Künstler:innen-Interview mit Mu

23.09.2023
Yvonne Roos

Der in Berlin lebende Künstler Mu kreiert digitale Kunstwerke. Diese zeichnen sich durch bestimmte Formen, Farben und optische Täuschungen aus. Es ist ihm wichtig, mit seinen Werken Geschichten zu erzählen, indem er die Essenz der Welt um sich herum einfängt. Auf diese Weise eröffnen seine Werke den Betrachtenden gleichzeitig einen ganz persönlichen Raum. In diesem Interview erzählt Mu, wie er zur Kunst kam, was die markanten Merkmale, die seine Werke auszeichnen, für ihn bedeuten, was der (digitale) Raum für ihn bedeutet und gibt Einblicke in seine Herangehensweise bei der Erzeugung von Kunst.

Yvonne: Hallo Mu und danke, dass Du uns Einblicke in Dein künstlerisches Leben gewährst. Meine erste Frage wäre, ob Du uns etwas über Deine Erfahrungen und Deinen Weg mit der Kunst erzählen kannst. War sie schon immer Teil Deines Lebens oder wie bist Du zur Kunst gekommen?

Mu: Ich war schon immer eher ein Komponist, meine kreative Neigung tendiert mehr zur Musik als zur digitalen Kunst. Meine ersten künstlerischen Erfahrungen machte ich in jungen Jahren mit Plattencovern wie "Sgt. Pepper", "Dark Side of the Moon", "Goo", "Incesticide", "Velvet Underground", "You" usw., die mich alle irgendwie geprägt haben. Obwohl Pop-Art-Ikonen wie Roy Lichtenstein und Andy Warhol und ihre vibrierende Bewegung in meinen späten Teenagerjahren meine Aufmerksamkeit erregten, kam mir der Gedanke, Kunst jenseits der Musik zu betreiben, erst vor kurzem.

Yvonne: In Deinen Kunstwerken verwendest Du oft geometrische Formen und Primärfarben. Woher kommt dieses Interesse/Bedürfnis? Ich muss dabei an den Stil des Bauhauses (1919-33) denken. Wurdest Du davon beeinflusst?

Mu: Ich begann mich für das Bauhaus zu interessieren, kurz nachdem ich nach Berlin gekommen war, und war fasziniert davon, wie viele der Arbeiten so einfach und simpel waren und doch so viel ausdrücken konnten. Ich hatte bereits beschlossen, mit digitaler Kunst zu beginnen, aber ich hatte noch keinen Stil gefunden, der mir gefiel. Ich mochte die Geometrie und die Farben des Bauhauses und beschloss, einen ähnlichen "Haiku"-Ansatz zu verfolgen und mich auf grundlegende Formen und Farben zu beschränken, um von diesem Punkt aus zu arbeiten.

Yvonne: In vielen Arbeiten scheint es, als würdest Du die Räume erforschen, in denen wir uns bewegen. Was ist es, das Dich am Raum fasziniert?

Mu: Ich interessiere mich für die Art und Weise, wie Räume unsere Emotionen beeinflussen können: Als Introvertierter fühle ich mich im vertrauten Raum meiner Wohnung am wohlsten, während ich mich in unbekannten, überfüllten Räumen überwältigt fühlen kann. Gleichzeitig bin ich mir sehr bewusst, dass ich mit vielen anderen Menschen in unserem Wohnblock und in der Stadt Berlin zusammenlebe, und in meiner Kunst möchte ich unser "kollektives Alleinsein" (siehe "Neighbours") und unsere Beziehungen über Räume hinweg untersuchen.

Yvonne: Welche Bedeutung hat der digitale Raum für Dich und Deine Kunst?

Mu: Ohne den digitalen Raum wäre ich nicht in der Lage, meine Kunst zu schaffen. Er eröffnet mir eine Vielzahl von Möglichkeiten, meiner Fantasie freien Lauf zu lassen. Ich war schon immer ein Prokrastinierer: Ich mache eine Sache, dann kommt mir ein Gedanke, und 20 Minuten später mache ich etwas ganz anderes als das, was ich geplant hatte. Beim Schaffen digitaler Kunst kann das eine gute Sache sein, denn eine Reihe kleiner, origineller Ideen, die von den Weiten des Internets inspiriert sind, können zu einem Ganzen werden.

Yvonne: Und wie ist es, wenn du deine Werke am Computer erstellst und in diesen quadratischen Raum voller Möglichkeiten blickst: Inspiriert Dich das, oder fühlst Du Dich manchmal auch verloren?

Mu: Die Arbeit mit einer begrenzten Palette von Formen und Farben gibt mir ein Gefühl von "Freiheit in der Beschränkung" und fördert meine Kreativität. Das kann den "Blick in einen quadratischen Raum voller Möglichkeiten" weniger beängstigend machen. Ich habe drei Hauptansätze, um ein Kunstwerk zu schaffen: (1) Ich wende einfache Formen und Farben auf eine leere "Leinwand" an, ohne ein Ziel vor Augen zu haben, und füge einfach Linien und Schatten hinzu, um zu sehen, ob sich etwas Interessantes ergibt (bei diesem Ansatz bin ich ein Beobachter/der Zeuge). (2) Ich erstelle Fotocollagen und baue auf ihnen auf. Dieser Ansatz hilft mir, komplexere Bilder zu schaffen. (3) Ich habe eine vorgefasste Idee, die ich mir in meinem Kopf vorstellen kann, und versuche dann, sie so genau wie möglich einzufangen.

Yvonne: Manchmal findet man in Deinen Arbeiten stark reduzierte menschliche Figuren. Welche Rolle spielen sie in Deinen Arbeiten und warum reduzierst Du sie zu diesen anonymen Figuren?

Mu: Ich spiele gerne mit der menschlichen Figur als eine Form wie jede andere. Wenn man zu viele Details hinzufügt (Merkmale, Namen, ein Lächeln), würde das die Aufmerksamkeit von der Beziehung zwischen den Formen selbst (der menschlichen Figur und den geometrischen Formen) und den Gefühlen, die sie in Kombination hervorrufen können, ablenken. Für mich ist das interessanter als der Versuch, Emotionen durch das menschliche Gesicht auszudrücken.

Yvonne: Auffallend ist die immer gleiche Wahl des Formats Deiner Werke. Was bedeutet diese Regelmässigkeit für Dich? Und ist sie durch Deine Arbeitstechnik bestimmt?

Mu: Ja, die Regelmässigkeit des Formats ist für mich sehr wichtig. Sie ist ein weiterer Aspekt meines "Haiku"-Ansatzes: die selbst auferlegte, kreativitätsfördernde Einschränkung, die ich oben erwähnt habe. Ich gehe bei jeder Arbeit, die ich mache, gleich vor: Ich beginne mit einem 'gelblichen' Hintergrund und alles andere wird darüber gelegt. Ich mag es, dass meine Arbeiten dadurch ihr einzigartiges Aussehen erhalten - ein durchgehendes Thema, das sich durch meine Arbeiten zieht, als ob sie alle im selben Raum existieren würden.

Yvonne: Oft schweben Deine Objekte und Figuren in einem hellen (Nicht-)Raum. Stellt dieser Raum etwas dar?

Mu: Diese Frage passt gut zu meiner vorherigen Antwort über den körnigen, gelblichen Hintergrund und wie er zum durchgehenden Raum all meiner Werke wird. Ich denke, dass der Hintergrund das von Dir erwähnte Gefühl eines (Nicht-)Raums erzeugt. Er ist insofern ein negativer Raum, als dass alle Objekte in ihm existieren, aber er hat seine eigene Persönlichkeit, weil er konstant bleibt und alles zusammenhält.

Yvonne: Meine letzte Frage bezieht sich auf Deinen Blogartikel, den Du über den sogenannten "Flow-Zustand" geschrieben hast. Macht Dir dieser Zustand manchmal auch Angst, wenn Du Dich völlig in der Kunst verlierst? Oder würdest Du ihn eher als Freiheit bezeichnen? Und wenn Du in dieser Zone bist, bist Du dann manchmal von dem, was Du geschaffen hast, überrascht?

Mu: Gute Frage! Ich bin oft sehr überrascht von dem, was aus dem Flow-Zustand heraus entsteht. Ich werde zum ersten Empfänger meiner Kunst, und oft finde ich neue Bedeutungen in einem Werk, lange nachdem ich es geschaffen habe. Es ist jedoch kein beängstigender Zustand für mich, ich geniesse es, mich im Schaffensprozess zu verlieren (mein 11 Monate alter Sohn sorgt dafür, dass ich regelmässig aus dem Flow-Zustand herauskomme) und ich liebe das Gefühl der Freiheit, das er mit sich bringt.

Yvonne: Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen und uns teilhaben lässt!

 

Das art24-Profil von Mu findest du hier. Viel Spass im Entdecken und Kaufen seiner spannenden Kunstwerke!

 

Glossar:

Haiku: Haiku ist eine traditionelle japanische Gedichtform und gilt als der kürzeste Gedichtstil der Welt.