Selbstbildnisse in der Kunst – Was sie über uns verraten

30.12.2024
Yvonne Roos

Die Kunst sich selbst zu inszenieren

 

Wie würden Sie sich auf Fotografien von sich selbst inszenieren, in sogenannten „Selfies“? Humorvoll, ernsthaft, nachdenklich, oder vielleicht sogar wütend? Was wollen Sie damit über sich aussagen? Was für Kleidung und Schmuck würden Sie tragen? Und was für Werte oder Gesinnungen würde Sie dadurch über sich preisgeben? In diesem Blog befassen wir uns mit der Gattung des Selbstbildnisses in der Kunst und ergründen, was dahintersteckt. Was können Selbstporträts über Künstler:innen aussagen und warum machen sie sich selbst zum Thema?

In Selbstporträts konfrontieren wir uns und andere mit unserem Aussehen und unseren markantesten Merkmalen. Doch dabei geht es nicht zwingend nur um Äusserlichkeiten. Porträts kommunizieren, wie wir uns selbst sehen und somit auch, wie wir wahrgenommen werden wollen. Beim Selbstporträt liegt die Kontrolle über unser Erscheinungsbild und dem Narrativ ganz beim Erschaffer oder der Erschafferin. Oder?

Wann begann das Interesse am „Selfie“?

Im Selbstporträt tritt der / die Künstler:in als Erschaffer:in in Erscheinung und macht sich dadurch gleichzeitig zum Thema. Es kommt zu einer Verschmelzung von Autor:in und Gegenstand, wodurch die Existenz des Individuums, samt seiner spezifischen Individualität, ins Zentrum gerückt wird. Selbstporträts wurden vermehrt seit der Frühen Neuzeit von Kunstschaffenden erzeugt, weshalb das Motiv in der Kunstgeschichte lange auf diese Epoche beschränkt wurde und dieser zugeschrieben wurde. In der Renaissance ist tatsächlich ein gesteigertes Interesse am Aussehen von Persönlichkeiten zu erkennen. Erste Selbstporträts gab es aber wohl schon in der Antike. Allerdings schien die Darstellungsabsicht von der Antike bis ins Mittelalter eine andere zu sein.

Spuren von Selbstporträts in der Antike

In der Antike stand selten die eigene Person im Vordergrund, sondern das Interesse lag bei den Gottheiten, Herrschenden und mythologische Figuren. Denn im Gegensatz zu heute, galt der Beruf des Künstlers / der Künstlerin damals als ein Handwerk, weshalb uns nur wenige Namen bekannt sind und die meisten von ihnen anonym geblieben sind. Der Name war somit zweitrangig. Entsprechend wurden Werke der Antike nur selten signiert. Einige Personen sind aber dennoch, meist durch Schriftquellen, überliefert, während die Werke oft nicht mehr in ihrer Ganzheit erhalten sind. Aber auf einigen antiken griechischen Vasen oder auf Malereien und Skulpturen des Alten Ägyptens entdecken wir Künstler:innen bei der Arbeit. So ist bekanntes frühes Selbstporträt das des Chefbildhauers Bak, der für den Pharao Echnaton arbeitete (1‘365 v. Chr.). Auch Plutarch (um 45-125 n. Chr.) erwähnte, dass der Bildhauer Phidias (verstorben 430 v. Chr.) sein Abbild in der „Schlacht der Amazonen“ am Parthenon in Athen anbrachte und dafür verhaftet wurde. Wir wissen somit nur wenig über die Motivation hinter dem Selbstporträt. Die Haltung gegenüber dem Selbstporträt in der Gesellschaft war offenbar eher eine Ablehnende. Das Verbrechen Phidias‘ war vermutlich also ein zweifaches: Der Parthenon war kein Ort für menschliche Darstellungen, und ein Bildhauer sollte nicht die Lorbeeren für ein rein göttliches Werk ernten.

Selbstporträt des Bildhauers Bak mit seiner Frau Taheri an einer Naos-Stele, 18. Dynastie, ca. 1355 v. Chr., Ägyptisches Museum Berlin.
Selbstporträt des Bildhauers Bak mit seiner Frau Taheri an einer Naos-Stele, 18. Dynastie, ca. 1355 v. Chr., Ägyptisches Museum Berlin.

In der römischen Antike finden sich vermutlich in Mosaikszenen Porträts der Erzeuger:innen, wodurch die Handwerker:innen ihr Können demonstrierten. In dieser Eingeflochtenheit sind sie aber nicht so leicht als Eigendarstellung zu erkennen. Das trifft auch auf die Motivation dahinter zu. Den einzigen Namen eines antiken Mosaizisten, den wir kennen, ist der von Sosos (2. Hälfte des 3. Jahrhunderts oder 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr.), welcher von Plinius in einer Quelle erwähnt wird. Ein bekanntes Werk des Künstlers zeigt das Motiv des ungefegten Bodens in Pergamon. Ein Nachahmer des Sosos hat sein Werk eines ungefegten Bodens mit dem Namen «Heraklitos» signiert, welches sich heute im Vatikanischen Museum befindet. Somit haben wir hier eine bewusst gesetzte Signatur.

Gott näherkommen: Das Selbstporträt im Mittelalter

Auch im mittelalterlichen Europa war das eigentliche Selbstporträt noch kaum verbreitet. Im Hochmittelalter treten aber in sogenannten Künstlerinschriften die Schöpfer:innen selbstbewusster hervor, wenn auch im Deckmantel des Glaubens. Es sollten aber vor allem ihre Verdienste und ihre künstlerische Meister:innenschaft Seelenheil bringen und eine besondere Nähe zu Gott herstellen. Dennoch finden sich in künstlerischen Arbeiten regelmässig Selbstporträts. Ein frühes Beispiel ist ein Medaillon im Goldaltar von Sant’Ambrogio in Mailand, der um 840-845 n. Chr. von Vvolvinus geschaffen wurde. In diesem Medaillon zeigt sich der Goldschmied gleichberechtigt neben dem Stifter, allerdings präsentiert er, ungleich dem Bischof Angilbertus, seine leeren Hände. Denn sein Verdienst ist die Kunstfertigkeit, also der Altar selbst. Damit erhofften sich die Handwerker:innen Einzug in das Reich der Seligen. Vvolvinus Begabung als Künstler und seine Schöpferkraft ermöglichen ihm diese Nähe zu Gott und sollen ihm das Seelenheil bringen.

Goldschmiedearbeit von Vvolvinus. Das Antependium zeigt den Goldschmied, wie er sein handwerkliches Können offeriert und dabei von Ambrosius gekrönt wird. Der Altar befindet sich in der Kirche Sant' Ambrogio in Mailand und wurde um 846 erstellt. Foto: Wikipedia.
Goldschmiedearbeit von Vvolvinus. Das Antependium zeigt den Goldschmied, wie er sein handwerkliches Können offeriert und dabei von Ambrosius gekrönt wird. Der Altar befindet sich in der Kirche Sant' Ambrogio in Mailand und wurde um 846 erstellt. Foto: Wikipedia.

Verbreitet waren auch Selbstbildnisse in illuminierten Handschriften. Diese Handschriften waren nur wenigen Menschen zugänglich, da sie in und für die sakrale Welt produziert und genutzt wurden. Darin haben sich die Schreiber:innen oder Dekorationskünstler:innen teilweise in Miniaturen oder in den Initialen abgebildet, um sich als Ersteller:innen dieser Elemente oder der Schrift auszuweisen. Es handelt sich also um ein Indiz, dass es sich um ein Selbstporträt während der Tätigkeit handelt. 

Rufillus beim Akt des Malens, Cod. Bodmer 127 (Weißenauer Passionale), fol. 244r, Fondation Martin Bodmer, Cologny-Genève, 12. Jahrhundert. Über der Glatze steht «FR», was für Lateinisch «Frater» steht, also «Bruder». Dann folgt sein Name «Rufillus». Damit weist er sich als Maler der Handschrift aus.
Rufillus beim Akt des Malens, Cod. Bodmer 127 (Weißenauer Passionale), fol. 244r, Fondation Martin Bodmer, Cologny-Genève, 12. Jahrhundert. Über der Glatze steht «FR», was für Lateinisch «Frater» steht, also «Bruder». Dann folgt sein Name «Rufillus». Damit weist er sich als Maler der Handschrift aus. 

Teilweise waren Schreiber:in und Illuminator:in auch ein und dieselbe Person. Dabei handelte es sich vorwiegend um Mönche in den klösterlichen Skriptorien, ehe das Herstellen von Handschriften „industriell“ wurde und auch ausserhalb von Klosteranlagen in bürgerlichen Schreibwerkstätten Handschriften hergestellt wurden. Einige dieser vermutlichen Selbstporträts lassen sich keinem Namen zuordnen, sind also anonym abgebildet. Andere dagegen sind klar durch einen Text in der Nähe gekennzeichnet, der besagt oder nahelegt, dass das Bild den Künstler oder die Künstlerin selbst darstellt. Ein berühmtes Beispiel solch eines Porträts ist das des Matthäus Paris, ein Mönch, der im 13. Jahrhundert im St. Alban-Kloster in der Nähe von London lebte (1200-1259).

Detail eines Selbstporträts von Matthäus Paris mit seinem Namen „Frater Mathias Parisiensis», aus dem Vorwort zu Matthäus Paris' Historia Anglorum, St. Albans, um 1250-1259, Royal MS 14 C VII, f. 6r, London British Library. Foto: Wikipedia.
Detail eines Selbstporträts von Matthäus Paris mit seinem Namen „Frater Mathias Parisiensis», aus dem Vorwort zu Matthäus Paris' Historia Anglorum, St. Albans, um 1250-1259, Royal MS 14 C VII, f. 6r, London British Library. Foto: Wikipedia. 

Ein bekanntes Selbstbildnis in Europa, welches sich nicht zwischen Pergamentseiten befindet, sondern als Freskenmalerei an einer Wand, ist das von Johannes Aquila aus dem 14. Jahrhundert (1392). Dieser stellte sich selbst betend in der Pfarrkirche Hl. Martin in Martjanci, Slowenien dar, wo er sich durch die Signatur Johannes Aquila de Rakersburga oriundus als „Johannes Aquila aus Rakersburg stammend“ zu erkennen gibt. Zugleich gibt er auch Auskunft über seine Bildung in einwandfreiem Latein. Somit kennen wir hier nebst seinem Gesicht, den Namen des Freskenkünstlers aus dem Spätmittelalter, was eine Seltenheit ist.

Selbstporträt des Johannes Aquila an der Südwand des Presbyteriums der Martinskirche in Martjanci, Slowenien und wurde 1392 gemalt. Foto: Wikipedia.
Selbstporträt des Johannes Aquila an der Südwand des Presbyteriums der Martinskirche in Martjanci, Slowenien und wurde 1392 gemalt. Foto: Wikipedia.

Wo beginnt ein Selbstbildnis?

Doch was kann denn überhaupt alles als Selbstporträt betrachtet werden? Einige römische Bürger:innen der Antike gaben etwa Porträts von ihnen in Auftrag. Etwa in Form von Mosaiken oder Reliefs für ihre Villen oder an öffentlichen Gebäuden, wie auch für Grabreliefs, die noch zu Lebzeiten in Auftrag gegeben wurden und das Individuum in idealisierter Form zeigen. Sie konnten also Wünsche anbringen, die dann durch eine:n Handwerker:in umgesetzt wurden. Somit hatten sie Einfluss auf ihr Erscheinungsbild in der Darstellung, auch wenn sie nicht die ausführenden Hände waren. Dasselbe gilt für Darstellungen von Herrschenden, besonders auf Münzen. Könnten auch sie somit als Selbstporträt gelten, obwohl sie nicht die vollständige Autorenschaft über ihr Bild hatten?

Das Selbstporträt war lange im Kontext eines grösseren Gesamtwerkes zu finden, welche vorwiegend religiöser oder herrschaftlicher Kunst gewidmet war. Im Verlaufe der Professionalisierung des Berufes, in der die Künstler:innenperson immer mehr in den Fokus rückte und den Marktwert mitbestimmte, veränderte sich auch ihr Eigenverständnis. Immer mehr Selbstporträts entstanden, in denen sich die Kunstschaffende selbst inszenierten und ausprobierten. Aus heutigem Verständnis sind Selbstporträts Darstellungen des Künstlers / der Künstlerin und verorten deren Meister:innenschaft im Kontext der Geschichte.

Entwicklung in der Renaissance

Manchmal war es aber auch reine Notwendigkeit. Die berühmte Renaissance Künstlerin Artemisia Gentileschi etwa, malte sich vermutlich teilweise auch deswegen selbst, da Models teuer waren und es eine Zeit lang auch verboten war, Aktmodels zu malen. Da waren der eigene Körper und das eigene Porträt die einzige Alternative. Doch es gibt auch Selbstbildnisse von ihr, die ihr Selbstbewusstsein als Künstlerin deutlich in den Fokus rücken. So etwa ihre Allegorie als Malerei, in der sie mit wildem Haar sich selbst darstellt und die Allegorie somit nicht mehr als rein solche zu verstehen ist, sondern auch darüber hinausgeht. Das Selbstporträt kann also verschieden eingesetzt werden und muss nicht zwingend einer Idealisierung des Selbst dienen.

Selbstporträt von Artemisia Gentileschi als Allegorie der Malerei, 1638/39, Öl auf Leinwand, Kensington Palace, London. Foto: Wikipedia.
Selbstporträt von Artemisia Gentileschi als Allegorie der Malerei, 1638/39, Öl auf Leinwand, Kensington Palace, London. Foto: Wikipedia.

Eines der wohl eingängigsten, bekanntesten und relevantesten Selbstporträts ist das von Albrecht Dürer. Es zeigt den Künstler lebensgross in Frontalansicht, den oder die Betrachter:in direkt adressierend. Diese Ansicht war bis anhin nur für Jesus Christus oder einige Herrschenden verwendet worden. Somit reiht Dürer sich als Künstler mutig und selbstbewusst in den adeligen Stand ein und erhebt den Status seines Berufs als Künstler, der bisher vor allem als Handwerksberuf angesehen wurde. Demonstrativ zeigt er uns dabei seine Hand, die seine Ideen umsetzt und Kunstwerke erzeugt. Dazu trägt er einen Pelzmantel, ebenfalls ein Zeichen des Adels, das bis anhin nur dieser sozialen Schicht vorbehalten war.

In Porträts besteht stets eine Verbindung zu Vorstellungen von Leben und Tod. Besonders eindrucksvoll sehen wir dies in sogenannten Mumienporträts aus ägyptisch-hellenistischer Zeit. Dies sind zwar keine Selbstporträts, doch legen sie uns nahe, wie die Praxis des eigenen Ichs festzuhalten, mit der Flüchtigkeit des Lebens zusammenhängt und fest eingebunden war in eine kulturelle Praxis. Diese Porträts wurden ab dem 1. Jahrhundert bis ca. Mitte des 3. Jahrhundert n. Chr. angefertigt und zeigen die Person meist in der Frontalansichten als Brust- oder Kopfbildnis. Diese wurden an den Mumien angebracht und repräsentierten die Verstorbenen im Jenseits. Mit dieser Technik konnten Gesichtszüge also für die Ewigkeit bewahrt werden. Dürers Selbstbildnis, wie auch viele weitere Selbstbildnisse lehnen an diesen Wunsch an, sich selbst auf ewig festzuhalten und in Erinnerung zu bleiben. Dies ist also eine Funktion des Selbstbildnisses für die Kunstschaffenden. Daneben zeigt es aber auch das Talent und die Möglichkeiten der Kunst, naturgetreu wiederzugeben, wie auch die Vergangenheit durch die Kunst näherzubringen.

Albrecht Dürer, Selbstbildnis im Pelzrock, 1500, Öl auf Holz, Alte Pinakothek, München, Foto: Wikipedia.
Albrecht Dürer, Selbstbildnis im Pelzrock, 1500, Öl auf Holz, Alte Pinakothek, München, Foto: Wikipedia. 

 

Der Spiegel als Garant der Wirklichkeit?

Kunstschaffende konnten sich selbst nur mit Hilfe eines Instruments so exakt festhalten: Dem Spiegel. Parmigianino’s Selstbildnis im Konvexspiegel (1523/24) zeigt den jungen Künstler in dem Objekt, in dem er sich selbst sieht und durch das er sich nachbilden kann. Das Selbstbildnis kommt in der Form des Trompe l’oeil der Wirklichkeit und den Herstellungsbedingungen sehr nahe. Parmigianino demonstriert damit seine Fähigkeiten. Der Spiegel dient Kunstschaffenden einerseits als „[…] Instrument der Erkenntnis und Selbsterkenntnis […]“ (Pfisterer und von Rosen, S. 50), andererseits ist er aber auch unwahr, denn er vertauscht die Seiten, vergrössert oder verkleinert, verzerrt gleichzeitig und entstellt damit auch die Wahrheit. Der Spiegel ist damit vieldeutig und somit auch die Möglichkeiten der Selbstdarstellung. Er lädt zur Selbstbeobachtung und Selbstbefragung ein, kann aber auch die Künstlichkeit des Ebenbildes vor Augen führen und dadurch ein Spielfeld eröffnen.

Parmigianino, Selbstporträt im konvexen Spiegel, 1523/24, Öl auf Pappelholz, Kunsthistorisches Museum, Wien. Foto: Wikipedia.
Parmigianino, Selbstporträt im konvexen Spiegel, 1523/24, Öl auf Pappelholz, Kunsthistorisches Museum, Wien. Foto: Wikipedia.  

Die vielfältigen Möglichkeiten des Selbstporträts

In der Malerei lassen sich viele weitere Beispiele beobachten, die die Künstler:innen bei ihrer Tätigkeit zeigen und ausweisen, und damit für die Nachwelt für immer sichtbar bleiben, gleichzeitig aber auch die unlösbaren Geheimnisse der dargestellten Person näherbringen. So finden sich aber auch Beispiele in anderen Medien, wie etwa der Bildhauerei. Das Selbstbildnis von Adam Kraft (um 1500) aus Sandstein, welches sich im St. Lorenzenchor in Nürnberg befindet, oder die Büste des Dombaumeisters Peter Parler, ebenfalls aus Sandstein und im Veitsdom in Prag zu sehen, sind solche Beispiele. In diesen Fällen sind die Objekte an die Architektur gebunden und sollen in diesen Kontext platziert werden. Doch es gibt auch Werke, in denen sich der Künstler / die Künstlerin unabhängig von der Architektur als Skulptur wiedergibt. Selbstbewusst und breitbeinig steht etwa die leicht überlebensgrosse Skulptur von Bertel Thorvaldsen da und zeigt uns seine Arbeitsinstrumente, während er zugleich eine weibliche Skulptur bearbeitet und uns seine Arbeit vorführt.

Peter Parler, Selbstporträt aus Sandstein, um 1380, Triforiumgalerie des Prager Doms, Foto: Wikipedia.
Peter Parler, Selbstporträt aus Sandstein, um 1380, Triforiumgalerie des Prager Doms, Foto: Wikipedia. 

Die exakte Widergabe des Konterfeits ist heute immer noch eine beliebte Methode. Doch kann ein Mensch sich auch verewigen, ohne sein exaktes Abbild? Nicht nur Dürer malte Objekte, die eng an seinen Körper gebunden waren und als eine weitere Art der Selbstinszenierung angesehen werden können. So wie es bei Dürer das Kissen war, so waren es bei Vincent Van Gogh etwa seine Schuhe (1886). Die abgenützten Schuhe werden oft als verstecktes Selbstporträt des Künstlers verstanden. Solche vom direkten Körper losgelösten Substitute, waren um 1800 in der Kunst verbreitet.

Vincent Van Gogh, Schuhe, 1886, Öl auf Leinwand, Van Gogh Museum, Amsterdam, Foto: Wikipedia.
Vincent Van Gogh, Schuhe, 1886, Öl auf Leinwand, Van Gogh Museum, Amsterdam, Foto: Wikipedia. 

Als die Fotografie aufkam, wurde eine neue, exakte und schnelle Methoden der Inszenierung möglich, ohne die zwingende Hilfe eines Spiegels und dem langen Beobachten. So inszenierten sich etwa Claude Cahun oder Lee Miller selbst vor der Kamera und thematisierten unter anderem Ideen von Selbstliebe, unabhängig vom männlichen Blick. Meret Oppenheim zeigte sich als Röntgenbild 1964. Komplett ausgeliefert, sehen wir in ihr Inneres und erfahren eine neue Realität. Doch der neue Blick verschleiert zugleich auch wieder. Nebst Meret Oppenheim, spielten auch weitere Kunstschaffende mit neuer Technik. Bei Jeff Wall (Doppelselbstporträt, 1979), verdoppelt sich etwa die eigene Person in der Fotografie, während Gerhard Richter die scharfe Fotografie wieder verunklärt und damit als Projektionsfläche auftritt (Hofkirche, Dresden, 2000). Ganz anders arbeitete der Künstler Felix Gonzalez-Torres, der sogenannte „Schriftporträts“ machte. So auch eines von sich mit dem Titel „Untitled“ von 1989. Ähnlich wie bei Van Gogh oder Dürer, zeigt er nicht die äussere Erscheinung einer Person, geht aber noch einen Schritt weiter. In einer nicht-figurativen Bildsprache, eröffnet er eine neue Form des Abbildes. Bei dieser Installation wird die Schrift zum Bildgegenstand, die Informationen über die Person freigibt. Könnten diese sogar akkurater sein als ein Abbild der Person? Der Künstler regt damit die Fantasie einer Person an und gleichzeitig reflektiert er die Worte dadurch auch auf die betrachtende Person zurück.

Claude Cahun, ohne Titel, um 1928, Fotografie, Detail des Selbstporträts, Foto: Wikipedia.
Claude Cahun, ohne Titel, um 1928, Fotografie, Detail des Selbstporträts, Foto: Wikipedia. 

Das Selbstporträt: Spiegel des Ichs und der Aussenwelt

Das Medium bestimmt also ebenfalls mit, welche Fragen und Antworten uns ein Selbstporträt über eine Person preisgibt. Die Frage nach dem Selbst ist also selbst für die Erzeuger:innen der Bilder schwierig zu beantworten. Zu Komplex scheint der Mensch. Kunstschaffende haben also die Macht, Bilder und Realitäten zu erzeugen, gleichzeitig sind ihre Werke aber auch dem Blick von Aussen und damit der Bewertung von Aussen ausgesetzt. Selbstporträts stellen eine menschliche Verbindung her und lassen nicht nur das Ich der abgebildeten Person erkunden, sondern auch unser eigenes Ich. Das scheint also die Schönheit und Faszination des Selbstporträts auszumachen.