White Canvas #1 Helen Eggenschwiler und Karyna Herrera mit ihrem Kollektiv «Make Art Happening»

05.09.2022
Anna Girsberger

Aus dem Atelier ins Geschehen: Die beiden Künstlerinnen Karyna Herrera und Helen Eggenschwiler setzen sich mit ihrem Kollektiv «Make Art Happening» für die Vernetzung von Kunstschaffenden ausserhalb gewohnter Räume ein. Ein Gespräch über Kooperation, unkonventionelle Ausstellungen, über Ellbogen und die Dualität von Kreation und Kuration.

Montagnachmittag. Helen Eggenschwiler kommt gerade von der Luzerner Innenstadt, Karyna Herrera vom Gemeinschaftsatelier in Kriens. Wir treffen uns zum Kaffee – diplomatisch in der Mitte.

 

Helen Eggenschwiler (links) und Karyna Herrera (rechts)

 

Karyna und Helen, 2020 haben Sie das Kollektiv «Make Art Happening» gegründet. Wozu?

K: Vor allem wollten wir Krienser Künstler:innen aus ihren Ateliers locken und zusammenbringen.

H: Genau. Uns liegt es am Herzen, Kunst sichtbar zu machen.

 

Auch Ihre Eigene?

K: Ja, das ist Teil des Konzepts. Im Kollektiv sind wir zwar Kuratorinnen, aber allem voran immer noch Künstlerinnen. Schon der Gedanke daran selbst nicht mit auszustellen, tut mir weh. Könntest du dir das vorstellen, nur zu kuratieren, Helen?

H: Eventuell. Wenn man aber viel Zeit, Liebe und Finanzen in ein Projekt steckt, finde ich es nur berechtigt, auch eigene Kunst zu zeigen.

 

Was beinhaltet denn Ihre eigene Kunst, Karyna?

K: Ich bin Multimediale Künstlerin mit verschiedenen Standbeinen. Unter anderem bewege ich mich in der Performancebranche. Längerfristig beschäftigt mich aber gerade ein Projekt, wofür ich Objekte herstelle und diese dann fotografisch festhalte. 

 

Welche Art von Objekten?

K: Im Vordergrund stehen ephemere Objekte aus Nahrungsmitteln, die ich produziere, beim Verwesungsprozess beobachte und über längere Zeit fotografisch festhalte. Dieses Projekt trägt den Titel «Goldalter - Eine Dystopie», thematisch geht es um «Die Nachhaltige Ernährung». 

 

Weshalb nachhaltig?

K: Als Menschen verbinden wir mit Lebensmitteln gewisse Vorstellungen wie Frische und Geschmack. In meinen Fotografien möchte ich mit diesen Erwartungen brechen. Im Normalfall sieht man Nahrungsmittel im Supermarkt immer nur in perfektem Zustand. Meine Fotoserie soll als Kontrast zu diesem Idealismus, dieser Perfektion stehen – und Lebensmittel «nachhaltiger» darstellen.

 

Helen, womit befasst sich Ihre Kunst hauptsächlich?

H: Fotografie ist mein Grundmaterial. Ich bezeichne mich aber nicht als Fotografin,  sondern als eine Person, die mit Fotografie arbeitet. Ich überlagere verschiedene Fotos mithilfe des Transferdrucks, erschaffe durch das Fotonegativ und der Belichtungstechnik Cyanotypie neue Bilder. Gerne setze ich Fotografie auch in grossformatigen Installationen ein.

 

Was ist auf den Fotografien zu sehen?

H: Ich fange Alltagsmomente ein, und verändere diese dann mit Hilfe der genannten Techniken. So entstehen in meinen Werken neue Wirklichkeiten und traumhafte Realitäten.

 

«Make Art Happening» ist Ihr erstes gemeinsames Projekt. Entstanden ist die Idee zur selben Zeit, als Corona erstmals viele Kunstschaffende in die Knie gezwungen hat.

K: Ja, denn in Coronazeiten war und ist es wichtiger denn je, Künstler:innen zu unterstützen. Mit unserer ersten Ausstellung, der «Winteraktion – KünstlerInnen für KünstlerInnen» im Dezember 2020, wollten wir Kunstschaffenden aus der Region eine Plattform bieten, um ihre Werke trotz allem an die Öffentlichkeit zu tragen, und ihre Kunstwerke ohne Zwischenhandel verkaufen zu können.

 

Winteraktion 2020

 

Winteraktion 2020

 

K: Die nächste Ausstellung folgte dann 2021. 

H: Das war die Plakatausstellung «An Ort und Stelle – Treffpunkt Kunst», wo wir mit zwanzig Künstler:innen an verschiedenen Orten in Luzern und Kriens Kunst im Weltformat präsentierten.

 

Plakatausstellung 2021

 

Plakatausstellung 2021

 

K: Und auch im September 2022 wird es wieder eine Ausstellung geben.

 

Was ist zu erwarten?

K: Eine Kunstfotografie-Ausstellung im «B74 Raum für Kunst» (Luzern, Schweiz).

H: Wofür wir wieder verschiedene Kunstschaffende angefragt haben.

 

Wie wählen Sie diese Künstler:innen jeweils aus?

K: Uns ist Vielfalt ein grosses Bedürfnis – vor allem die Vielfalt der Geschlechter. Frauen und Menschen mit anderen Geschlechtsidentitäten sind in der Kunstszene immer noch stark unterrepräsentiert.

H: Da braucht es definitiv ein Umdenken. Eines von vielen Problemen ist, dass Männer mit Ellbogen-Mentalität aufwachsen, und Frauen schon als Mädchen immer schön, fleissig, lieb und nett sein sollen. Da helfen starke, durchsetzungsfähige weibliche Vorbilder.

 

Wer sind Ihre starken, durchsetzungsfähigen Vorbilder?

H: Zum Beispiel Claudia Conte oder Marina Abramo...

K: MADONNA!

H: ...vić. (Gelächter)

K: Und Pipilotti Rist natürlich.

H: Pipis Kunst fühlt sich für mich irgendwie fern an...

K: Wirklich?

H: Ja. Liegt vielleicht am Altersunterschied.

 

Gibt es zwischen Ihnen öfters Unstimmigkeiten?

K: Natürlich. Wir sind wie zwei Pole. Manchmal ziehen wir uns an, manchmal stösst es uns aber auch in andere Richtungen.

H (theatralisch): WARUM HAST DU DAS GETAN?!

K (ebenfalls theatralisch): HAST DU DAS SCHON ABGESCHICKT?! (abermals Gelächter)

H: Zum Beispiel. Aber wir ergänzen uns wunderbar.

 

Auf das Medium Kunstfotografie für die neue Ausstellung konnten Sie sich einigen.

H: Ja, da wurden wir uns schnell einig. Wir möchten lieber ein Medium als Fokus festlegen, statt den Künstler:innen inhaltliche Vorgaben zu machen. Wir wollen zeigen, wie unterschiedlich im Bereich der Kunstfotografie gearbeitet wird.

K: Die Entscheidung für eine breite Thematik fällen wir bewusst. Sie erlaubt uns, viel Platz für Kreativität und Diversität zu schaffen.

Kunstfotografie Ausstellung 2022 (Flyer) 

 

Make Art Happening – Kunstfotografie Ausstellung: 

«YOU DO NOT TAKE A PHOTOGRAPH. YOU MAKE IT.»

mit Oliver Kümmerli, André Schäffer, Cécile Jund. Michael Scherer, Karyna Herrera, 

Helen Eggenschwiler

17. September - 8. Oktober, B74 Raum für Kunst, Luzern

Vernissage: 16 September 2022, 18 Uhr

 

In der neuen Blogreihe «White Canvas» wird den Künstler:innen von art24 eine weitere Plattform geboten, um ihre Projekte und/oder sich selbst vorzustellen: Schreibe über das, was Dich beschäftigt! Über Themen, die Dich interessieren, bewegen, zum Nachdenken bringen und lasse die Community von art24 daran Teil haben und mitdiskutieren. 
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