Regenbogen #4 - Renaissance und Neuzeit
Zwischen irdisch und himmlisch
In der von Italien ausgehenden kulturellen Bewegung, die wir heute als Renaissance und Neuzeit bezeichnen, erfährt auch das Motiv des Regenbogens in religiöser und weltlicher Malerei eine faszinierende, vielfältige Verwendung und Interpretation. Jene Jahrzehnte, die geprägt sind von der Rückbesinnung auf Formen antiker Kunst, Literatur, Mythologie und Philosophie und deren Wiederbelebung, sind reich an nachhaltigen Entdeckungen und Erfindungen (etwa maltechnische Methoden wie Luft-, Farb- und Zentralperspektive, die Vorliebe für mathematische Konstruktionen, die Verwendung geometrischer Figuren oder die Weiterentwicklung der Proportionslehre).
Einer der unkonventionellsten und seiner Zeit weit voraus denkender Künstler, Erfinder und Universalgelehrte war Leonardo da Vinci (1452-1519). Dieser wissensdurstige Maler-Forscher, der sich als Lehrling der Natur und ihren Schönheiten sah und seine gründlichen Beobachtungen und Analysen mittels Studien festhielt, entdeckte im Regenbogen von der Natur vorgegebene Harmoniegesetze. Auf der Grundlage weiterer Beobachtungen und wissenschaftlicher Erkenntnisse zu harmonischen wie disharmonischen Farbverläufen schuf da Vinci grossartige Meisterwerke. Er gilt demnach als einer der Vordenker von später entwickelten Farbenlehren respektive Farbpsychologien.
Der etwas jüngere Raffael (da Urbino, 1483-1520) verschrieb sich als Künstler, wie viele andere Kunstschaffende der Zeit auch, ganz dem Ideal der Schönheit. Seiner Auffassung nach war Schönheit nur in der Kunst als gemalte Idee des Künstlers vollkommen, jedoch nicht in der Natur zu finden (Propyläen Kunstgeschichte, Bd. 7, Berlin 1972, S. 153). Raffaels Werk «Madonna von Foligno» von 1511/12 mit einem Regenbogen über der weiten Landschaft mit Stadt und Gebirge im Hintergrund zeigt dies in farblicher wie kompositorischer Perfektion. Der wie eine Klammer zwischen irdischer und himmlischer Sphäre platzierte Regenbogen wird in diesem Stifterbild als Zeichen göttlicher Barmherzigkeit, als Friedenssymbol, aber auch als Verweis auf das Ende der Welt und das nahende Gericht gedeutet.
Noch ist der Regenbogen in jenen Jahrzehnten wissenschaftlich nicht näher erklärbar, auch wenn seine gemalte Erscheinung herausragende farbliche Qualitäten aufweist. Religiöse Symbolik und Verweise auf «himmlische» Zeichen bestimmen vorerst seine Deutung. Ein wunderbares Beispiel hierfür ist ein nicht kolorierter Holzschnitt in der von Martin Luther erstellten Bibel von 1545 zum 1. Buch Mose, Kapitel 9: Der Regenbogen ist hier Zeichen «des Bundes zwischen Gott und den Menschen» am Ende der grossen Wasserflut und als «göttlicher Friedens-Vertrag» zu sehen.
Zwischen weltlicher Melancholie und triumphalem Friedenszeichen
1514 schuf der deutsche Künstler Albrecht Dürer (1471-1528) in Nürnberg einen von drei Meisterstichen: die «Melencolia I».
Dieser Kupferstich mit seinen bis heute nicht eindeutig gelösten, vielzähligen Rätseln basiert auf einer hochkomplexen Symbolik mit tiefgründigen Andeutungen und Auslegungen um eine sitzende, den Kopf abstützende Figur mit Engelsflügeln vor einem Gebäude, begleitet von einem Hund und umgeben von scheinbar wahllos verstreuten Gegenständen. Im Bildhintergrund überspannt der Regenbogen einen strahlenden Kometen und das ruhige Meer mit Küstenstadt. Die Interpretationen reichen von einer Allegorie der Melancholie, konkreter «Künstlermelancholie», die auf eine nicht immer vorhandene Kreativität einhergehend mit «geistiger Anspannung» hinweist, bis zur Deutung einer Zeitenwende: das zu Ende gehende Mittelalter (Symbol Stundenglas) weicht der eingeläuteten neuen Epoche der aufwärtsstrebenden Renaissance (Symbole Glocke, Leiter), die Dürer auf seinen Italienreisen kennenlernte. Altes oder Gewohntes (Melancholie) wie noch Ungewohntes oder Neues (Symbol Licht) werden vom Regenbogen als Segenszeichen überspannt. Wollte Dürer, der selber wissenschaftliche Werke verfasst hat, mit den geometrischen Gegenständen und Werkzeugen im Bild auf die zukünftigen wissenschaftlichen Hilfsmittel hindeuten, die ihm auch als Künstler zur Verfügung stehen? Aller Rätsel und Fragen zum Trotz bleibt es spannend, wie der Regenbogen in einem weltlichen Werk dem göttlichen Segenszeichen verbunden bleibt.
Ein triumphales Friedenszeichen setzt der Regenbogen im Kupferstich von 1564 «Pax – Friede erzeugt Reichtum (Der Kreislauf des menschlichen Daseins, 8») aus einem Zyklus von Cornelis Cort (1533-1578) nach der Vorzeichnung von Maarten van Heemskerck (1498-1574).
Bezug nimmt die Darstellung auf die jährlich (anlässlich der «Beschneidung Christi») stattfindende Prozession am 1. Juli 1561 in Antwerpen, die den «Kreislauf des menschlichen Daseins» thematisiert. Der im Triumphwagen sitzende personifizierte Frieden, gezogen von Eintracht und Nutzen, gelenkt von Amor und begleitet von Gerechtigkeit, Fleiss und Wahrheit verdeutlicht ein mehrfach dargestelltes Sprichwort seit dem 16. Jahrhundert: «Friede bringt Handel, Handel Reichtum, Reichtum Hochmut, Hochmut Streit, Streit Krieg, Krieg Armut, Armut Demut, Demut bringt Friede». Erst dann, wenn wieder Friede herrscht, erblüht das Land zu neuem Wohlstand – und dies unter einem Regenbogen als Triumph des Friedens.
Der Regenbogen auf dem Weg zur wissenschaftlichen Erforschung
Noch war der Schritt zur wissenschaftlichen Erforschung des Regenbogens nicht gemacht. Doch gab es vereinzelt Kunstschaffende wie Adam Elsheimer (1578-1610), die in mythologisch-genrehaften wie religiösen Szenerien oder stilisierten, heroischen Landschaftsdarstellungen ihre im Freien skizzierten Beobachtungen zur Natur, zu Sternbildern und natürlichen Lichtquellen (von Sonne und Mond) einbrachten. Seine Werke erhielten trotz traditioneller Thematik eine «naturnahe, realistische Ausstrahlung», wie das stimmungsvolle Nachtbild mit Vollmond «Flucht nach Ägypten» von 1609 zeigt.
Das ihm einst zugeschriebene «Dankesopfer Noahs» mit einem doppelten Regenbogen (!) als Versöhnungszeichen ist Elsheimer mittlerweile von der Forschung abgesprochen worden… schade…
Die noch heute gültige und damit älteste Beschreibung des Regenbogens und seiner kreisförmigen Position stammt aus der Feder des Naturwissenschaftlers, Mathematikers und Philosophen René Descartes (1596-1650), der als Begründer des sogenannten neuzeitlichen Rationalismus gilt. Allerdings erwiesen sich seine Erklärungen zur Entstehung der Regenbogen-Farben als nicht brauchbar. Doch der Weg war angedeutet, die Rätsel und Zauber eines Naturphänomens mit dem Verstand zu erkunden, die dann später in physikalischen Studien und Farblehren mündeten. Dazu mehr erfährst Du in Teil 5 der Regenbogen-Serie.
Glossar:
Farbenlehre: Die Wissenschaft von Farben und die Kenntnis zu ihrer Verwendung. Zur Grundlage dienen Farbsysteme oder Farbordnungen, nach denen erklärt wird, wie Farben sich zueinander in Harmonie oder im Gegensatz verhalten oder wie sie auf Menschen wirken.
Stifterbild: Das im Auftrag gemalte christliche Werk zeigt den Auftraggeber oder Stifter in Verbindung mit einer religiösen Szene und lädt die Betrachtenden zum Gebet ein.
Kupferstich: Bei diesem Tiefdruckverfahren wird das Motiv mit Hilfe eines Grabstichels in eine Kupferplatte «gegraben» (graviert). Die dabei entstehenden, vertieften Linien nehmen die Farbe auf und geben sie an das Papier beim anschliessenden Druck durch die Walzenpresse wieder ab.
Allegorie: Dinge, die abstrakt oder unreal sind, werden in der bildenden Kunst verbildlicht, zum Beispiel steht Amor für die Liebe.
Rationalismus (lateinisch ratio, deutsch Vernunft): Wissenserwerb oder Wissensbegründung beruht demnach vorrangig oder ausschliesslich auf vernunftsbezogenem Denken. Andere Erkenntnisse, zum Beispiel emotionale oder empirische Erfahrungen sowie religiöse Überlieferungen werden nicht berücksichtigt.
Weiterführende Literatur:
Panofsky, Erwin. (1975, dt. Ausgabe). Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung in die Kunst der Renaissance, in: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst. Köln: DuMont, S. 51ff.
Dickens, Emma. (2006). Leonardo da Vinci. Das da Vinci Universum – Die Notizbücher des Leonardo. Berlin: Ullstein Verlag
Kaulbach, Hans-Martin. (2013). Friedensbilder in Europa 1450-1815. Kunst der Diplomatie - Diplomatie der Kunst; [... erscheint zum Abschluss des Forschungsprojekts »Übersetzungsleistungen von Diplomatie und Medien im vormodernen Friedensprozess. Europa 1450 - 1789«], Berlin / München, S. 110-111, Nr. 52.
Regenbögen für eine bessere Welt. (1977). Trilogie 3. Stuttgart: Württembergischer Kunstverein.