Regenbogen #10 – Der Regenbogen ab Mitte des 20. Jahrhunderts
Der Regenbogen – Zwischen Massenmedien und Zeichen für Frieden und freie Liebe
Was bedeutet der Regenbogen für die moderne Kunst und was ist übrig geblieben von seiner einst mythologischen und religiösen Bildsprache? Im folgenden Blog betrachten wir eine Auswahl von Werken und Darstellungen des Regenbogens. Von der modernen Malerei, der Fotografie und der Kunst der Album-Covers, bis hin zu seinem Bedeutungswandel als ein politisches Symbol, wie auch seine Vervielfältigung in den Massenmedien, wie vor allem in Werbung und Film ab den 1970er Jahren.
So wurde der Regenbogen zunehmend in den Massenmedien dargestellt und für verschiedenste Produkte oder Geschichten verwendet. Ein frühes Beispiel ist die Werbung für Jester Wools, die Wollprodukte herstellten. Ein Beispiel aus der Filmindustrie ist der Film «Rainbow Bridge» von Chuck Wein, der von der Gegenkultur der späten 1960er Jahre handelt.
Bild 1: Eine frühe Werbung aus den 1940er Jahren von Jester Wools für ihre Wollprodukte. Das Wort «gay» bedeutete damals noch «glücklich» und erlebte danach einen Bedeutungswandel. Foto: businessinsider.com.
Bild 2: Ein Werbeposter für den Film «Rainbow Bridge» aus dem Jahr 1971 von Chuck Wein. Foto: Wikipedia.org.
In den 1960er und 1970er Jahren waren viele aktivistische Bewegungen im Gange. Der Regenbogen wurde in dieser Zeit zu einem aussagekräftigen, politischen Symbol. Ausgehend vom Friedensmarsch 1961 in Italien, wurde die Regenbogenflagge als «Pace-Fahne» (italienisch für «Frieden») zum Symbol der Friedensbewegung und fand durch den Irak-Krieg ab 2003 für Protestbewegungen gegen Kriege weltweit Verwendung.
Bild 3: Die Regenbogenfahne der Friedensbewegung, die heute weltweit verwendet wird. Foto: Wikipedia.org.
In der Hippiekultur steht der Regenbogen für die Einheit der Menschheit. Besonders an der Westküste der USA, wo die Bewegung entstand, wurden nun vermehrt Hausfassaden mit Regenbögen bemalt.
Bild 4: Der Waldo-Tunnel, der 2015 in «Robin Williams Tunnel» umbenannt wurde, befindet sich zwischen San Francisco und Sausalito und wird auch «Rainbow Tunnel» genannt. Die Regenbogenbemalung stammt aus dem Jahr 1969. Foto: wikidata.org, CC BY-SA 3.0.
Durch all diese Bewegungen wurde das Symbol visuell auf die Strassen getragen. Ab den 1960er Jahren findet sich der Regenbogen so auch vermehrt den menschlichen Körper umhüllend auf Bekleidung, welche schon immer Ausdruck von Identität war. Einerseits schafft der Regenbogen auf der Kleidung für den Einzelnen / die Einzelne eine symbolische Ebene, erlaubt andererseits aber auch die Identifizierung mit spezifischen Gruppierungen. So nebensächlich und zweckerfüllend Kleidung oft ist, kann sie also auch eine wichtige politische Funktion einnehmen und Zugehörigkeiten und Einstellungen sichtbar machen. Der Regenbogen beinhaltet damit neben dem Bezug zur Natur nun auch Konnotationen wie «Heilung, Reservat, Ruhe, Beruhigung, Freude, Glück, Liebe, Frieden, Freiheit» (Regenbögen für eine bessere Welt, Trilogie III, Württembergischer Kunstverein, S. 240).
Seit den 1970er Jahren ist die Regenbogenfahne auch das internationale Zeichen der Lesben- und Schwulenbewegung, wobei jede Farbe eine bestimmte Bedeutung hat. Entworfen hat sie der Amerikaner Gilbert Baker für den «Gay Freedom Day» im Juni 1978, von dem aus die «Gay Prides» entstanden. Ursprünglich bestand die Flagge aus acht Farben und wurde dann auf sieben reduziert. Das Symbol wurde immer wieder abgeändert oder erweitert, da weitere Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen zur Fahne hinzukamen, wie etwa trans Personen oder nichtbinäre Personen. Generell symbolisiert die Fahne die Vielfalt der Lebensweisen und Identitäten, insbesondere diejenigen, die marginalisiert wurden und leider auch heute noch werden. Die Regenbogenflagge steht für den Stolz der Existenz dieser Lebensweisen und den Stolz der Personen, die Teil der LGBTQIA+-Community sind.
Bild 5: Die Neugestaltung der Progress Pride Flagge zur Integration von Intersexualität durch Valentino Vecchietti (2021). Foto: Wikipedia.org.
Der Regenbogen in den Künsten – Minimal Art
Neben diesen neuen politischen Verwendungen des Regenbogens löste sich auch die Kunst der Moderne immer mehr von religiösen Vorstellungen und näherte sich mit neuen Perspektiven der Welt und ihren Naturphänomenen. Neue Materialien und technische Möglichkeiten beeinflussten immer mehr die Wahrnehmung und das Bewusstsein, und ermöglichte damit wiederum neue Gestaltungs- und Ausdrucksformen.
«Rainbow Pickett» (1965/2004) der Künstlerin Judy Chicago ist eine von sechs raumfüllenden skulpturalen Installationen. Dabei stehen sechs Trapeze unterschiedlicher Länge und Farbe aus monochrom bemalter Leinwand, die auf Sperrholzrahmen gespannt sind, in einem Winkel von fünfundvierzig Grad an der Wand, in abnehmender Grösse angeordnet. Die Arbeit Chicagos steht zwar im Dialog mit der Kunstrichtung «Minimal Art», die mit reduzierten Darstellungsformen und Farben arbeitet, verhält sich aber durch die pastellige Farbpalette auch subversiv gegen sie.
Ein weiterer Künstler, der sich den Regenbogenfarben zwar nicht mittels aufgetragener Farbe, sondern durch Lichtinstallationen widmete, war Dan Flavin. Bunte Neonlichter stellen Form und Farbe in den Fokus, wobei das kühle Licht der Leuchtstoffröhren an Werbung und U-Bahn-Stationen erinnert, die nun immer mehr unsere Welt prägten. Diese primären Lichtquellen zeigen uns Farbe als das, was sie ist: etwas Physikalisches. Sie verändern die Raumwahrnehmung und kreieren eine reduzierte visuelle Erfahrung, die auf der Optik beruht. Gleichzeitig werden die Neonröhren aus ihrem Kontext genommen und zur Kunst erhoben.
Das Lichtbild fängt das Prisma ein
Das noch relativ junge Medium der Fotografie hatte es zu seinen Anfängen schwer, sich im Bereich der Künste zu etablieren. So ist das Gemälde «Regenbogen» (1970) von Gerhard Richter zwar traditionell Öl auf Leinwand, doch dem Gemalten liegt, wie so oft bei Richter, eine Fotografie zugrunde. Richter hatte das Motiv seinem «Atlas», ein Buch mit gesammeltem Bildmaterial, entnommen und malerisch umgesetzt. Zu sehen ist ein Regenbogen, der den Himmel, in dem er erscheint, in zwei Bereiche teilt. Der untere Bereich zeigt einen orangegefärbten Himmel, wobei in dessen rechter Ecke etwas Schwarzes, Unidentifizierbares hervortritt, das an Häuser und das Irdische Dasein erinnert. Dagegen wird im bläulichen oberen Bereich der offene Himmel gezeigt, in dem ganz zart ein zweiter Regenbogen angedeutet wird. Die Tradition der Landschaftsmalerei ist bei Richter ein rekurrierendes und zentrales Thema, durch das er Betrachtende in einen kontemplativen Zustand versetzt und ein Gefühl der Sehnsucht auslöst. Bei diesem Gemälde sehen wir ein typisches Stilmittel Richters, was dieses Sehnsuchtsgefühl unterstreicht: Das Verwischen der Farbe, wodurch eine Unschärfe kreiert wird. Dies simuliert eine ursprüngliche, wie auch eine heute noch technisch mögliche Unschärfe durch die Kamera, welche hier durch das ältere Medium der Malerei imitiert wird. Damit greift er die Flüchtigkeit des Phänomens auf, welche uns mit einem nostalgischen Gefühl der Natur gegenübertreten und uns die Frage stellen lässt, was uns mit ihr verbindet. Das traditionelle Landschaftsmotiv stellt ausserdem einen Bezug zur Epoche der deutschen Romantik her, wobei durch das Unleserliche und Unklare auch etwas Bedrohliches mitschwingt. Dies drückt aber auch ein Gefühl der Erhabenheit und Ergriffenheit gegenüber der Kraft der Natur aus und zwingt uns, uns mit der Landschaft im 21. Jahrhundert und unserer Beziehung zu ihr auseinander zu setzen. Richter nennt diese nostalgisch-romantischen Arbeiten «Kuckuckseier», denn sie überraschen dadurch, dass sie über diese Motive, wie auch über die damit einhergehenden Vorstellungen von Transzendenz reflektieren und uns mit diesen Ideen konfrontieren.
Exkurs in die Musikwelt: The Dark Side of the Moon – Der Mensch zwischen Licht und Finsternis
Auch in der Musik ist der Regenbogen ein beliebtes Motiv, sei es in Songtexten, Musik- oder Albumtiteln oder in der Kunst der Albumcover. Einen besonderen Status hat das Plattencover von «The Dark Side oft he Moon» (1973) von Pink Floyd. Das Cover, entworfen von Storm Evlin Thorgerson und gezeichnet von George Hardie, zeigt auf einem schwarzen Hintergrund die Brechung des weissen Lichtes durch ein Prisma und dessen Spaltung in die Spektralfarben, hier allerdings ohne die Farbe Indigo, inspiriert durch eine Fotografie in einem Physiklehrbuch.
Bild 6: Das Cover des Pink Floyd Ablums «The Dark Side of the Moon» (1973), entworfen von Evlin Thorgerson und Georgie Hardie. Foto: Wikipedia.org.
Die Spektralfarben werden im aufgeklappten Teil des Pink Floyd Covers fortgeführt und stellen graphisch einen Herzschlag dar, wie er am Anfang und am Ende der Platte auch zu hören ist. Der Albumtitel spielt auf die Eigenschaft des Mondes an, Sonnenlicht auf die Erde zu reflektieren, während sich die andere Seite in Dunkelheit befindet und für uns verborgen, rätselhaft und unendlich erscheint. Im Mittelpunkt des Albums steht die Idee des Wahnsinns, wobei Themen wie Konflikte, Gier, Zeit, Tod und Geisteskrankheiten erforscht werden und mit denen sich jeder Mensch konfrontiert sieht und vor Entscheidungen gestellt wird. So kann Mensch sich für die «dunkle Seite», aber auch die für die «gute Seite» entscheiden und Licht zurückzuwerfen. Dazwischen findet ein Reflexionsprozess statt.
Das Album ist also stark von philosophischen Vorstellungen sowie von Moral und Ethik bestimmt. Das Licht spielt auf Einflüsse an, die auf uns einprasseln und unser Leben mitbestimmen, und die nebst dem Chaos auch Ordnung, Schönheit und Hoffnung bringen. Mit diesen Fragen, werden auch Parallelen zur christlichen Religion hergestellt. Die Textzeilen von «Time» lauten etwa: «... and you run and you run to catch up with the sun, but it’s sinking» und spielen auf die Vorstellung der Endzeit und Johannes 1,5 an: «Und das Licht leuchtet in der Finsternis / Und die Finsternis hat es nicht erfasst». Thorgerson beschrieb das Dreieck auch als Symbol für Gedanken und Ziele, das Prisma für Dichte, Kraft und Reinheit.
Das Musikalbum, wie auch das Cover sind also eine Fortsetzung der menschlichen Fragen, dem Ringen zwischen «Gut» und «Böse», geführt von Hoffnung, die durch das Weiterschlagen des Herzens am Ende des Albums aufrechterhalten wird. Eine Fortsetzung von Fragen des menschlichen Daseins und des Mitgefühls. Themen, die in der Kunst schon seit jeher ihren Platz hatten.
Der Regenbogen als raumübergreifendes Phänomen und künstlerische Identität
Der japanische Fluxus-Künstler Ay-Ō wurde für seine Werke mit den Farben der Regenbogen-Palette bekannt, die er ab 1963 anfertigte. Dies brachte ihm den Übernamen «Rainbow-Man» ein.
Bild 7: Der Fluxus-Künstler Ay-Ō mit einem T-Shirt in Regenbogenfarben während des Signierens mit mehreren, regenbogenfarbigen Filzstiften, was zu seinem Merkmal wurde. Foto: Wikipedia.org.
Als er mit Aluminiumblech arbeitete, wurde er sich des Lichts bewusst, das vom Blech zurückgeworfen wurde und an der Wand einen Regenbogen reflektierte. Er versuchte, diesen Effekt konkreter zu erfassen, etwa indem er die Wände seines Ateliers in farbigen Streifen vom Boden aufwärts bemalte und sich so mit den Regenbogenfarben umgab. Sein Zwang von da an, fast ausschliesslich mit dem Regenbogen zu arbeiten, entsprang seinem Wunsch, die Verwendung von Farbe zu demokratisieren, ein Gefühl der Verspieltheit und des Humors zu schaffen und dadurch den eigenen Körper und seine Sinne erkunden zu können. Dies zeigt sich etwa in seinem «Rainbow-Happening» Nr. 17 von 1987 mit dem Titel «300 Meter Rainbow Eiffel Tower Project», bei dem ein in Regenbogenfarben bemaltes Banner vom Eiffelturm herunter wehte. Ein immersives Kunstwerk, wodurch der Mensch eine optische, wie auch sensorische Relation zum Regenbogen herstellen konnte.
In den Regenbogen eintauchen
Die ausgewählten Werke bilden nur einen Bruchteil von neuen Erscheinungsformen des Regenbogens in den Künsten und anderen Bereichen des Zusammenlebens ab. Zu erkennen ist eine Entwicklung hin zu experimentellen Kunstwerken, die mithilfe von Naturlicht, künstlichem Licht oder durch architektonische Elemente erzeugt werden und somit raumgreifend sind. Form, Raum, Bewegung und Licht stehen im Zentrum der Regenbogen-Kunst der letzten 50 Jahre des 20. Jahrhunderts.
Im letzten Blog werden wir uns zeitgenössischen Objekten widmen, die der Regenbogenerfahrung ebenfalls mithilfe verschiedener Sinne nachgehen und einen neuen Blick auf die Welt ermöglichen, vielleicht sogar losgelöst, aber inspiriert, von der Religion. Kunstwerke, die den Menschen und seine Erfahrungen auf der Welt ins Zentrum rücken.