Sehnsuchtsorte - Die Geschichte von Künstlerkolonien
Sehnsucht Natur
Raus in die Natur, weit weg von rasch wachsenden Städten, industriellen Fortschritten, rauchenden Fabrikschloten. Hinaus in unberührte, abseits von moderner Zivilisation gelegene, unberührte Landschaften, die Idylle pur Versprechen. Bloss weg vom akademischen Reglement und einem zunehmend organisierten Ausstellungsbetrieb, der eine Abhängigkeit von Kunstkritiker:Innen, Kunsthändler:Innen und einem kaum zu definierendem Publikum nach sich zog. Es war allgemein eine Aufbruchsstimmung zu spüren, in der ganze Generationen von Kunstschaffenden nach neuen, ungewöhnlichen Ausdrucksmöglichkeiten suchten. Sie machten sich auf den Weg nach Abenteuern, um die Schönheiten von (heimischer) Landschaft und idyllischen Orten aufzuspüren. Wie einst französische Künstler, die um 1830 das Dorf Barbizon für sich entdeckten und die Plein-Air-Malerei (dt. Freiluft-Malerei) zur Grundlage ihres Schaffens machten. Durch ihre Forderung «Retour À La Nature» wurden sie gleichsam zu Geburtshelfern vieler Künstlerkolonien quer durch Europa, die bewusst Naturnähe praktizierten: Von Finnland, Schweden, Norwegen und Dänemark über England, Niederlande, Frankreich, Deutschland und Polen bis nach Rumänien, Ungarn, Österreich, die Schweiz und Italien.
Auf der Suche nach neuen Themen
Die Entstehung einer Künstlerkolonie erfolgte zumeist schrittweise. Hatte ein Künstler, damals seltener eine Künstlerin, den «schönen Traum-Ort» mit intakter Natur inklusive einer möglichst grossen Fülle an reizvollen Motiven und einer originalen Volkstümlichkeit (bisweilen mit Hilfe von Reiseliteratur) gefunden, wurde dieser so oft wie möglich alleine bereits oder mit Künstlerkollegen aufgesucht. Es war dann nur noch eine Frage der Zeit, bis ein Ort und seine Umgebung voller landschaftlicher Schönheiten regelmässig Kunstschaffende, aber auch Akademieschüler:Innen aus Nah und Fern anlockte, als lohnenswertes Reiseziel empfohlen und schliesslich zur Künstlerkolonie erkoren wurde. Hier traf man in ungezwungener Runde auf Gleichgesinnte, diskutierte über methodische und technische Erfahrungswerte, erhielt innovative Impulse für den eigenen schöpferischen Arbeitsprozess, organisierte gemeinsame Feste und fand in gegenseitiger Inspiration zu neuen Themen. Kurzum: die Freilichtmaler profitierten in vielfältiger Hinsicht, wie ihre vor Ort entstandenen licht- und farbdurchfluteten Werke noch heute widerspiegeln.
Fokus Norddeutschland
Moorgebiete, Wälder, unzählige Seen, Strände, Küsten und unberührte Fischerdörfer: Norddeutschland war und ist nach wie vor ein ideales Refugium für Kunstschaffende, die abseits der Grossstädte auf der Suche nach künstlerisch-schöpferischen alternativen waren und sind. Es ist Fakt, dass sie die Entwicklung der modernen Kunst um 1900 massgeblich beeinflussten. Da wäre etwa Worpswede bei Bremen zu nennen, das mit Paula Modersohn-Becker, eine der bedeutendsten Malerinnen der europäischen Moderne, Geschichte schrieb. Oder die Künstlerkolonien Schwaan, Ahrenshoop, Hiddensee und Fischland-Darss, Heikendorf an der Kieler Förde oder das kaum mehr bekannte, heute zu Dänemark gehörende Ekensund an der Flensburger Förde, um nur einige Orte zu nennen, wo progressive Künstlergemeinschaften die Freilichtmalerei vorantrieben. Dass so manche Künstlerkolonie allmählich von Neugierigen und Tourist:innen - mit allen Vor- und Nachteilen - aufgesucht wurde, geschah gewiss nicht zur Freude aller Künstler:innen. Auch wenn noch heute etliche dieser Künstlerorte, die ihr einstiges Flair erhalten haben, touristische Überflutungen zu spüren bekommen, haben sich moderne Künstlerkolonien und Communities gebildet, die ihre Tore für Kunstliebhaber:innen weit geöffnet haben, wie etwa in Eckernförde auf der Carlshöhe erlebbar.
Literaturhinweise:
Pese Claus: (2002). Künstlerkolonien in Europa. Im Zeichen der Ebene und des Himmels. Ausstellungskatalog des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg.
Gerhard Wietek (Hg., 1976): Deutsche Künstlerkolonien und Künstlerorte. München: Karl Thiemig.
Bildnachweis:
Malerkolonie Ekensund. Wilhelm Dreesen, 1885. Archiv des städtischen Museums Flensburg.