzt, und unter welchen Umständen sie lebt. Wir sehen einen Nachthimmel und einen Baum, wahrscheinlich ein Kameldorn, und wir sehen das Abendrot reflektiert in einer Wolke, nicht im Mund der Frau.

 

Die Bilder von Werner Häberling zeugen von einer Lust am Nichtdefinierten, am Rätselhaften und Geheimnisvollen. Sie sind Chiffren des Unbewussten und Archetypischen. In diesen Bereichen sucht er zu entdecken, um diese Welt dem Betrachter näher zu bringen und die Fantasie anzuregen.

Durch sein handwerkliches Können und seine Perfektion gelingt es ihm, die Betrachtenden auf Anhieb zu faszinieren. Realistische Traumwelten, bizarre Scheinwelten technisch perfekt komponiert und ausgeführt – die Kunst eines visionären Träumers.

 

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