Auf den Spuren von #1 Ch. A. Mangin

17.02.2023
Lea Kämpf

Standest Du schon einmal vor einem Kunstwerk, welches Du optisch sehr ansprechen fandest, die Signatur sagte Dir aber rein gar nichts, selbst nach mehreren Google Versuchen nicht, und du stuftest die Künstlerin / den Künstler daher als «unbekannt» ein? Oder standest Du schon mal vor einem «ganz ansehnlichen» Werk und erkanntest erst beim näheren Herantreten und Beobachten den Zauber der Malerei? 

Im Rahmen des ersten «Auf den Spuren von» - Blogbeitrags soll genau so ein Künstler vorgestellt werden. Er identifiziert sich weder durch einen Wikipedia-Beitrag noch durch eine lange und ausführlich erforschte Vita mit hochrangingen Ausbildungsorten, einer internationalen Ausstellungsliste oder mit grossen, gefeierten Erfolgen, sondern überzeugt die Betrachtenden allein durch seine charakteristische Ölmalerei. 

 

Auf den ersten Blick erscheinen die Landschaftsmalereien des französischen Künstlers Ch. A. Mangin vielleicht eher «gewöhnlich». Sie sind ein kleiner Teil von vielen expressiven Werken, die im gleichen Zeitraum des frühen 20. Jahrhunderts entstanden. Es sind «nette» Bilder von Küstenlandschaften und antiken Bauten, denken sich sicher viele beim ersten Betrachten. Tritt man jedoch nicht nur einen, sondern ein paar Schritte näher an die Werke heran und lässt die Malweise auf sich wirken, fällt einem die maltechnische Besonderheit der Ölbilder sofort auf: Die verwendete reiche geschmeidige Farbe, die strahlende Tonpalette, die bewusste, kraftvolle expressive Ausführung, die teilweisen sehr glatten, teilweise sehr durch den Pinselduktus strukturierten Oberflächen (Bild 1).

Bild 1 Detailfoto Tiznit - Les Souks, 1934

 

Beim weiteren Bewundern entdeckt man noch mehr: Ein augenscheinlich eintöniger Farbton besteht aus vielen verschieden Farben. So setzt sich die rosa Farbe beispielsweise aus den Tönen Gelb, Rot und Weiss zusammen, manchmal findet sich auch ein Grün darunter (Bild 2).

Bild 2 Detailfoto Menton vieille rue, 1932

 

Doch wer ist dieser eindrückliche Künstler, der den Betrachter allein durch seine Malweise in den Bann zieht? Wer steckt hinter «Ch. A. Mangin»? Und welche Überraschungen verstecken sich in eher unscheinbareren Kunstwerken? Diesen Fragen gehen wir auf den Grund. 

 

Sujet und Datierung 

 

Mangin war ein Künstler der Reisen. Seine Werke leben von dem, was er auf seinen Reisen sah, Motive, die ihn berührten, ihn beeindruckten und ihn dazu anregten sie zu malen. 

Er malte hauptsächlich Bilder von Landschaften, menschenleeren Stränden, Küsten, Dorf- und Stadtgassen, von Gebäuden, Denkmälern, Gärten und Tempeln. Nur selten sind ein paar Bewohner:innen bzw. kleine Gruppen von Gestalten in den Strassenschatten zu entdecken.  

Die ausgewählten Bilder, die im Zeitraum von 1929 bis 1934 entstanden, lassen sich in drei länderspezifische Thematiken unterteilen: Frankreich, Syrien und Afrika. 

1929 und Anfang der 1930er reiste der französische Künstler an die Küste Frankreichs und Syriens. Ein paar Jahre später hielt er sich an der westlichen Küste Nordafrikas auf (Bild 3).

Bild 3 Detail Weltkarte mit markierten Orten und dem Jahr

 

Wie die Untersuchung zeigte, malte Mangin 1929 hauptsächlich Bilder von den Landschaften und den Denkmälern im Südwesten Syriens. Nur ein Werk der gleichen Thematik datierte er auf ein Jahr später. Es entstanden Bilder der syrischen Städte Malaula, Kuteife, Damaskus und Ad-Dumair sowie der antiken Ruinenstadt Palmyre. Zwei Werke aus dem Jahr 1929 sowie ein weiteres im darauffolgenden Jahr thematisieren die französische Insel Korsika, im Spezifischen die Ortschaft Erbalunga und den Strand Miomo . Drei Jahre später stellte Mangin die meisten seiner französischen Küstenlandschaften fertig: So entstanden Bilder an der Côte d’Azur (Menton, La Turbie) oder weitere von Korsika. Seine Bilder von 1934 hingegen handeln ausschliesslich von nordafrikanischen Landschaften, insbesondere von marokkanischen Städten (Marrakech, Meknes, Freija, Tiznit), Gärten und Oasen. 

 

Mangins Werke überzeugen nicht durch ihre einzigartige malerische Ausführung, sondern enthalten auch zeithistorisch einen besonderen Wert. Vor allem seine Bilder von den syrischen bzw. libanesischen antiken und römischen Städten und Denkmälern stellen wichtige Zeitdokumente dar. Während Ch. A. Mangin sie im frühen 20. Jahrhundert bildlich festhielt, sind sie heute, fast 100 Jahre später, nicht mehr erhalten, sondern durch den IS-Krieg zerstört worden. Durch die Malerei werden jene bedeutenden Kulturdenkmäler weiter am Leben erhalten. Ebenjene Werke werden aufgrund ihrer Thematik zukünftig nur noch mehr an Bedeutung und an Wert gewinnen.

Sein Werk «Palmyre. Le village près du Temple du soleil » (Bild 4) aus dem Jahr 1929 zeigt ein Teil der antiken Ruinenstadt Palmyra. Die Gesamtheit der Ruinenstadt wird im Foto (Bild 5) aus dem Jahr 1935, welches nur sechs Jahr nach der Datierungszeit des Ölbildes, entstand, deutlich. 

Bild 4 Palmyre. Le village près du Temple du soleil, 1929

 

Bild 5 Ruinen der Stadt Palmyre, 1935, Institut Français Du Proche-Orient (ifpo)

 

Die gelbe Markierung im Foto zeigt die Stelle, von wo der Künstler malte und welche Szenerie er dort der Ruinen mit Sicht auf die Burg Qalaat Ibn Maan im Hintergrund darstellte. Im Mittelpunkt der antiken Oasenstadt ist im Foto der Baaltempel zu erkennen. Im Jahr 2015 wurde Palmyra und Teile des Tempels von Baal, des Baal-Schamintempels und des Triumphbogens durch den IS zerstört.

Ein weiteres Werk von Ch. A. Mangin stellt ein wichtiges römisches Denkmal dar: den römischen Tempel ad-Dumair (Tempel des Zeus Hypsistos) (Bild 6). Die Fotografie (Bild 7) entstand zeitgleich wie die die Ölmalerei. 

Bild 6 Dmeir Syrie Temple romain, vermutl. 1929/30

 

Bild 7 Tempel ad-Dumair, 1930, Institut Français Du Proche-Orient (ifpo) (CC BY 4.0)

 

Das Foto beweist, dass der Künstler die Bauten realitätsgetreu wiedergab, auch wenn er einen expressiven Malstil verfolgte. In beiden Bildern erkennt man, dass der Tempel zu der Zeit noch nicht komplett ausgegraben war. Die Freilegung auf Bodenniveau des Tempels erfolgte nämlich erst 50 Jahre später. Seine Ölbilder zeigen einen vergangenen Zustand auf, der heute so nicht mehr existiert. Sie sind von bedeutender Wichtigkeit, um die Geschichte oder auch die komplette Existenz von historischen Bauten festzuhalten.

Sein Werk «Baalbek Syrie - temple de Bacchus» (Bild 8) stellt eine weitere Besonderheit dar. Die gemalte Ansicht des Eingangstores des Bacchustempels ist ein beliebtes Motiv in der Kunst. Fast 100 Jahre zuvor malte der englische Maler David Roberts im Jahr 1941 den Eingang aus der gleichen Perspektive (Bild 9).

Bild 8 Baalbek Syrie - temple de Bacchus, unbekannt (vermutl. 1929/30)

 

Bild 9 The Entrance to the Golden Temple in Baalbeck, 1841, David Roberts

 

Im direkten Vergleich fällt auf, dass am oberen Bildrand bei beiden Bildern ein Stück des mittigen Abschlusselements im Verlauf dieser beiden Datierungsjahren abgebrochen zu sein scheint: Eine wichtige Information für die dokumentarische Erfassung des Tempels, der bis heute noch steht. 

 

Maltechnik

 

Zum Ende des Textes hin, kehren wir noch einmal an den Anfang zurück: Zu seiner einzigartigen Maltechnik. 

Mangin malte wie viele Künstler:innen seiner Zeit in Öl. Die für den Künstler charakteristischen Ölfarben, bestehend aus einem strahlenden Blau, rotbraunen oder sandfarbenen Tönen, führte er dick und ohne Grundierung direkt auf den Träger auf. Er malte dabei mehrheitlich auf Sperrholzplatten, weniger auf Textil (Leinwänden). Zum einen vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen heraus, da erstere günstigere Bildträger sind. Zum anderen waren die Sperrholzplatten leicht zu transportieren. Sie sind gut aufeinander zu stapeln und weniger empfindlich bzw. gut belastbar, was gerade auf Reisen und in der Freiluftmalerei von Vorteil ist.  

Ein weiterer Hinweis, dass Mangin die Werke vor Ort bzw. auf seinen Reisen fertigstellte, gibt der Zustand der Farbschicht wieder. Stellenweise liegt die pastose Farbschicht niedergedrückt vor. Das heisst die Farbschicht muss sich noch in einem angetrockneten, aber noch unfesten bzw. «weichen» Zustand befunden haben, als etwas Gewichtiges auf sie gelegt wurde. Vermutlich malte der Künstler die Bilder vor Ort und stapelte sie beim Transport während seiner Reise aufeinander, bevor die Farbschicht ganz durchgetrocknet war bzw. «fest» wurde. Es handelt sich dabei um einen Transport- bzw. Handlings-Schaden des Künstlers selbst. Ein Schaden also, der nicht viel später und durch fremde Hand, sondern zeitnah nach Bildfertigstellung entstand und somit ein besonderes originales Kennzeichen darstellt. 

Im Zeitraum von 1929 bis 1934 sind von den insgesamt 22 Werken nur drei Leinwandbilder dokumentiert, die alle auf das Jahr 1929 datiert sind. Es handelt sich dabei ausschliesslich um syrisch-thematisierte Bilder. Wie anfänglich festgestellt, sind in einem augenscheinlichen einfarbigen Ton mehrere unterschiedliche Farben zu entdecken. Dies liegt daran, dass der Künstler die Farbe nicht ganz ausmischte. Beim Eintauchen in die Farbe nahm er die auf der Farbpalette benachbarten Farben gleich mit und trug sie direkt auf den Träger. So finden sich im hellroten Ton Spuren von Grün, Gelb und Rot, in der blauen Farbe Gelbtöne, im Lila die Farben Blau, Grün und Rot wieder (Bild 10).

Diese Technik verleiht seinen strahlenden Bildern eine intensivere Farbigkeit und Dynamik.

Bild 10 Detailfoto Golfe Evisa Corse, 1932

 

Des Weiteren setzte Mangin seine Malwerkzeuge bewusst ein, um einen ganz bestimmten Oberflächeneffekt für unterschiedliche Bereiche zu erschaffen und somit einen Kontrast in der Optik zu erzielen. 

Bild 11 Detailfoto Baalbek Syrie - temple de Bacchus, unbekannt

 

Er wechselte dabei gekonnt wischen Pinsel und Spachtel ab, was sich in nahezu allen Bildern entdecken lässt. Eher selten führte der französische Künstler ein Landschaftsbild mit nur einem Pinsel aus, noch seltener mit nur einem Spachtel.

Kommen beide Malmedien in einem Werk zum Einsatz, verwendete Mangin den Pinsel üblicherweise für die dunkle Farben, die Schattenbereiche aber auch den Himmel. Den Spachtel setzte er bewusst für die hellen Bereiche und für die oberflächlichen Akzente ein, oder um bewusst Kontraste bzw. Strukturen in einem Bildbereich, wie z.B. dem Boden, zu schaffen. Der Spachtel bewirkt eine glatte Oberfläche und eignet sich wunderbar für die Darstellung ebener Flächen, aber auch um helle Lichtakzente in der Landschaft zu setzten. Der Pinsel hingen schafft mehr Struktur in der Ebene und erzielt eine grössere Detailliertheit, weshalb er oft für unebene Böden, für Bäume, für Wellen, für Figuren etc. von Mangin verwendet wurde (Bild 12).

Bild 12 Detailfoto Meknes. Les remparts, 1934

 

Neben seiner besonderen Maltechnik sind seine strahlenden Ölfarben von Interesse. 

Sein Kolorit veränderte sich über die Zeit. Je nach Schauplatz schien sich seine Farbpalette in der Zeit von 1929 bis 1934 zu verändern. 

Es gibt drei Werke, die keine Datierung aufweisen (Bild 13). Dabei sind die syrischen bzw. libanesischen Bilder links (Nr. 1) und rechts (Nr. 3) vermutlich 1929 oder 1930 entstanden. Die mittige Malerei (Nr. 2) stellt eine Gasse in der südfranzösischen Küstenstadt Menton dar und kann daher wie ein anderes Bild derselben Stadt, wahrscheinlich auf das Jahr 1932 datiert werden. Die Farbpalette dieser drei Bilder spielt eine wichtige Rolle für das Verständnis seiner Sujet bedingten Farbwahl. Die Töne dieser variieren von einem dumpfen hellgelb, hellweiss, hellblau zu einem dunklen Orange-Rotton.

Bild 13 Farbpalette der Werke unbekannter Datierung

 

Mangins Werke aus dem Jahr 1929 sind thematisch mit syrischen sowie französischen Landschaften durchmischt. Überraschenderweise beherrschen vor allem die Rottöne die Farbpalette (Bild 14). Sie variieren von einem leuchtenden Rot, über ein dumpfes Rotorange mit einem violetten Unterton zu einem dunklen Rostrotbraun. Weiss und das gleiche Blau, hier leicht intensiver, spielen nur die Nebenrollen. Das Weiss ist zudem nur in den syrischen Werken (Nr. 5, 6, 7, 8, 9) dominant.  

Bild 14 Farbpalette der Werke von 1929

 

Im darauffolgenden Jahr ergänzen die Werke Nr. 11 und 12 (Bild 15) die zwei soeben genannten Sujets. Sie sind vor allem der vollständigkeitshalber aufgeführt und komplettieren die gewonnenen Erkenntnisse zur Farbpalette von 1929. Auch wenn sie hier augenscheinlich heller wirkt.

Bild 15 Farbpalette der Werke von 1930

 

Das Jahr 1932 markiert das französische Jahr. Das Jahr seines Korsika-Besuches sowie der Côte d’Azur-Reise. Die Palette des Malers lebt hier (Bild 16) von den variierenden Rottönen, vom sanften Pastellgelb und Pastellblau. Das tiefe Rotbraun, der violette Unterton und das Rosa tauchen wie im Jahr 1929 auf, nur erscheinen sie diesmal ruhiger. 

Bild 16 Farbpalette von Werken von 1932

 

Die nordafrikanischen Bilder weisen insgesamt ein scheinbar helleres Kolorit auf (Bild 17). Die dunklen Töne kommen einzig bei den Blättern der Bäume bzw. des Gebüsches vor. Die sandfarbenen Töne, das samtige Blau und das dumpfe Grün dominieren seine Farbpalette.

Bild 17 Farbpalette von Werken von 1934

 

Es fällt auf, dass die Farben für das nordafrikanische Thema wärmer werden. Sie passen zu den fruchtbaren Palmengärten, den marokkanischen Gärten, den umgebenden sandigen Wüstenlandschaften und der Mittelmeerküste Nordafrikas. Die syrischen Bilder weisen im Vergleich zu den zeitgleich entstanden französischen Sujets einen höheren Weissanteil auf, da die syrischen Bauten unter anderem aus hellem Stein bestehen. Die umgebende Landschaft kontrastiert hierzu in einem Rotbraun. Im Kolorit der südfranzösischen Küstenbilder ist hingegen viel mehr Blau (des Mittelmeeres und des hohen Himmels) zu finden. Die Landschaft ist ebenfalls in einem rostig-roten Ton wiedergegeben. Das Rot ist hier im Vergleich zu den syrischen Bildern intensiver.  

 

Fazit

 

Die markante, bewusste, expressive, wiedererkennbare und identifizierbare, einzigartige Malweise des Künstlers Ch. A. Mangin besticht die Betrachtenden. Es sind die Bilder, die für den Künstler sprechen, etwas über ihn erzählen. Die vorherigen wissenschaftlichen Ausführungen brachten den Künstler dem Betrachter / der Betrachterin näher und regten dazu an, einen ganz genauen Blick auf die malerischen Landschaftsbilder des französischen Künstlers zu werfen und die in ihnen entdeckte Schönheit mit ihnen teilen zu können.

Der Blog erzielte die Anerkennung eines (noch) unerforschten Malers und die Identifizierung eines Künstlers durch seine Werke selbst. Er sollte die Leser:innen dazu animieren, hin und wieder einen genauen Blick auf die eher unscheinbaren Kunstwerke zu werfen, um auch in ihnen etwas Besonderes zu entdecken. Sie sind oft für eine Überraschung gut. 

 

Wer den Artikel im Ganzen, d.h. mit zusätzlichen Informationen zur Signatur und zur Differenzierung zum bekannteren französischen Bildhauer und Maler des Realismus, Charles-August Mengin (1853 – 1933), sowie eine tabellarische analytische Übersicht zu den untersuchten Werken erhalten möchte, kann dies schriftlich per Mail an