White Canvas #6 drei Künstlerinnen über das Arbeiten während des Krieges
Heute ist der 265. Tag des Krieges.
In der Ukraine ist die Zeit in ein Davor und ein Danach unterteilt. Ich werde nie den Morgen des 24. Februar vergessen, als um 5 Uhr morgens alle zum Klang von Sirenen und Flugzeugen aufwachten, zum Klang von Explosionen, als die russische Luftwaffe Wohnhäuser, Stadtviertel, ganze Städte einfach ausradierte, Tausende von Zivilisten starben, und dann begannen mit Folter, Gewalt und Hinrichtungen. Das werde ich nie vergessen und nie verzeihen. Aus irgendeinem Grund war es nicht beängstigend, vielleicht weil die schrecklichsten Ereignisse nicht so nah waren, oder weil ich glaube, dass es keine Angst gibt, oder vielleicht einfach, weil keine Zeit dafür ist und ich nur an eines dachte - wie kann ich helfen. Spenden und Wohltätigkeitsauktionen haben begonnen. Ich bin in Kiew geblieben, obwohl viele Menschen abgereist sind, konnte ich aus irgendeinem Grund nicht alle und alles verlassen, ich dachte ständig, dass ich hier noch gebraucht werde.
Es gab genug Zeit, um zu überdenken, was passiert ist. Es ist, als ob die Liebe für die Ukraine, für die Menschen um sie herum, für alle, die jetzt an der Front sind, und für diejenigen, die helfen, indem sie zu Hause bleiben, wiedergeboren wird, und alles Materielle wird unbedeutend und banal.
Die ganze Zeit über habe ich versucht zu arbeiten. Wenn man abgelenkt ist, ist es nicht so schmerzhaft, diese Ereignisse wahrzunehmen. Was wir erlebt haben, hat meine naive innere Welt stark verändert. Und natürlich hat sich auch die Einstellung zur Kreativität verändert. Die Symbole und Bedeutungen, für die mich früher interessiert hatten, erwiesen sich nun als nicht mehr ausreichend aussagekräftig. Sie waren nicht mehr eins mit Emotionen und Gefühlen und verloren einfach ihre Bedeutung. Zum ersten Mal sah ich mich mit der Tatsache konfrontiert, dass ich einfach nicht genügend vorhandene Bilder habe, um all das zu vermitteln, was in mir vorgeht - ein Gefühl der Leere, wie ein leeres Blatt und nichts, womit man es füllen könnte, und wenn man die Augen schließt, sieht man ständig Bilder vom Krieg. Ich wollte mich der ewigen Kunst zuwenden, den alten Meistern, den Werken, die ewig zu leben scheinen. Ich habe mehrere Werke über den Krieg geschrieben und dabei die Bilder von Engeln und Heiligen verwendet. Wahrscheinlich können Künstler in mehreren Realitäten gleichzeitig leben. Die Arbeit hilft mir sehr, mich für eine Weile vor der Welt zu verstecken und einfach dorthin zurückzukehren, wo ich glücklich war. Ich fliehe in Erinnerungen, dorthin, wo es keinen Krieg gab.
Nach Kriegsbeginn erlebte ich mehrere Phasen des Wandels in meiner Einstellung zur Kunst. Von völliger Apathie bis hin zu gewissen Veränderungen in der Sichtweise auf sich selbst und seine Werke. Früher waren meine Zeichnungen eher abstrakt und ausdrucksstark, jetzt tendiere ich zu realistischen - körperlichen, sogar erotischen - Bildern, weil ich mit ihnen das Leben, seinen Wert und seine Schönheit würdigen möchte.
Die Skulpturen hingegen sind immer mehr von chaotischen Elementen durchsetzt, oft ohne Gesichter oder bestimmte Körperteile, obwohl ich früher in der dreidimensionalen Kunst nach maximalem Realismus strebte.
Die Dimensionen haben sich geändert, weil ich keinen festen Standort habe, so dass die Werke klein sein müssen, damit ich sie zu Hause machen kann.
Meine Kunst war nie politisch und wird es wahrscheinlich auch nie sein, aber ich verspüre den Wunsch, den Schmerz und die Verwirrung von Menschen zu zeigen, die plötzlich ihr Zuhause, ihren Arbeitsplatz, ihre Sicherheit verloren haben, und das nur, wenn sie Glück haben, denn viele, viele andere haben ihr Leben verloren - ihr eigenes oder das ihrer Angehörigen...
Kurz über mein künstlerisches Leben vor der militärischen Invasion der Ukraine durch Russland:
Nach einer einmonatigen Probezeit wurde ich in dem polnischen Studio BreakThruProductions angestellt, um Filmanimationen mit Ölfarben zu erstellen. Ich habe es nicht einmal geschafft, eine Woche in der Kiewer Filiale zu arbeiten, als die Bombardierung begann und die Filiale gezwungen war, ihre Arbeit einzustellen. Zu dieser Zeit bereitete ich mich auch darauf vor, meine Werke zu einer Wohltätigkeitsauktion zu schicken, um Geld für die medizinische Behandlung eines Kindes zu sammeln. Stattdessen haben meine Freunde und ich über 50 Werke ukrainischer Künstler gesammelt und die Einnahmen zur Unterstützung der ukrainischen Künstler gespendet. Ein russisches Projektil traf das Atelier meiner Freunde und Kollegen, in dem ich an einem neuen Projekt arbeitete, bevor ich meinen eigenen Raum fand. Viele andere interessante und wichtige Dinge sind nicht passiert, aber das ist nichts und absolut unwichtig im Vergleich zu der Tatsache, dass Tausende von Ukrainern ihr Leben verloren haben.
Als Russland begann, Kiew zu bombardieren, zog ich mit meiner Familie und einem Hund, den ich aus dem Tierheim mitgenommen hatte, in ein Dorf. Er hat Angst vor lauten Geräuschen und Explosionen, und diese Angst löst Epilepsieanfälle bei ihm aus. Der Hund war der Hauptgrund, warum wir von den Raketen weggezogen sind.
Da ich im Dorf wohnte, arbeitete ich jeden Tag als Freiwillige in ganz unterschiedlichen Bereichen, von der Suche nach Vermissten, bis hin zur psychologischen Unterstützung per Telefon. Ich war die Koordinatorin mit meinem Freund. Wir haben alles gefunden, was wir konnten, und zwar schnell. Jetzt arbeite ich alleine als Koordinatorin im künstlerischen Bereich. Ich war gezwungen, die Ukraine zu verlassen, um an der internationalen Ausstellung Nordart in Büdelsdorf, Deutschland, teilzunehmen. Zufälligerweise in dem Moment, als ich nach Deutschland gehen sollte, befreite unsere Armee diese Region der Ukraine von den russischen Invasoren. Das war die Zeit, in der meine Freundin und ich am besten arbeiteten. So fielen die meisten die Probleme, mit denen ich zu kämpfen hatte, von selbst weg. Ich lieferte 2 meiner Werke nach Deutschland.
Wegen des Krieges standen wir 2 Tage lang in der Schlange an, um über die Grenze zu kommen. Nachts, als ich neben dem Lastwagen stand, schaute ich in den in den Nachthimmel und sah Raketen auf Kiew zu fliegen.
Ich kam zum Aufbau der Ausstellung und wurde zusammen mit meinem Assistenten in einem Gästehaus auf dem Gelände untergebracht. Die Galerie half mir auch, indem sie den größten Teil der Kosten für die Lieferung der Werke aus der Ukraine finanzierte. Als ich zur Eröffnung in die Galerie zurückkehrte, mussten wir in diesem Haus wohnen, bis ich in eine neue Bleibe umziehen konnte.
Als ich in Deutschland war, wurde ich von der Organisation SWAN kontaktiert und fand sehr schnell die Residenz von NotQuit (Fengerschforsh, Schweden), wohin ich zog, um an einem neuen Kunstprojekt zu arbeiten. Dieser Ort entpuppte sich als ein kleines malerisches Dorf inmitten von Seen, Wäldern und Feldern, ruhig und angenehm, um sich ein wenig vom Dauerstress zu erholen. Zuerst dachte ich, dass ich einen Monat in der Residenz bleiben würde, dann dachte ich, evtl. bleibe ich zwei Monate, und dann bin ich in die Ukraine gegangen und habe meine Mutter und den Hund mit nach Fengerschforsh geholt. Der Besitzer des Hauses kam zu dem Treffen und erlaubte ihnen gerne, bei mir zu wohnen, was für mich eine große moralische Erleichterung war. Jetzt kann ich nichts mehr voraussagen. Dank der malerischen Natur und den freundlichen Menschen, die ständig zu versuchen scheinen mich entweder von der schrecklichen Realität abzulenken oder mich zu unterstützen, konnte ich mich ein wenig entspannen. Wenn man nicht in der Ukraine ist, macht man sich zwar auf einer anderen Ebene Sorgen, aber jede Angst und jede Nachrichten ist schlimmer wie mir scheint, als wenn man in Kiew sitzt. Ich bin seit fast einem halben Jahr in dieser Residenz, und sie wurde möglich dank der Hilfe von NotQuit, Artist in Risk, SWAN, VästraGötaland. Es scheint, dass ich ohne die Finanzierung durch wohltätige Kulturorganisationen wohl kaum weiter hätte als Künstlerin arbeiten können, da sie mir unter anderem ein Atelier und Mittel für Materialien zur Verfügung stellen.
Ich war jeden Tag ehrenamtlich tätig, bis ich vor Erschöpfung ausgebrannt war. Ich hatte nicht den Wunsch Künstlerin zu sein. Alles, wofür man lebt, ist der Horror und die Hilfe für andere. Nichts anderes macht Sinn, und das gilt auch für die Kunst. In den letzten zehn Jahren habe ich ununterbrochen Kunst geschaffen und an vielen ukrainischen und internationalen Kunstausstellungen teilgenommen, und das hat mir im Krieg geholfen. Ich habe viele Bekannte und Freunde, und die meisten von ihnen arbeiten zum Wohle der Ukraine. Ein so großer Bekanntenkreis machte es möglich, sehr schnell das zu finden, was nötig war, um den Menschen zu helfen. wenn du Künstlerin bist, bist du ein wenig medienfreundlicher, die Menschen vertrauen dirund sind eher bereit, zu einem Treffen zu kommen, Geld, Dinge oder vertrauliche Informationen schenken. Auch dank dessen reise ich mit meiner Kunst durch Länder und spreche über Themen, die heute sehr wichtig sind. Ich erweitere das Netzwerk der gegenseitigen Unterstützung, und ich erhalte moralische Unterstützung durch die Tatsache, dass Menschen aus anderen Ländern die Ukraine unterstützen.
Seit fast einem halben Jahr arbeite ich in der Residenz an einem Projekt über den Krieg. Ich arbeite langsamer als je zuvor. Das Einzige, was mich dazu bringt,einen Pinsel in die Hand zu nehmen, ist der Gedanke, dass ich als Künstler darüber berichten muss, geschehen ist. Ich muss um die Welt reisen und darüber berichten, dass nicht nur russische Politiker verachtenswerte Dinge tun. Ich arbeite langsam, denn fast jede Schreckensnachricht wirft einen so sehr aus der Bahn, dass man tagelang seine Gedanken sammeln muss. Man kann sich nicht konzentrieren, das Gehirn weigert sich und arbeitet nicht. Man kann nicht kalkulieren, was man morgen zu tun hat. Dann erholt man sich ein wenig von all dem und beginnt wieder zu existieren. Man plant, denkt sich Projekte aus, arbeitet, beginnt auf Nachrichten zu reagieren. Die Mechanismen in deinem Kopf beginnen normal zu funktionieren. Wenn man das normal nennen kann. Die meisten Ukrainer werden nie wieder dieselben sein. Und dann wieder neue Todesfälle und alles wiederholt sich im Kreis.
In der Tat ist Kreativität unter solchen Emotionen und Umständen sehr unproduktiv. Das Einzige, was für mich produktiv war, war die Freiwilligenarbeit. Selbst durch das Prisma der Scheiße hindurch arbeitet das Gehirn perfekt, logisch und die Gedanken sind koordiniert. Ich denke, das liegt an der Tatsache, dass man absolut daran glaubt, dass die Handlungen nützlich sind und ein vielleicht nicht sofortiges, aber ziemlich schnell sichtbares Ergebnis liefert. Bei der Kunst ist das anders, da ist das Ergebnis abstrakter und kann sich erst nach sehr langer Zeit manifestieren.
Vor der Eskalation des Krieges begann ich ein Projekt über die Dualität der Toleranz und die Tatsache, dass es in einer Gesellschaft ohne Hass keinen Bedarf an Toleranz gibt. Und jetzt glaube ich nicht an die Möglichkeit einer vollständigen Toleranz in meinem Land. Ich möchte zeigen, was die Ukraine fühlt, was ich fühle und wie schlüpfrig diese Toleranz jetzt erscheint. Wie schwierig es ist daran zu erinnern, dass es irgendwo Russen gibt, die offiziell gegen den Krieg protestieren und dass sie nicht mit der Masse der grausamen Sklaven des russischen Terrorregimes verwechselt werden dürfen, das in diesem Land seit vielen Generationen gediehen ist. Das neue Projekt, das aus einer Reihe von Arbeiten über die Tatsache bestehen wird, dass alle gewöhnlichen Dinge, alltägliche Szenen die Farbe gewechselt haben.
Jede Szene des Lebens ist alltäglich, aber man hat das Gefühl, dass etwas mit der normalen Realität nicht stimmt. Alles, was du jetzt tust, hast du auch vorher getan, aber jetzt siehst du alles durch das Prisma des Krieges, denn du kannst nicht aufhören über den Krieg nachzudenken. Schließlich kann man sich nicht mehr von den Schrecken ablenken, die man gesehen, gelesen oder gehört hat. Du denkst immer daran, wenn du aufwachst und wenn du einschläfst.
Wenn ich male, denke ich an vergewaltigte, verstümmelte Menschen, an Folterkammern und Menschen die dort gelandet sind. Jede positive Nachricht über die befreiten Gebiete der Ukraine in den folgenden Tagen offenbart neue Schrecken, die dort geschehen sind. Man kann sich nicht freuen über die Freiheit der Menschen, man spürt sofort den Schrecken dessen, was diese Menschen später erzählen werden. Ich denke an Asow, wie ukrainische Soldaten gefoltert und dann angezündet werden, um das zu verbergen, wie sie Frauen mit Panzern zerquetschen. An die Inschrift "Kinder" auf dem Dach des Theaters in Mariupol und dass dies das russische Militär nicht davon abhielt, dort eine Bombe abzuwerfen. Über den menschlichen Schutzschild aus ukrainischen Musikern, den die Russen vor sich hinstellten. Darüber, dass die Tschetschenen die ersten waren, die Hunde töteten, als sie in das Dorf eindrangen. Wie eine Großmutter, die wir schon lange in Sewerodonezk gesucht hatten sich weigerte, sich zu evakuieren, und als sie nach langer Zeit evakuiert wurde, wurde sie verrückt. Ich habe mit dem Militär gesprochen, mit Leuten aus vielen Städten, ich habe einen Soldaten angerufen, der an der Front war und der sich entschuldigte, dass er mir nicht helfen konnte. Über Öl, über wirtschaftliche Beziehungen mit Russland. Und über all die Menschen, denen dieser Krieg egal ist oder die ihn leid sind. Ich lasse mein Handy nicht los, verfolge ständig die Nachrichten. Ich ärgere meine Freunde, indem ich frage, ob sie noch leben, weil sie Soldaten sind oder neben ihnen Raketen einschlagen. Jetzt weiß ich, ob sie noch am Leben sind, weil sie in den sozialen Netzwerken etwas posten, oder wenn sie meine Beiträge in den sozialen Netzwerken markieren.
Mein Projekt zeigt, dass sich das Leben von wahrscheinlich allen Ukrainern und mir verändert hat, was die Kommunikation mit Freunden auf ein Minimum reduziert hat. Und derzeit kommuniziere ich meist nur noch geschäftlich. Parallel dazu analysiere ich in meinen Arbeiten das Thema der Einsamkeit. Man ist einsam und distanziert, gleichzeitig aber auch völlig in die Ereignisse involviert. Ich muss über den Krieg sprechen, darüber, womit die ukrainische Kultur konfrontiert wurde. Ich muss diese Informationen neu überdenken und umformulieren. Ich werde die Menschen nicht vergessen lassen, dass wir einen Krieg erlebt haben, weder in der Kommunikation noch in meiner Arbeit. Das Leben in der Ukraine ist eher wie in einem Film. Besonders die Geschichten über das Heldentum von Soldaten und Zivilisten. Und zu meinem Bedauern ist es auch ähnlich wie in Filmen über Wahnsinnige, was die Russen den Menschen während der Besatzung antun, ist ein absoluter Horror. Sie tun es, weil sie es können. Es ist wie bei der Performance "Rhythm 0" von Marina Abramovic, man kann nie wissen, was ein Mensch erreichen kann, wenn man ihm völlige Freiheit und Straffreiheit gibt. Kurz gesagt, es passiert etwas, was der Verstand eines gesunden Menschen nicht glauben will. Jeder Tag in der Ukraine ist gefüllt mit solchen Geschichten, also genug für ein ganzes Leben.
Jetzt ist die Zeit, in der ein einzelner Mensch viel verändern kann, jeder, der sich engagiert, hilft uns zum Sieg. Und es muss verstanden werden, dass dies eine Anthillin ist, die es nicht unpolitische Menschen sein sollten. Ich möchte vermitteln, dass es sehr wichtig ist, zumindest sich minimal zu beteiligen, und sei es nur, um den eigenen Standpunkt zu vertreten. Wir können nicht wegbleiben, indem wir Neutralität wählen. Wenn eine Person die Entscheidung trifft, die Augen vor einer Menschenrechtsverletzungen zu verschließen, trifft diese Person die Entscheidung, die Verletzung von Rechten nicht zu verurteilen, dass sich das alles wiederholt und nochmals passiert. Jetzt bin ich in Schweden und arbeite daran, verschiedene Möglichkeiten zu finden, der Ukraine zu helfen. Ich habe mehrere Wohltätigkeitsprojekte in der Entwicklung.