White Canvas #15 Silvia Salvagno Back Home

16.02.2024
Silvia Salvagno

Silvia Salvagno ist eine begnadete Künstlerin der art24-Community. Sie spricht in diesem White Canvas Text über ihr Leben an verschiedenen Orten und wie sie zur Kunst kam.

Heimkehr

In diesem Text spüre ich auf, wie meine Wurzeln meine künstlerische Praxis beeinflussen und ihr helfen, sich über die Zeit und die Kulturen hinweg zu entwickeln und zu verändern.

Es ist schon viele Jahre her, dass ich meine Heimatstadt in Argentinien das letzte Mal besucht habe. San Francisco in der Provinz Córdoba. Es ist ein ruhiger Ort in einer landwirtschaftlichen Region in der Pampa. Ich habe die besten Erinnerungen an meine Kindheit und Jugendzeit hier: Mit dem Fahrrad in meiner weissen Uniform (guardapolvo) zur Schule fahren, mit Freund:innen Blätter und Käfer im Nachbarschaftspark sammeln, das Schwimmbad und die Spiele während der langen, faulen Sommermonate, Ballett- und Zeichenunterricht nach der Schule, "fiestas de quince" (die traditionellen Feste zum Erwachsenwerden, bei denen ein Mädchen 15 Jahre alt wird), Frühlingsfeste, Sonntage auf dem Bauernhof meiner Grosseltern (nonnos), mit meiner Nonna häkeln lernen, mit meinen Tanten und Onkeln Karten spielen und so viele andere Momente, die ich für immer in Erinnerung behalten werde.

Viele meiner Schulfreund:innen haben sich dafür entschieden, ihre Familien hier zu gründen. Einige haben im Ausland studiert und gearbeitet, sind aber nach einigen Jahren wieder zurückgekommen, "weil es einfach ein so guter Ort ist, um zu leben und eine Familie zu gründen". 

 

1 - Wiedersehen mit meinen Freunden aus der High School

 

2 - Meine Eltern, Rita und Luis. Meine Mentoren und die besten Eltern, die man sich wünschen kann.

 

In meinem Fall hat mich das Leben nach meiner Ausreise in viele Städte und Länder der Welt geführt. Ich kann nicht leugnen, dass mich diese Reise in vielerlei Hinsicht verändert hat und ich sah, wie sich mein Blick auf die Welt, ebenso wie meine Möglichkeiten, erweiterten. Aber auf meinem Weg zog es mich immer wieder zu dem zurück, was mich am glücklichsten machte: die Kunst. Ich sah, wie sich diese Liebe von einem Traum in meinen Beruf verwandelte. Es klingt so leicht in diesen wenigen Zeilen, aber ich brauchte viele Jahre, Misserfolge, das Aufstehen und Finden neuer Perspektiven und viel Mut, um meine künstlerische Praxis aufzubauen und weiter voranzukommen, während ich weiter lernte und mich neu erfand.
 

Obwohl meine Praxis in jedem neuen Land, das ich erkundet habe, gewachsen ist und sich weiterentwickelt hat, kann ich erkennen, dass alles, was ich in meiner Heimatstadt gelernt und erlebt habe, immer in meinen Gemälden und in meiner Weise, Kunst zu teilen, durchscheint. Da ich aus einer Kleinstadt stamme, ist das Gefühl, zu einer Gemeinschaft zu gehören, auf die man sich verlassen kann und die einen "versteht", tief in mir verwurzelt. Das hat mich immer dazu inspiriert, nach Möglichkeiten zu suchen, meine Arbeit mit anderen Nomaden und den Gemeinschaften, die uns auf unserer Reise willkommen geheissen haben, zu teilen. 
 

Mit meinem Offenen Atelier möchte ich etwas zurückgeben, indem ich ein Gemeinschaftsgefühl schaffe, das mich an meine Kindheit erinnert, während ich gleichzeitig die Liebe zur Kunst mit Gleichgesinnten teile. Ich bemühe mich, einen einladenden Raum zu bieten, in dem die Menschen die Freiheit haben, etwas zu schaffen und sich durch die einzigartige Sprache der Kunst zu verbinden. Heutzutage kann ich dank der sozialen Medien auch in Gemeinschaften wie der von art24 Zugehörigkeit finden und meine Reise mit Künstler:innen und Kunstliebhaber:innen auf der ganzen Welt teilen. Diese Art von Interaktion hat es mir ermöglicht, mit so vielen künstlerischen Hintergründen in Kontakt zu treten und aufregende neue Möglichkeiten zu erschliessen.

In meiner Arbeit sind immer viele Schichten zu sehen, ebenso wie die Schichten der Erfahrungen, mit denen das Leben mich gesegnet hat. Das ganze Werk kann nur dann vollständig oder die Komposition ausgewogen sein, wenn sich alle in Harmonie vermischen. Ich halte meine Palette einfach, indem ich immer wieder zu den Grundtönen zurückkehre, um verschiedene Farben und Schattierungen zu schaffen, wobei ich mich vom Wesentlichen entferne. Ich frage mich: Kann dies die Sehnsucht nach dem einfachen, langsamen, aber reichen Leben sein, das ich an diesem kleinen Ort der Welt gelebt habe? Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Frage jetzt beantworten kann, aber es ist eine Frage, die meine Nachforschungen am Leben erhält und mich antreibt, den authentischsten, rohesten und ehrlichsten Weg zu finden, der Welt meine Geschichte zu erzählen.

Die Werte meiner Heimatstadt haben mich in vielerlei Hinsicht zu meiner eigenen künstlerischen Praxis inspiriert, und ich war überglücklich, als ich bei meiner letzten Reise in die Heimat sah, dass auch andere lokale Künstler:innen an dieser Praxis teilnehmen.  Es war so ermutigend und inspirierend zu sehen, wie die Strassen meiner Stadt im Rahmen des Programms "Las Paredes Hablan" - Die Wände sprechen - mit lebendiger Strasssenkunst gesäumt waren. Diese kulturelle Initiative, die hauptsächlich vom Kulturministerium der Stadt  finanziert wird, wurde im Mai 2022 mit dem Ziel ins Leben gerufen, den öffentlichen Raum durch Kunst zu verändern. Von einem Platz bis zum Wassertank der Grossstadt konnte ich meine geliebte Stadt durch eine andere Brille sehen. Und zu sehen, wie einheimische Künstler:innen ihre Ansichten, Träume und Ideen auf eine Art und Weise zum Ausdruck bringen, von der ich als Kind nur träumen konnte, erfüllt mich mit Freude.

 

3 - Von Vivas gemaltes Wandgemälde im Park meines Viertels. Auf der Plaza Barrio Jardin.

 

4 - Mural by Alfredo Segatori alfredosegatori. "Las vacas que vuelan" cows that fly.

 

5 - Wandgemälde von Ramón Cortez.

 

6 - Hommage an die ersten italienischen Einwanderer in San Francisco.

 

Ich hatte auch die Gelegenheit, eine Ausstellung in der "Tecnoteca" der Stadt zu besuchen, einer relativ neuen Einrichtung, die Aktivitäten und Workshops zu den Themen Technologie, Kultur und Bildung anbietet. Die Kunstausstellung zum Jahresende vereinte 25 lokale Maler:innen und Bildhauer:innen und bot dem Publikum die Möglichkeit, eine Vielzahl von Techniken und Stilen zu entdecken.

Ein weiterer Höhepunkt meines Kontakts mit der lokalen Künstler:innengemeinschaft war die Entdeckung der Arbeit der Künstlerin Anahí Venica (@anahigracielavenica). Anahí beschreibt sich selbst als eine Frau, die ständig neue Erfahrungen macht und sich vorwärts bewegt. "Ich mag keine Routine, und so geht es mir auch mit der Kunst. Ich habe monochrome Werke und andere mit Polychromie, dasselbe mit traditionellen und digitalen Zeichnungen. Ich erinnere mich, dass ich aus Neugierde angefangen habe, herauszufinden, was ich mit meinem Handy zeichnen kann; dann, während der Pandemie, habe ich mich mit einem Tablet der digitalen Zeichnung zugewandt. Ich habe mich immer gerne selbst herausgefordert. Meine Kunst ist ehrlich und kommt aus dem Vergnügen heraus".

Ich kehrte daher mit neuer Energie in meine Heimat zurück, um weiter zu schaffen und die Geschichte meiner Reise in die Welt auf die ehrlichste Weise zu erzählen, die ich kenne - mit Pinsel und Farbe. Der Besuch des Ortes, an dem diese Reise begann, und die Wiederbegegnung mit der dortigen Kunstszene waren ein wahrer Genuss und eine ergreifende Erinnerung daran, dass wir höher und stärker wachsen können, wenn wir in unseren Wurzeln verankert bleiben.

 

7 - Espacio El Periodico. Ausstellung von lokalen Künstlern in der "Tecnoteca" San Francisco.

 

8 - Anahi Venica mit ihrer Arbeit in ihrem Atelier.

 

9 - Einige Werke aus meiner Nostalgie-Serie, inspiriert von meinen Kindheitserinnerungen. Nonnos Großeltern - Öl, Holzkohle.

 

10 - Nonnos (Grosseltern) I - Öl, Holzkohle und Stickerei auf Leinen

 

11 - Nonnos (Grosseltern) II - Öl, Holzkohle und Stickerei auf Leinen

 

12 - Nonnos (Grosseltern) III - Öl, Holzkohle und Stickerei auf Leinen