Der Lebensgeist der Kunstgiesserei Perseo SA in Mendrisio

12.09.2023
Yvonne Roos

In Anlehnung an die Skulptur «Perseus mit der Medusa» von Benvenuto Cellini (1500–1571) nennt sich die Kunstgiesserei in Mendrisio «Perseo». Die Bronzeplastik wurde Mitte des 16. Jahrhunderts hergestellt und gilt als eine der bekanntesten Skulpturen der Kunstgeschichte. Was zeichnet die Statue aus? Wer ist Perseus und warum verleiht er einer Kunstgiesserei seinen Namen? Wir wagen einen Blick zurück in die Geschichte des Kunsthandwerkes und des Aktes des Zerstörens und des Kreierens.

Ein sinnliches Erlebnis

Betritt man die Werkstätten der Kunstgiesserei Perseo SA in Mendrisio werden alle Sinne wachgerüttelt. Man hört, sieht, riecht und fühlt: lautes Hämmern, das Nachhallen von Metallklängen, das Rauschen von Schleif- und Poliermaschinen, das Surren der Lötmaschinen, das Umgiessen glühender Flüssigkeiten, der Geruch von Feuer, aufsteigende Rauchschwaden und die Hitze, die auf der Haut züngelt. Und beim Gedanken daran, was hier alles in einer Symbiose zwischen Künstler:innen und Handwerksleuten erschaffen wird, empfindet man plötzlich ganz viel: Perseo entfacht die Leidenschaft für die Kunst, für das Kreieren. Der Name «Perseus» kommt vermutlich aus dem Altgriechischen und heisst «zerstören». Wie passt dies zu Cellinis geschaffenem Meisterwerk und zu einer Kunstgiesserei?

Bild 1: In der Kunstgiesserei Perseo SA in Mendrisio, ein Mitarbeiter bearbeitet eine Wachsfigur. Foto: art24.

 

Der Mythos hinter Cellinis Meisterwerk

Die Figurengruppe «Perseus mit der Medusa» war eine Auftragsarbeit von Cosimo I. de’ Medici, die 1554 in der «Piazza della Signoria» auf der Vorderseite der ihr zugewandten «Loggia de’ Lanzi» in Florenz enthüllt wurde. Dort fügt sie sich unter weiteren Figurengruppen als integraler Teil des öffentlichen Platzes vor dem «Palazzo Vecchio», dem damaligen Sitz des Stadtparlaments, ein. Figuren im öffentlichen Raum dienten Bürger:innen als Exempel für gutes Verhalten und den Herrschenden als Inspiration beim Regieren. Sie prägten das Stadtbild und beeinflussten Verhalten und Miteinander; sie waren somit eine frühe Form von Propaganda. Die Figurengruppe «Perseus mit der Medusa» kann im Kontext ihrer Entstehungszeit als Symbol der Diktatur, die über die Demokratie siegt, gesehen werden. Perseus war für den Auftraggeber Cosimo ein Held, der das Monster tötete. Die Skulptur feiert die Macht der Medicis über das florentinische Volk und die Widersetzung des Stadtstaates gegenüber der italienischen Republik. Perseus verkörpert den Herrscher Medici und Medusa die besiegte Republik. 

Bild 2: Die Bronzeplastik «Perseus mit der Medusa» in der Piazza della Signoria, Foto: Wikipedia.

Doch war dies auch Cellinis Intention? Der nackte Perseus, ausgestattet mit einem Stichelschwert, das er in seiner Rechten auf Hüfthöhe bereithält, auf seinem lockenbesetzten Kopf ein Helm mit Flügeln, an den Füssen seine Flügelschuhe und mit einem Fuss auf der gekrümmten Leiche der Medusa stehend, streckt er ihr abgeschlagenes Haupt triumphierend in die Höhe, während das Blut in korallenartigen Strömen herunterfliesst. Doch obschon Medusa gerade getötet wurde, wirken Körper und Gesicht sinnlich, als würde sie transzendieren. In ihren frühesten Formen geht der Mythos der Medusa weit zurück, wobei sie ursprünglich eine Mondgöttin war. Die Überlieferung wandelte sich zu einer Version, die wir in diversen Geschichten und Mythen wiedererkennen: Die weibliche Göttin wird überwältigt und vom männlichen Helden getötet. In der frühen griechischen Mythologie wird Medusa fortan als eine der drei Gorgonen-Schwestern beschrieben, Kreaturen, welche im Hades leben. Auch dieser Mythos entwickelte sich weiter. Medusa wurde zu einer schönen Jungfrau, die nun, im Gegensatz zu ihren beiden Schwestern, sterblich ist und aufgrund ihrer Schönheit die Eifersucht anderer Frauen auf sich zieht. Poseidon vergewaltigt die Gorgone in Athenas Tempel, welche daraufhin nicht Poseidon, sondern Medusa dafür bestraft, dass sie den Tempel in seiner Heiligkeit «verletzt» hat. Sie verpasst ihr ein schreckliches Gesicht und verwandelt ihr wunderschönes Haar zu Schlangen. Das Gesicht lässt alle, die es zu sehen bekommen, zu Stein werden. Der Halbgott Perseus macht sich daraufhin im Auftrag Polydektes auf den Weg, Medusa zu töten. In sämtlichen Versionen der Geschichte gelingt ihm dies, indem er mit einer Tarnkappe an Medusa ranschleicht und einen verspiegelten Schild nutzt, um ihr nicht ins Gesicht schauen zu müssen, sondern sein Ebenbild sieht und folglich nicht zu Stein erstarrt. In den meisten Fällen wird der sterbliche Held am Ende ebenfalls bestraft, doch hier bleibt das gängige Muster der Bestrafung als Folge der «Tötung» einer Gottheit aus, da Medusa nach Hesiod menschlich ist. Diese Verschonung des Helden könnte ein Grund gewesen sein, weshalb Cosimo sich für diese Skulptur auf dem «Piazza della Signoria» entschied.

Bild 3: Die Bronzeplastik «Perseus mit der Medusa», Detailaufnahme, Foto: Wikimedia, CC BY-SA 2.5.

Cellini haucht Medusa neues Leben ein

Cellini war bis anhin vor allem für kleinere Figuren bekannt und weniger für übergrosse und komplexe Skulpturen. Als Vorlage dienten ihm vermutlich ältere Renaissance Skulpturen, in denen Medusa nicht unbedingt hässlich dargestellt wurde, aber auch die Bewegung des «Manierismus» hatte ihren Einfluss. So war er vor allem auf den Ausdruck der Körper bedacht und wollte die Figuren möglichst elegant darstellen. Die starke Ähnlichkeit der Gesichter der beiden Figuren, wie auch Perseus gelocktes Haar und Medusas Schlangenhaar erlauben die berechtigte Frage, was Cellinis Intention hinter der Arbeit war, abseits den politischen Ideen Cosimos. Ist die Figur Perseus wirklich triumphierend und stark und Medusa die bezwungene Bestie? Perseus überrascht Medusa in ihrem Schlaf, hier auf einem Kissen liegend, entgegen der tradierten Geschichte in der Wildnis, und tötet sie. Auch die Art und Weise, wie er ihren verrenkten Körper herunterdrückt wirkt nicht zwingend glorifizierend. Wird Perseus, beziehungsweise Cosimo als Verräter und Mörder dargestellt? Dadurch scheint Medusas Ursprung als Mondgöttin wieder durchlässig zu werden. Leitete Cellini eine Rückkehr zu ihrem göttlichen Wesen ein und ist ihr Tod als eine Art ritueller Tod hin zu etwas Grösserem zu verstehen? So wirkt der hochgestreckte Kopf wie eine Aufwärtsbewegung gegen den Himmel, getrennt vom menschlichen, irdischen Leib. So wie Cellini diesen Sieg Perseus in etwas anderes umwandelte, so wandelt sich auch die politische Dynamik im 16. Jahrhundert. Die italienischen Staaten verloren immer mehr an Bedeutung in der europäischen Geschichte. Cellini erhielt keine weiteren Aufträge mehr von Cosimo, seine Skulptur blieb aber stehen, trotz Cosimos bekanntlich nachlassenden Freude an der Figurengruppe. Offenbar verstand auch er, dass es sich um ein Meisterwerk Cellinis handelte.

Bild 4: Perseus mit der Medusa, Detailaufnahme der Gesichter, Foto: Wikimedia, CC BY-SA 4.0.https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5.

Zerstören und Erschaffen

Nebst der Schönheit und den bemerkenswerten Details, stellte auch das Herstellungsverfahren der Skulptur eine Sensation dar. Doch der Guss stand vor vielen Herausforderungen. In Florenz gab es keine Werkstatt für den künstlerischen Bronzeguss mehr, denn die Kunsthandwerker waren nach Venedig oder andere Orte ausgesiedelt. Zudem wurde seit Ende des 15. Jahrhunderts vornehmlich in Marmor gearbeitet. Doch das Material Bronze war wieder im Aufschwung für künstlerische Arbeiten, ein Material, das auch für die Herstellung von Waffen verwendet wurde. Zudem schien Cosimo ein grosser Bewunderer und Kenner des Materials zu sein. «Die harte Legierung war einerseits Sinnbild für Macht und Wehrhaftigkeit und galt als Ewigkeitsmaterial.» (Marianne Knipping, fidibus.me) Das Material genoss eine hohe Wertschätzung und entsprechend hatten Bronzegiesser einen hohen Rang inne, da ein grosses Wissen um Material, Verfahren und Behandlung des Erzes im Feuer notwendig war. Diese Herausforderungen nutze Cellini als Chance. 

Dieser liess die Öffentlichkeit am Verfahren teilhaben, in dem er das gehütete «Geheimnis» um die Kunstgiesserei und den Prozess seiner Arbeit in Schriften publik machte. Dadurch demonstrierte er sein Können im Bereich des Bronzegusses, den er auf eine Ebene mit der Bildhauerei stellte (Paragone), und die ab der Gotik wieder an Beliebtheit gewann. Denn wie es in der Bildhauerei gelingt, aus einem einzigen Block durch das Abtragen etwas zu erschaffen, so gelang es Cellini einen einteiligen Bronzeguss zu schaffen. Ein Verfahren, das einst in der Antike bekannt war. Wäre die Skulptur aus Marmor gemacht worden, so wäre es wohl eine beinahe unmögliche statische Herausforderung gewesen, den erhobenen Arm mit dem Kopf der Medusa in der Hand zu schaffen. Somit würde Cellini also eine Skulptur gelingen, die selbst Marmor-Künstler:innen nicht kreieren könnten. Cellini wollte den Guss eigenhändig ausführen, also nicht durch einen Bronzegiesser, da diese sich in Florenz hauptsächlich mit dem Giessen von Waffen auskannten. Der Schaffensprozess war ihm offenbar viel wichtiger als alles andere. War der Prozess des Kreierens in seinen Augen also das eigentliche Kunstwerk? Damit rückt auch das Material in den Fokus, das in seiner ursprünglichen Form zerstört wird. 

Der Lebensgeist im Metall

Aus einem Gerüst aus Eisen formte Cellini die Körper der Medusa und brannte das Modell. Danach wurde Wachs aufgetragen und die Form gegossen. Für die Perseus-Figur führte er ein Ton-Modell als Kern aus, das mit Wachs überzogen wurde. Danach überzog er die Figur mit einer speziellen Formschicht aus Ton (Kutte genannt), welche eine besonders gute Eigenentlüftung ermöglichte. Er überzog alles mit Eisen und schmolz das Wachs bei mässiger Hitze heraus. Dann umgab er sie mit einem „Ärmel“ aus Ziegelsteinen mit vielen Lücken und brannte die Figur zwei Tage lang, bis das Wachs vollständig herausschmolz und die Innenform gefestigt war. Danach wurde eine Grube ausgehoben und die Figur mit Hilfe von Winden und Seilen aufgerichtet und der Gusskörper in die Grube hineinversenkt. Parallel mit der Anbringung von Luftröhren aus gebranntem Ton, wurde die Grube mit Erde aufgefüllt. Den Brennofen hatte Cellini selbst konstruiert, da es keine Werkstatt mehr in Florenz gab. Doch Cellini erkrankte und musste die Arbeit seinen Gehilfen überlassen. Als ein Feuer in der Werkstatt ausbrach und das Dach beinahe abbrannte, während draussen gleichzeitig ein heftiges Gewitter tobte und das hereinströmende Wasser den Ofen abkühlte, schien ihm dies neue Kraft zu geben, so dass er zurück in die Werkstatt stürmte, Feuer und Wasser bändigen liess und die Arbeit wieder aufnahm. Dabei musste er die hart gewordene Bronze wieder verflüssigen. Nach weiteren Schwierigkeiten mit dem Material, gelang es Cellini durch die Zugabe von Zinn, die Perseus-Form in einem Guss herzustellen. Cellini liess somit das «totgeglaubte Material» (Marianne Knipping, fidibus.me), wie auch sich selbst von den Toten auferstehen. Die künstlerische Arbeit liess Cellini also einerseits krank werden und körperliches Leiden erdulden, doch gleichzeitig schilderte er auch von seiner dramatischen Heilung durch den Schaffensdrang. Dem Schöpfen ging ein zerstörerischer Akt voraus; und Cellini hauchte der Plastik Leben ein. Dieser Idee geht ein Verständnis von Metall voraus, das bereits in der Antike zu finden ist. So bestünden Metalle auch aus Wasser, die durch dessen Gerinnung entstehen würden. Nach Aristoteles sei in diesen wässrigen Bestandteilen der Metalle «pneuma», also ein Lebensgeist enthalten. Ein Glaube, der auch im 16. Jahrhundert bestand. So werde der Geist durch die Verflüssigung des Metalls durch das Feuer freigesetzt (vgl. Marianne Knipping, fidibus.me). 

Material und Ausdruck

Cellini gelang also vermutlich der erste einteilige Bronzeguss der Renaissance unter grossen und theatralischen Umständen. Auch heute werden noch ähnliche Arbeitsschritte durchgeführt. Damit steht die Kunstgiesserei Perseo in einer langen Tradition. Durch den inhärenten Akt des Zerstörens, des Brennens und des Neuformens, wird etwas gänzlich Neues erschaffen. Wenn auch heute neue Geräte und Technologien genutzt werden, bleibt der Prozess körperlich und fordert viele Kenntnisse. Die Mitarbeitenden der Kunstgiesserei verwirklichen die geistigen Ideen der Künstler:innen durch das Formen des Material, dem Objektiven, das einen wichtigen Beitrag zum Ausdruck eines Werkes beisteuert. Und wie Perseus sich im Spiegel des Schildes erkennt, um sich vor dem «Schrecklichen» zu schützen, so erkennt Mensch sich in der Kunst wieder und schützt sich von Lähmendem. Das Schöpfen und Kreieren gibt uns Lebensgeist. Wie dieses Leben in die Plastiken eingehaucht wird, durfte das art24 Kunstteam bei einem Besuch in der Kunstgiesserei Perseo miterleben und wird dies niemals vergessen!

Bild 5: Ein fertiges Kunstobjekt in der Perseo SA in Mendrisio. Foto: art24.

 

 

Glossar:

Plastik: Plastik (vom altgr. «plássein» für «kneten, formen») bezeichnet ein dreidimensionales Werk, das dadurch entsteht, dass Material aufgebaut und geformt wird. Es ist also ein additives Verfahren. Bei der Skulptur hingegen, wird Masse abgetragen, etwa durch Schnitzen oder Meisseln und gehört somit zu den subtraktiven Verfahren. Die Wörter werden im Alltagsgebrauch oft synonym verwendet. 

Gorgone: Drei Schreckgestalten mit Schlangenhaar aus der griechischen Mythologie, bei dessen Anblick man zu Stein erstarrt.

Hades: In der griechischen Mythologie bezeichnet der Hades den Herrscher der Unterwelt, aber auch die Unterwelt als Ort.

Manierismus: Eine europäische, künstlerische Strömung, die ca. ab 1520 einsetzte und bis um 1600 nachwirkte. Der Begriff leitet sich vom italienischen Wort «maniera» und bedeutet so viel wie «Stil». Typisch für den Manierismus sind etwa unnatürlich erscheinende Körper, Haltungen und Perspektiven, gesteigerte Bewegung und Ausdruckskraft etc.

Paragone: Ein theoretischer «Wettstreit der Künste», der vorwiegend in der Renaissance und im Frühbarock ausgetragen wurde. Dabei ging es darum, welche Form innerhalb der bildenden Künste, aber auch im Vergleich zu anderen Künsten, etwa die Dichtkunst, die bedeutendste Kunst war.

 

Weiterführende Literatur:

Knipping Marianne (2006). Bronze – zum Leben erweckt. Die aufregende Entstehung der Perseus- und Medusa-Gruppe von Benvenuto Cellini. Auszug aus einem Vortragsmanuskript in der Universität Kassel, Kunstgeschichtliches Seminar, Juli 2006. 

Bardi Ugo (2016). The Myth of Medusa: Benvenuto Cellini and the “Loggia de’ Lanzi” in Florence. In: Goffredo, S., Dubinsky, Z. (eds) The Cnidaria, Past, Present and Future. Springer, Cham. (https://doi.org/10.1007/978-3-319-31305-4_49).

Barbara Stoltz (2015). Der Bronzeguss in der zeitgenössischen Kunst: Tradition einer Herausforderung, in: kunsttexte.de / Sektion Gegenwart, Nr. 1. (https://doi.org/10.48633/ksttx.2015.1.88381).

Lehner Felix, Die Geschichte des Kunstgusses. (Geschichte (pbgestalter.ch)).