3D-Rekonstruktion zerstörter Kunst, Kulturgüter und zerstörtem Kulturerbe
Im vergangenen Monat wurde im Blogbeitrag «Erhaltung gefährdeter Kulturgüter und der Schutz des kulturellen Erbes» ein Augenmerk auf die Massnahmen und die unterstützenden Organisationen gelegt, die eingreifen, wenn Kulturgüter in ihrer Existenz gefährdet sind, wie es aktuell in der Ukraine geschieht. Dieser Beitrag knüpft daran an und thematisiert eine Möglichkeit, bereits zerstörtes Kulturgut digital zu erhalten. Die neusten Techniken beweisen, dass zerstörte Kunst und zerstörtes Kulturerbe wieder zum Leben erweckt werden können. Denn anhand von 3D-Rekonstruktionen werden diese, obwohl nicht mehr existent, wieder sichtbar gemacht. Ausgehend von Fotos oder 3D-Scans werden 3D-Modelle von einem Kulturgut erstellt und so für den/die Betrachter:in erneut erlebbar. Wiederentdeckte Ruinen, zerstörte historische Schriftstücke, ägyptische, griechisch-antike Tempel, Monumente, mittelalterliche Fresken und vieles mehr lassen sich mit Hilfe neuster Techniken rekonstruieren.
Eine monumentale Rolle für die ersten 3D-Rekonstruktionen von Kulturgütern spielte der im Nahen Osten herrschende IS-Krieg. Hier ist die Thematik der digitalen «Wiederherstellung» der zerstörten Kulturobjekten noch immer sehr aktuell.
Im Jahr 2015 wurden bedeutende Kulturgüter in der antiken Ruinenstadt und dem UNESCO-Welterbe Palmyra durch den IS zerstört. Der heute nicht mehr existierende Baalschamin-Tempel soll anhand von Plänen und 2D-Bildern von Forschenden lokaler und europäischer Einrichtungen und Universitäten sowie Touristen digital als 3D-Modell rekonstruiert werden. Auch das «Mosul Projekt»”, welches explizit für die digitale Restaurierung des bereits zerstörten Erbes in Syrien ins Leben gerufen wurden, versucht mit Hilfe von Crowd-Sourcing-Bildern digitale Modelle der Originalstücke anzufertigen. Hierbei wird nicht nur eine digitale Erhaltung des Kulturgutes geschaffen, sondern auch die Weiterverwendung dieser digitalen Rekonstruktion für die spätere Restaurierung des zerstörten Gutes ermöglicht. Ein französisches Forschungsteam erstellte bereits mit Hilfe von Drohnen und der 3D-Technologie realistische 3D-Modelle, um zerstörte Städte wie Palmyra und Mossul zumindest digital wieder erstehen zu lassen. 3D-Rekonstruktionen der im Jahr 2017 zerstörten Al-Nuri-Moschee in Mossul sowie des Amphitheaters der antiken Stadt «Leptis Magna» in Libyen sind nur zwei Beispiele realisierter 3D-Rekonstruktionen. In Zusammenarbeit mit UNESCO will das Forschungsteam zukünftig den Wiederaufbau der weitgehend zerstörten syrischen Städte Aleppo und Mossul angehen. Eine weitere digitale 3D-Rekonstruktion der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW des vom IS gesprengten Triumphbogens in Palmyra kann bei YouTube bewundert werden.
Neben der digitalen Wiederherstellung ermöglicht die 3D-Rekonstruktion auch eine umfassende Dokumentation und schafft ein neues Raum-Verständnisses, wie es u.a. bei der Grabstätte von Hairan in Palmyra der Fall war. Anhand von 3D-Modellen wurde ein neues Verständnis des Innenraums und der Gesamtanordnung des Grabes erzeugt und die Verhältnisse zwischen bemalter Dekoration und architektonischen Oberflächen sichtbar. Im Rahmen des sogenannten «Palmyra Portrait Project» der Aarhus Universität konnten seit dem Start 2012 mehr als 3’700 Grabskulpturen digital dokumentiert werden. Hierunter zählen u.a. die römischen Portraitplastiken, die mit zu den grössten Beständen der Welt gehören.
Im Zuge des «Scanning for Syria»-Projekts sollen zerstörte archäologische Objekte anhand von 3D-Scans rekonstruiert werden. Wichtige Kulturgüter, die während des syrischen Krieges verloren gingen, konnten so wieder nachgebildet werden. Über 3’000 Jahre alten Tontafeln aus dem assyrischen Reich wurden beispielsweise anhand existierender historischer Silikonabdrücke der Originale genaue Kopien der zerstörten Tafeln mithilfe von 3D-Scans wieder hergestellt. Die im Jahr 2001 zerstörte Buddha-Statue aus dem 6. Jahrhundert sowie ihre umgebenden Nischen und Höhlen konnten ebenfalls mit Hilfe von historischen Dokumenten und Zeichnungen in einem virtuellen 3D-Modell der RWTH Aachen Universität realisiert werden.
Neben den gewaltsam zerstörten Kulturgütern lässt sich die 3D-Rekonstruktion aber auch für das Visualisieren von Ruinen und Wiederlesbarkeit von Inschriften auf Wandmalereien anwenden. Ein Beispiel hierfür stellt die antike Ruinenstand Afrasiab, heute Samarkand in Uzebekistan dar. Im Jahr 1965 wurden Überreste der Ruinen sowie die aus der Sogdien-Ära stammenden Fresken aus dem 7. Jahrhundert wiederentdeckt. Die visualisierten Wandbilder und Inschriften zeigten auf, dass die Stadt damals als wichtigstes internationales Zentrum galt.
Ein europäisches Beispiel, welches sich höchstwahrscheinlich der 3D-Rekonstruktion bedienen wird, stellt der zukünftige Wiederaufbau von Notre-Dame in Paris dar. Die historische Kathedrale wurde 2019 durch einen Grossband zu grossen Teilen zerstört. Der Gedanke liegt nah, dass für die geplante Rekonstruktionen des originalen Aufbaus, auf Grundlage von Fotos, historischen Architektur- und Grundrissen-Plänen sowie Scans ein 3D-Modell geschaffen wird, welches für den Wiederaufbau von Hilfe sein wird. Während des momentanen Krieges in der Ukraine wurde kürzlich das Kuindzhi-Kunstmuseum in Mariupol zerstört. Die dänische UNESCO-Nationalkommission und Blue Shield Denmark wollen anhand von 3D-Scans nun zumindest die digitale Erhaltung der gefährdeten Kulturgüter erzielen.
Die moderne 3D-Technologie ermöglicht vieles: Sie kreiert Unmögliches, in dem sie nicht mehr existente Kulturgüter wieder zum Leben erweckt, wenn auch nur digital. Sie erreicht, dass zerstörtes Kulturerbe weiter in Erinnerung bleibt und nicht in Vergessenheit gerät. Sie bietet dabei nicht nur die digitale Erhaltung, sondern schafft neuen Informationsgewinn für Archäologen und Forscher.
Durch sie wird ein exakter und authentischer Wiederaufbau in-situ und die Erstellung von präzisen Kopien von Originalstücken Realität. Nicht zuletzt zeigt sie auf, welche Möglichkeiten die neusten Technologien bieten, und wie bedeutend und wichtig eine Zusammenarbeit von Forschungsexperten, Konservatoren, Archäologen, Kunsthistoriker und Technikern sein kann.