Dominik Schlumpf: Eishockeyspieler beim EVZ ganz persönlich als Künstler
Kaum im Atelier, beginnt auch schon das Gespräch. Kein Wunder. Die Farben, die Bilder, die an den Wänden hängen oder auf dem Boden liegen, 1000 Fragen schwirren durch die Luft!
C: Dominik, welches ist Deine Lieblingsecke im Atelier?
D: Sie ist bei den Materialien, bei den Steinmehlen. Mein Lieblingsinstrument ist der Spachtel. Mit ihm kann ich Farben, Pigmente und verschiedene Steinmehle auftragen, den Untergrund aufschaben, um mit dem Zerkratzen des Steinmehls einen Tiefeneffekt zu erzeugen. Ich habe mir alles selbst beigebracht. Aus Büchern gelernt. War nie an einer Kunstschule oder habe Kurse besucht. Ich bin Autodidakt und lerne durch Experimentieren. Ich verwende zum Beispiel Steinmehl. Dann den Kaffeesatz als Untergrund, das Marmormehl darüber. Der Kaffeesatz eignet sich gut, um die Feuchtigkeit zu entziehen und um die Farbe zu geben. So entstehen extreme Rissbildungen im Steinmehl. Zusammen mit dem Marmormehl sieht das dann aus wie die Birke in der Natur. Mit dem Spachtel kratze ich ein, zerstöre. Auch das simuliert Birkenrinde/Faserriss.
C: Hast Du ein Ritual bei Deiner künstlerischen Arbeit? Oder kommst Du ins Atelier, machst die Tür zu und beginnst?
D: Ich bin nicht täglich im Atelier. Wir haben sechsmal die Woche Training plus zwei bis drei Spiele. Der Sonntag ist unser Ruhetag. Je nach Belastung ist Mittwoch eher ein leichterer Tag mit Krafttraining ohne Eis. Wenn ich Zeit habe, gehe ich nach dem Training ins Atelier. Dann kann ich mich da vollkommen der Kunst widmen und versetze mich voll und ganz in meine Bilder. Weil ich nicht täglich ins Atelier gehe, weiss ich, welche Ideen ich umsetzen will und brenne darauf. Ich sehe das als Vorteil, wenn ich Zeit habe, gehe ich hin und beginne gleich mit der Arbeit.
C: Willenskraft und Selbstkontrolle sind zwei zentrale Stärken, die man als Künstler:in und aber auch als Sportler:in haben muss. Für beide Bereiche sind Ausbildung und Training wichtig. Sven Güldenpfennig (dt. Sportwissenschaftler) nennt vier Punkte, was Sport ist. Einer davon ist: Sport ist leistungsbezogen – Er strebt nach Exzellenz, Perfektion, Vollkommenheit. Wie und wo siehst Du das in Deiner Kunst?
D: Ich sehe die Perfektion in meiner Kunst eher im Imperfekten. Es muss nicht alles perfekt gemalt werden. Das Imperfekte macht meine Werke aus. In der Imperfektion liegt die Schönheit.
C: Güldenpfennigs zweiter Punkt lautet: Der Körper ist das Medium. Der Körper hat Grenzen. Man will immer mehr und mehr. Und Du sagtest einmal, Kreativität ist grenzenlos. Suchst Du nach einer Herausforderung oder nach Unbekanntem? Bist Du stets auf der Suche nach Neuem?
D: Ja, auf jeden Fall. Ich bin immer wieder offen für Neues und immer auf der Suche nach gewissen Sachen, die ich noch nicht kenne und die ich dann auf einem Papier ausprobieren kann, um zu schauen, wie das so entsteht und wie ich das dann auf die Leinwand bringen kann.
C: Was spielt Dein Körper für eine Rolle in Deinem Werk? Im Sport ist er ja ein Werkzeug und ein zentraler Bestandteil. In Deiner Kunst?
D: Nein, mein Körper wird wenig beansprucht. Ich spüre auch keine Müdigkeit, wenn ich an einem Bild arbeite, auch wenn es mal vier, fünf, sechs Stunden sind. Dann bin ich auch in einer anderen Welt. Die Müdigkeit kommt eventuell erst dann, wenn ich am Abend zu Hause bin.
C: Du vergisst ja auf dem Eis auch die Zeit.
D: Ja, auf jeden Fall, das ist bei den Spielen genau dasselbe. Du bekommst nicht mit, was um dich herum passiert, es ist wie in einem Tunnel, der Fokus ist nur auf dem Spiel, auf dem, was Du machen musst, Du vergisst auch alles rundherum.
C: Was war das letzte, was Du entdeckt hast?
D: Es ist das, was man jetzt auf den Bildern sieht. An denen bin ich primär am Arbeiten. Steinmehl, Sand, Karton, dann probiere ich, den Tiefeneffekt zum Entstehen zu bringen. Um alle Schichten der Bilder sichtbar zu machen. Aber etwas superneues habe ich gerade nicht entdeckt. Oder ich entdecke Dinge wieder neu. Ich habe mal eine Serie mit Fensterläden erarbeitet. Dort arbeitete ich mit Papier und habe so die Fensterläden nachgestellt.
C: Es ist Dein Markenzeichen: Uns als Betrachter:innen hinters Licht zu führen. Wenn man meint, man hat Dein Werk durchschaut, wird man eines Besseren belehrt. Caillois, ein französischer Soziologe stellt in einer Spieltheorie fünf Gesetze eines Spiels auf. Eines davon ist die Mimicry, das Tricksen, das Spiel, die Maskierung. Das sehe ich bei dir sehr. Deine Werke sind irritierend, es sieht nach etwas Bestimmten aus, doch das täuscht. Es sieht aus wie Rinde oder Metall, welches oxidiert. Stattdessen nimmst Du Eisenpulver und gehst danach mit Oxidationsmittel darüber. Ein anderes Gesetz ist, dass der Ausgang des Spiels stets unvorhersehbar ist. Der Zufall spielt eine grosse Rolle. Was bist Du für ein Mensch, wenn Du auf dem Eis bist? Bist Du eher zurückhaltend? Oder umsichtig und behältst Du die Übersicht?
D: Das denke ich sicher auch, ja, aber ich setze mich auch voll in den Dienst der Mannschaft und bin ein harter Arbeiter auf dem Eis.
C: Das heisst, Du löst dich auf, es gibt keinen Dominik als Individuum mehr und gibst dich ins Spiel, da wo es dich braucht.
D: Genau, es ist sicher immer das Ziel, wie ich dem Team am besten helfen kann, und dass das Team den Erfolg bekommt und wir als Gruppe stark sind, damit wir das Ziel erreichen können. Ich stelle mich voll in den Dienst der Mannschaft. Jeder hat seine Rolle, und wenn jeder seine Rolle akzeptiert und perfekt ausübt, kann es sein, dass man den Erfolg am Ende der Saison holt oder seine Ziele erreicht.
C: Und Du als Einzelkünstler, ohne Mitglied zu sein in einer Künstler:innengruppe, sogar alleine im Atelier? Was für Vorteile ziehst Du daraus?
D: Ich mag diese Ruhe sehr. Wenn ich am Malen bin, höre ich auch keine Musik. Es muss ruhig sein, damit ich mich konzentrieren kann bei dem, was ich gerade mache, damit ich meinen Ideen auch freien Lauf lassen kann. Hier bin ich auch sehr gelassen.
C: Sind denn Deine Bilder Deine Teammitglieder? Oder bist Du hier der Chef?
D: Das würde ich jetzt nicht so sagen. Es gab auch Situationen, bei denen ich es einfach wirken lassen wollte und eine Nacht darüber geschlafen habe und am nächsten Tag sah es komplett anders aus. Aber es gefiel mir dann doch. Der Zufall hat mitgespielt und ich habe es dann so belassen. Und andererseits habe ich andere Sachen korrigiert, die mir nicht gefallen haben.
C: Der Zufall ist ein grosser Faktor der Kunst aber auch beim Sport. Bei der Kunst kann es ein positiver Bestandteil sein, beim Sport eher etwas, womit man rechnen muss.
D: Genau das kann man beim Sport nicht voraussehen, da muss man probieren, die Ruhe zu wahren und je länger man spielt, desto routinierter wird man. So hat man auf unerwartete Dinge eine Antwort. Das gleiche kann ich zum Teil in meine Malerei übernehmen, auch das mit dem «ruhig bleiben» und sich in Geduld üben. Anfänglich war ich auch ungeduldig mit den Materialien, weil ich zuerst herausfinden musste, wie diese funktionieren. Zum Beispiel mit diesem Marmormehl, das ich zu früh wieder weiter behandeln wollte, weil ich gerade die Idee hatte. Es war aber noch nicht richtig trocken und nicht so wie ich wollte. Es konnte gar nicht richtig halten auf der Leinwand. Da musste ich lernen, geduldig zu sein und es eine Nacht ruhen zu lassen, um danach weiterzuarbeiten.
C: Woher kommen Deine Ideen?
D: Inspiration finde ich oft auf längeren Busfahrten, wenn wir zu Matches fahren. Sie kommt mir beim aus dem Fenster schauen, beim Umherschweifen, sie kann bereits bestehende Werke ergänzen oder neue Ideen entstehen lassen.
C: Kunst kann als Instanz der Erkenntnis wirksam sein. Kann das Eishockey/Sport auch? Hans Georg Gadamer (dt. Philosoph) benennt das Spiel als Kunsterfahrung. «Das Spiel hat ein eigenes Wesen, unabhängig von dem Bewusstsein derer, die spielen.» Das Spiel wird zum Kunstwerk durch die Verwandlung ins Gebilde und das, was nun ist, ist das bleibende Wahre, das Erlebnis des Zuschauenden. Also, nachdem das Spiel fertig ist, ist alles so wie es war, was auch Caillos meinte. Also erst die Zuschauenden oder die Betrachtenden machen das Spiel oder Werk zu dem, was es ist. Was wünschst Du Dir für Deine Werke?
D: Ich bin hier sehr demütig und möchte, dass der Betrachter oder die Betrachterin ein Leben lang Freude hat an dem Bild und die Gefühle weiterträgt, die er/sie beim Betrachten gefühlt hat. Das bereitet mir am meisten Freude.
C: Danke herzlich für Deine Zeit und Dein Vertrauen.
Anmerkung: Rost ist auch eine Art Selbstschutz. Es durchzieht das Werk von Dominik. Er lässt es aber rosten und stoppt es wieder. So wie er das für richtig empfindet. Sehe nur ich die Parallelen zu seinem Spiel? Es war ein wunderbares Gespräch.