Art 4 Charity oder die Verwandlung der Widder

09.07.2022
Martina Kral

Fröhlich-bunt, poppig-frech, metallisch-glänzend, elegant-exzentrisch. Die Verwandlung von 9 lebensgrossen Widder-Skulpturen durch 9 unterschiedlich arbeitende Kunstschaffende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an der «Art for Charity», organisiert von art24 am 30.6. in der Luzerner Swiss Life Arena, ist begeisternd. Bis zum 14. Juli werden alle Tiere auf der speziellen, durch art24 kreierten Auktionsplattform zu karitativen Zwecken versteigert.

So unterschiedlich die Arbeitsweisen und Techniken auch sein mögen, die Challenge ist für alle 9 Künstler:innen gleich. Normalerweise bearbeiten sie mit Pinsel, Farben oder fotografischen Transferdrucken einen flachen Untergrund. Jetzt fordern 9 dreidimensionale Widder-Skulpturen mit Fellstruktur und geriffelten Hörnern sieben Künstlerinnen und zwei Künstler heraus. Von Stunde zu Stunde werden Nervosität und Anspannung geringer, die Atmosphäre zunehmend gelöster, lässiger, fröhlicher. Das für den Event durch art24 organisierte Pop-up Atelier in der Luzerner Swiss Life Arena verliert allmählich seine Nüchternheit. Nach über 5 Stunden ist die Curlinghalle durch die konzentriert arbeitenden Künstler:innen souverän mit ideenreichen, eleganten wie poppig-bunten, golden glänzenden Kreationen charmant erobert. Die 9 Widder spiegeln 9 individuelle Künstlerpersönlichkeiten wider, die authentisch in Motivik, Technik und Ausführung blieben.   

Viktoria Köstler liebt Schlösser, deren Nostalgie und Flair. Ihr «Golden Power Ram», der ohne Weiteres ein luxuriöses Schlossobjekt sein könnte, erscheint in elegantem, unaufdringlichem Outfit aus schwarz-grau gestrichelten Linien auf dem weiss belassenen Fellkörper und mit strahlenden 24 Karat-Blattgold-Hörnern. Dass sich Glamour und Eleganz mit exzentrisch-neckischem Touch gut vertragen, zeigt der einzige rote Huf. Es ist Viktorias Logo «RedOutsite», das in markantem Rot immer die Aussenkanten ihrer Bilder prägt. Im “Golden Power Ram” realisiert Viktoria ihre Idee eines «wertvoll erscheinenden Objekts, das zugleich im Gold die Durchsetzungskraft und Resilienz des Widders, aber auch die Hoffnung auf zukünftige Motivation widerspiegelt». 

Margot Ressel überzieht ihren Widder zuerst mit einem Camouflage-ähnlichen Muster in einer Eigenmischung aus Dunkel-oliv, Zitronengelb und Weiss. Dieses neutrale, schlammfarbene Grundgerüst lädt zu weiteren Farbeffekten und Kontrasten ein: «Ich habe Freude an Farben und Blumen, die noch weiss gebliebenen Stellen fordern freche Farbkontraste». Und die kommen auch in weiteren Schritten: Margot greift zu hellblauen, violetten, pinkfarbenen und orangen Farben und lässt das Tier in einem prachtvoll-leuchtenden Blüten- und Blumenkleid erstrahlen. «Ich bin happy, dass es so herausgekommen ist. Ich male sehr gerne mit Farben und mir sind Fröhlichkeit, Buntheit sowie das freundliche Gesicht wichtig». Und beschreibt ihr Objekt spontan «Der freundlich-bunte Widder».

Guido Parpan lächelt – auch 30 Minuten später ist sein Widder mit dem philosophischen Namen «Zeit zu leben» scheinbar noch immer weiss. «Das ist die Grundierung. Du denkst sicher, dass ich noch nichts gemacht habe?» Etwas später wird klar in welche Richtung es geht: Guido bedeckt mit hauchdünnem, echtem Blattgold nach und nach Gesicht und Hörner, fixiert es mit einem Pinsel, greift dann zu dünnen Edelmetall-Blättchen in Bronze, Silber und Kupfer und beschichtet damit den restlichen Tierkörper. Metallisch-glänzende Acrylfarben vollenden das schillernde Design. Am Ende strahlt der Widder prächtig im Scheinwerferlicht, reflektiert funkelnd die Umgebung und das Licht. «Das Gold ist für mich das Aufstrebende, Erwachende, eben die ‚Zeit zu leben‘».

Hanna Mare ist vom Widder mit goldenem Fell aus der griechischen Mythologie wie vom Goldenen Kalb inspiriert, das als Metapher für Reichtum, Machtgier sowie moralischen und ethischen Verfall steht. Indirekt sind aber auch Himmel, Sterne und das Tierkreiszeichen gemeint. Diese Assoziationen führen zu blau bemaltem Kopf, goldfarbenen Ohren und Hörnerspitzen, ergänzt von der über den Rücken gegossenen, gold-blauen Farbmischung und aufgestreuten Pigmenten. Diese für Hanna typische Arbeitsweise mit Zufallsprinzip ergibt wundervolle, unkontrollierte Farbverläufe und -schlieren, die über den Rücken und auf der Standplatte ihren «eigenen Weg» gehen. Wie ein Zeichen der Stärke, womit «Der Goldene Widder» Macht und Gier zerrinnen lässt.

Jean Ravel greift zu Stiften, fängt auf der Flanke des Widders mit der eindeutigen Botschaft «Love» an und fügt Zentimeter für Zentimeter lächelnde Sonnen, Wolken und Gesichter, Katzen, Bären, Smileys und Herzen in Popart-Manier hinzu. «Meine Gedanken kommen spontan, die ich entsprechend umsetze. Das eine entsteht aus dem anderen in Art von Doodles. Das macht mich glücklich und frei.» Jean setzt seine Arbeit unbeirrt fort, greift zum nächsten Stift, zeichnet witzig-freche, poppige Motive, die sich allmählich zu einer comicähnlichen Geschichte zusammenfügen. «Ich arbeite kindlich, unbefangen und nicht perfekt. Witz ist mir immer wichtig und mit dem Objekt verbreite ich gute Laune». Anmutig zeigt dies Lady «Loveram» mit Pumps, langen Wimpern und Kussmund.

Verena Kandler sammelt Abfallverpackungen. Möglichst goldfarben, durchsichtig, glitzernd sollen sie sein, um wertvoll zu erscheinen. Durch Integration in ihre Kunstwerke wertet Verena einerseits den Müll auf, anderseits das dadurch extravagant schillernde Objekt. Ihr «Recycle Ram» erstrahlt in einer Farbmischung aus Rubin-Orange-Pink-Gelb, die sich wunderbar der Fellstruktur anpasst. Das gelb-fröhliche Gesicht, die mit Abfallstücken betonten, wie vergoldet oder gläsern erscheinenden Augen, Hörner und Wirbelsäule geben dem leuchtenden Widder eine einzigartige Ausstrahlung. An Tablettenverpackungen, Hüllen, Abfall denkt da niemand mehr. «Ich verwandle meine Werke, gebe ihnen eine glamouröse Optik und dem Müll gebe ich eine neue Funktion».

Maria Fernanda Schulz trägt kräftig leuchtende Farben in Blau, Grün und Gelb in breiten Bändern auf dem Widderkörper auf. «Ich liebe diese Farben meiner kolumbianisch-karibischen Herkunft», die das Meer, emporwachsende Pflanzen und das Licht symbolisieren. Der Kopf in einer pink-violetten Mischung ist «Leben, Energie und Optimismus», die goldfarbenen Hörner und Hufen spiegeln Wertvolles wider. Indianische und kolumbianische Symbole, Sonnenblumen, Blütenranken sowie Kreis- und Spiralen-Ornamente im Tiergesicht unterstreichen Maria Fernandas pulsierende, energiegeladene, optimistisch-positive Farbigkeit, bestätigt von der Schwimmerin, die «im Fluss des Lebens» mit ausgestreckten Armen dem Sonnensymbol zustrebt. «Melcocha» ist Freude pur!

Helen Eggenschwiler nimmt Mass, schneidet zu, spannt unterschiedlich grosse, Kopf und Leib angepasste Fliesstücke über die Skulptur und fixiert schliesslich jedes ausgeschnittene Stoffteil mit Heissleim. Ihr «Growing, never to stop»-Widder erhält gleichsam ein massgeschneidertes Landschaftskleid mit Baum- und Blättermotivik. Helen, die nicht mit Pinsel und Farben, sondern mit einem speziellen Transferdruckverfahren von eigenen Fotos etwa auf Gartenflies arbeitet, bleibt sich auch hier ihrer Arbeitsweise und Motivwahl treu: «Natur und Landschaft sind immer ein Thema bei mir». Hier ist es der Luzerner Gütschwald mit seinen in den Himmel wachsenden Bäumen, der sich als reales Thema über den Widder legt und ihn damit zum surrealen, «bekleideten» Waldtier macht.

Judit Flamich bewegt sich um den Widder, mal in Tanzschritten, mal auf der Tischplatte stehend und bemalt aus dieser speziellen Perspektive «Halus», ein mythologisches Tier, das Opfer für Wohlstand einer Gesellschaft verkörpert. Quer über den Widder-Rücken legt sie Motive aus Luzern wie Pilatus, Kappelbrücke, Kirchtürme und Wasserturm, die sich teilweise in der blauen Reuss widerspiegeln. Spannend wie sie Fellstruktur mit bewegt gemaltem Wasser und sich kräuselnden Wellen in Einklang bringt und miteinander kooperieren lässt. «Ich bin eine leidenschaftliche Malerin», bekennt Judit, die ihrer ansonsten weiss gebliebenen Kreatur mit hellgelb gefärbten Hörnern und geringelten Spitzen nur andeutungsweise ein Gesicht gibt, was die mystische Ausstrahlung noch unterstreicht.