M A T E R I A L M U T A T I O N E N

04.08.2022
Verena Kandler

Collagen aus Fundmaterialien der Maxvorstadt München.

Ausstellung von Verena Kandler in der U-Bahn-Galerie München vom 01.08. bis zum 30.08.2022.

Text von Verena Kandler

Im Fokus der Ausstellung steht die Erforschung und Materialverwertung von Fund- und Sammelobjekten aus der Maxvorstadt. Arbeitsgrundlage sind nicht mehr verwendete Motivbanner der Pinakotheken München. Zum Gegenstand der Verwertung werden Motivfragmente aus Dürers Selbstbildnis im Pelzrock sowie François Bouchers Barockwerk Madame de Pompadour. Bei ersterem sind Auge und Haardetails des Künstlers Albrecht Dürer zu sehen, bei letzterem eine Großansicht des abgebildeten Schuhs. Durch die Wahl des Ausschnitts wird den dargestellten Motiven eine Symbolmacht zugestanden: Auf dem Bannerausschnitt mit Schuh erforsche ich die Grundsätze, den Bodensatz sowie einen Standpunkt unserer Gesellschaft. Der stehende Schuh ist eine Momentaufnahme einer  gesellschaftlichen Dynamik. Es stellt sich die metaphorische Frage: wo stehen wir? 

Motive des Barocks wie Überladenheit, Schein und Vergänglichkeit finden in unserer westlichen Gegenwart eine historische Parallele. Die Arbeit untersucht Prozesse des Abstreifens von Kulturpraktiken und die neo-archäologische Anhäufung dieser Schalen, Häute und Exoskelette ehemaliger und (noch) gegenwärtiger Güter der Menschheit. In der inhaltlich entgegengesetzten Arbeit mit Dürers Augenausschnitt werden die Beobachtungen der vorherigen Arbeit von einer künstlerischen Linse gebündelt und auf eine mögliche Zukunft projiziert. 

Damit stelle ich meine Rolle als Künstlerin dar: Ich verstehe mich dabei als Initiatorin und Netzwerkerin inmitten gesellschaftlicher Wandlungsprozesse. Eine Gemeinschaftscollage in Kooperation mit dem Turtle Magazine verbindet diese beiden Ansätze der Zeitlichkeit und stellt gleichzeitig eine vielsprechende Methodik für Wandel dar. Dargestellt sind Materialmutationen und Wachstumsstränge, die sich gegenseitig vernetzen und im Austausch Veränderung bewirken. Wobei sich Mutation in diesem Kontext analog zur Zellmutation als natürlicher Prozess der Entwicklung und des Ausprobierens versteht. Die entstandenen Netzwerke und Verbindungen funktionieren auf experimenteller Ebene wie ein Echolot, das nach Lösungen und Weitblick sucht. Damit drückt sich das tiefste menschliche Streben nach Fortschritt sowie eine zur Gier neigende Wollust nach Neuerung aus. 

Auch der Begriff Fadenspiele wird zum zentralen Motiv der Ausstellung, der dem literarischem Text Unruhig Bleiben von Donna Harraway entlehnt ist. Der Begriff tritt als Äquivalent zur verbalen Fügung Mit-machen auf. Demnach ist kein Organismus für sich alleine stehend oder selbstorganisiert: alles braucht ein Netzwerk um ganzheitlich etwas zu bewegen. Die kanonisierten Bildmotive der Kunstgeschichte verbinden sich während der prozesshaften Ausstellung mit Fundobjekten und Abfallmaterialien aus der Münchener Maxvorstadt. Dabei werden Kultur- und Materialerbe auf einer nicht-linearen Zeitachse bis in eine mögliche Zukunft visualisiert und räumlich verortet. Glitzernde Materialcollagen treffen auf Szenen grotesker innerer Menschlichkeit und werden als Rauminstallation inszeniert. 

Die entstandenen Arbeiten sind nach der Ausstellung direkt auf meinem Art24 Profil einsehbar. 

Die Termine vor Ort sind: Live-Collage am 2./3.und 25.8. von 14-17 Uhr und die Finissage am 26.8. ab 19 Uhr. 

Weitere Infos zu meiner Arbeitsweise und Leistungen wie Workshops und künstlerischen Arbeiten ist auch auf meiner Webseite zu finden.