Künstliche Intelligenz und Kunst – eine Annäherung

06.06.2022
Martina Kral

Maschinen, Künstliche Intelligenz (KI), Kreativität und Kunst. Wie passt das zusammen? Was heisst es für Kunstschaffende, wenn datengefütterte, emotionslose Computersysteme Kunstwerke erschaffen? Kann künstliche Kreativität mit menschlicher in Konkurrenz treten? 

Obwohl das Forschungsgebiet von KI und Kunst noch lange nicht ausgelotet ist, lassen sich spannende, faszinierende Entwicklungen und Projekte parallel zur analogen Kunstwelt entdecken.

EINE MASCHINE ZEICHNET

Ratternd und quietschend setzt sich die motorisierte Zeichenmaschine per Knopfdruck in Gang. Der von mir fixierte Stift in der beweglichen Halterung kritzelt gesteuert über ein Blatt Papier. In kurzer Zeit entsteht aus krakeligen Strichen und Linien eine abstrakte Zeichnung. Die Maschine zeichnet selbständig weiter. Solange, bis ich den Vorgang stoppe. Oder die Zeit abgelaufen ist. Erfunden und konstruiert hat sie Jean Tinguely (1925–1991), ein Hauptvertreter der kinetischen Kunstrichtung in den späten 1950er Jahren. Frei nach dem Motto: setze die Maschine in Gang und du wirst Künstler:in.

Irritiert schaue ich die Zeichnung an. Entstanden mittels Zufallsprinzips. Wie auf der Blattrückseite dokumentiert ist, handelt es sich in der Tat um ein originales Tinguely-Werk. Obwohl sie mit einer emotionslosen Maschine entstanden und jederzeit von jeder Person x-fach kopierbar ist. Tinguelys intelligenter Humor und sein Interesse am Verhältnis von Mensch und Maschine macht mich für ein paar Minuten zur Künstlerin. Aber werden Maschinen jemals Künstler:innen ersetzen (können)? Bin ich wirklich im Besitz eines echten Tinguelys?

Meine erste Begegnung mit einer «Méta-Matic» im Museum Tinguely in Basel vor über 15 Jahren warf etliche Fragen auf. 

 

KÜNSTLICH UND/ ODER MENSCHLICH KREATIV?

Seitdem sind moderne Technologien und damit verknüpft zahlreiche neue Anwendungsbereiche entstanden, die unaufhörlich weiterentwickelt werden – auch auf dem Gebiet Kunst: Vor dem Hintergrund von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz (KI), von Big Tech, Augmented Reality (AR), Robotik, Bionik etc. mögen wir vielleicht über diese einfachen Robotermaschinen eines Tinguelys oder Nam June Paik (1932–2006) schmunzeln. Doch deren damaligen Hinterfragungen zur Rolle von Kunstschaffenden, ihren Werken und deren Betrachter:innen in einem zunehmend kommerzialisierten Kunstmarkt durch Einbindung von Maschinen haben in nachfolgenden Jahrzehnten viele Prozesse zu einer Neudefinition und Ausweitung des Kunstbegriffs angestossen. So widmet sich z. Bsp. die 2006 gegründete Kunst- und Forschungsplattform Art Laboratory Berlin (ALB) der Vermittlung und Präsentation zeitgenössischer interdisziplinärer Kunstprojekte und verbindet Kunst, Wissenschaft und Technologie und die ETH Zürich setzt u.a. Schwerpunkte zwischen KI, Architektur und Design. Es bleibt spannend in Zeiten der Digitalmoderne: Ist künstliche Kreativität gleichberechtigt mit menschlicher Kreativität? Wann ist Kunst denn Kunst und wer darf sich Künstler:in nennen, wenn doch jede, im Netz (fast) gleichberechtigte Person unter Einsatz spezieller Grafiksoftware oder Programme experimentieren kann (etwa DeepDream von Google; DALL-E von OpenAI; Cloudpainter von KI-Künstler Pindar Van Arman; Runway ML usf.)? Wie sind Urheberrechte, Originalität und Authentizität zu bewerten, wenn digitale Rechenanlagen aus Millionen von Daten Werke kreieren? Wird automatisierte Kunst irgendwann einmal analoge Kunst, entstanden mittels Kreativität, Fantasie, Intuition und Inspiration erlernt, überholt oder gar ersetzt haben? 

 

KI = KI?

Künstliche Intelligenz ist schon längst Teil des Kunstbetriebs und unterwandert die Vorstellung, dass Kunst zwingend mit menschlicher Kreativität verbunden ist. Computertechnologien werden als Werkzeuge, Hilfsmittel, Inspirationsquellen, im Künstlerduo (wie der KI-Pionier Harold Cohen (1928–2016) und sein Algorithmus AARON von 1974 bewiesen) oder «als Künstler» eingesetzt für die Produktion von Kunstwerken: Zum Beispiel bei «The Next Rembrandt» (Projekt von Technische Universität Delft, Microsoft, ING Bank, Museum Het Rembrandthuis, Mauritshuis), das mit einem scheinbar echten Rembrandt 2016 die Kunstwelt verblüffte; der autonom-kreative und patentierte Algorithmus AICAN (Artificial Intelligence Creative Adversarial Network von Prof. Ahmed Elgammal), der 2017 auf der Art Basel vorgestellt wurde; das 2018 vom französischen Künstlerkollektiv Obvious mit Hilfe von Computerspezialisten programmierte, mit einem Algorithmus-Teil signierte Porträt «Edmond de Belamy», welches für 432.500 Dollar vom Auktionshaus Christies versteigert wurde; oder die jüngst von Tomo Savić-Gecan entwickelte KI für den Kroatischen Pavillon auf der Biennale Venedig 2022, an der auch Ai-Da als malende Roboter-Dame zu entdecken ist.

 

SOZIALE MASCHINEN MIT INTUITION UND EMPATHIE?

Ist spektakulär. Doch Forscher:innen sehen darin nur Zwischenschritte auf dem KI-Weg. Wie Deep Learning, das dem Lernen des menschlichen Gehirns auf der Spur ist und künstlichen intelligenten Systemen zu mehr Autonomie in ihrer schöpferischen Tätigkeit verhelfen soll. Für den Biologen, Künstler und Mitarbeitenden am ICST an der Zürcher Hochschule der Künste Daniel Bisig ist diese Form Künstlicher Intelligenz «[...] sehr selbstbezogen, kaum interaktiv und dadurch womöglich asozial. … Die Zukunft gehört gescheiten Maschinen, die gleichzeitig sozial sind.» (Daniel Bisig). Auch Kenric McDowell, Ingenieur und Musiker, arbeitet an Projekten, in denen Menschen mit der Maschine kooperieren und Interaktionen zwischen Mensch und Software stattfinden. McDowell ist überzeugt, dass «[...] die Kunst ... dabei eine Schüsselrolle spielen (muss), da sie sich auf unsere Subjektivität und auf wesentliche menschliche Erfahrungen wie Empathie und Sterblichkeit konzentriert.» (Kenric McDowell im Gespräch mit Hans Ulrich Obrist am Google Kulturinstitut, 2020). Künstler:innen aus Fleisch und Blut treffen bei kreativen, künstlerischen Prozessen (oft intuitiv) Entscheidungen aus Empathie, aus emotionalen Befindlichkeiten, aus individuellen wie allgemeinen Erfahrungen und Erlebnissen, aber auch im Wissen um die eigene Endlichkeit. Werden zukünftige künstliche Systeme dies jemals erlernen können? Wird es einmal kreativ tätige Maschinen geben, die«[...] sich selbst als schöpferisch wahrnehmen und auch so beschreiben könnte(n). [...] (die) [...] untereinander konkurrieren (würden), weil sie neidvoll beobachtet hätten, wie kreativ einige von ihnen sind [...]», wie Hanno Rauterberg in seinem Essay Die Kunst der Zukunft spekuliert? Dem widerspricht Sami Haddadin, weltweit einer der führenden, innovativen Forscher für KI und Robotik. Anlässlich der aktuellen Ausstellung in der Münchner Pinakothek der Moderne meint er: «Intelligente Roboter sind Assistenten des Menschen und das wird noch sehr lange so bleiben. Alles andere ist Science Fiction, allerdings eine inspirierende und faszinierende.» (Sami Haddadim). Wir werden sehen... und lassen einfach weiter rechnen...

Ich danke herzlich Claudia Marschall (experimenta GmbH, Heilbronn) für wertvolle Informationen und fachliche Unterstützung.

 

Weitere Literatur zum Nachschlagen:

Buderer, Hans-Jürgen (1992): Kinetische Kunst: Konzeptionen von Bewegung und Raum. Worms: Wernersche Verlagsgesellschaft.

Burckhardt, Martin. (2018). Philosophie der Maschine. Berlin: Matthes und Seitz.

Du Sautoy, Marcus. (4. Ausgabe 2019). The Creativity Code. Art and Innovation in the Age of AI. Cambridge.

Precht, Richard David. (2020). Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens. München: Goldmann.

Ramge, Thomas. (2018). Mensch und Maschine. Wie Künstliche Intelligenz und Roboter unser Leben verändern. Ditzingen: Reclam.

Rautenberger, Hanno: Die Kunst der Zukunft. Über den Traum von der kreativen Maschine. Berlin: edition suhrkamp. S. 35f.