Abfall und Kunst? Über Verwertung und Veredlung menschlicher Abfälle in der Kunst
Abfall und Ökonomie
Die Erde und unser Umgang mit ihr ist eines der grössten gesellschaftlichen Themen unserer Zeit. Die ganze Menschheit ist von ihr abhängig und sollte dementsprechend auch ein Interesse daran haben, dass es ihr gut geht. Dennoch scheint sich vielen die unmittelbare Dringlichkeit zu entziehen. Das menschliche Verhalten anzupassen, um den Planeten zu retten, scheint zu abstrakt. Liegt es daran, dass wir uns schnell von Katastrophen erholen, wir an schlechte Nachrichten gewöhnt sind und wir scheinbar unerträgliche Dinge ausblenden? So etwa auch die Masse an tagtäglichem Abfall, dem Symbol unseres Verbrauchs. Ist uns dieser Zusammenhang zu weit vom persönlichen Alltag entfernt, weil wir die Abfallberge nicht ständig vor Augen haben? Denn Abfallentsorgungsstellen agieren meistens entlegen von unserem Leben, obschon es so eng damit verknüpft ist – aus dem Auge aus dem Sinne. Denn wer will schon ständig damit konfrontiert werden? Wie können wir also darüber reflektieren, wenn wir das Unschöne verdrängen? Vielleicht kann uns die Kunst dabei helfen, mit der Unmenge an Abfall und dem problematischen Konsumverhalten umzugehen und neue Wege einzuschlagen. Kunstschaffende können dieses menschliche Beiprodukt auf verschiedenste Weise in Erinnerung rufen und uns hoffentlich auch dazu bringen, Verantwortung zu übernehmen.
Schon der Schriftsteller, Kunsthistoriker und Philosoph Georges Bataille beschäftigte sich intensiv mit der Frage der Verschwendung in seiner Schrift «Der verfemte Teil» («La Part maudite», 1949). Auch wenn in seiner Schrift Widersprüche auftreten und er kein Entrinnen aus dem Kreislauf der Verschwendung sieht, so scheint doch wichtig, dass er den menschlichen Wunsch nach Luxus als Grundproblem identifiziert. Dies bedeutet, der Verzehr der Reichtümer und der Überschuss an Energie kommt für den Menschen vor Fragen der Produktion. Aus diesem Grund wird mehr produziert, als tatsächlich gebraucht wird. Die Produkte versucht Mensch zwar zu verbrauchen, um Platz für neue zu schaffen. Doch irgendwann ist dies nicht mehr machbar, so dass es für das Überflüssige keinen Ort mehr gibt: «In jedem System kommt der Punkt, an dem die überschüssige Energie nicht mehr dem Wachstum zugeführt werden kann und entsprechend unproduktiv verwandt, d.h. nutzlos vergeudet werden muß» (Metzler Philosophen-Lexikon). Die überflüssigen Produkte werden darum versteckt oder verfemt. Die Überproduktion und der Umgang damit entziehen sich also jeglicher Vernunft. Die Produktion oder der moderne Kapitalismus offenbart sich damit als Destruktion. Der Mensch scheint eine Abhängigkeit von Dingen entwickelt zu haben und ist dadurch laut Bataille selbst zum Ding geworden. Das Beschenken ist somit ein gemeinsames Verschwenden dieses Überschusses. Besonders, da er durch die Ökonomie abhängig von der Erstellung und Verwaltung von Produkten geworden ist. Muss der Mensch, der den Drang hat, Dinge zu erschaffen, zurück zu seinen Grundbedürfnissen finden und die Irrationalität des Rausches und des Exzesses abschütteln?
Abfall in der Kunst
Alltagsgegenstände, Abfall, Schrott oder Industrieteile fanden bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts Eingang in die Kunst, etwa bei Kurt Schwitters, Marcel Duchamps. Später beschäftigen sich auch Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle mit dem Thema, oder die amerikanische Künstlerin Mierle Laderman Ukeles, um nur einige Beispiele zu nennen. Wie wird dieser Verausgabung von Ressourcen in der Kunst heute Raum und Form gegeben, um über diese Problematik zu reflektieren? Das Material und ihre Formung sind schliesslich genauso Grundvoraussetzung der Kunst. Kann sie selbst verantwortungsvoll mit den Ressourcen umgehen? Ihr grosser Vorteil ist zugleich ihr Schaffensprozess. Somit kann sie aus etwas bereits Verwendetem etwas anderes, etwas «Neues» kreieren. Dadurch erlebt auch die Hierarchie der Materialien eine Wende. Gold, Bronze oder edle Stoffe sollten schliesslich ein Kunstobjekt wertvoll(er) machen und eine Unvergänglichkeit des Objekts garantieren. Durch das Verwenden von Überresten in der Kunst, also «kunstfremdes Material», welches als weniger wertvoll betrachtet wird, wird dieser Anspruch radikal hinterfragt. Das Material wird dadurch aus seinem ursprünglichen Gebrauchskontext gerissen und in einen neuen, mit Kunst verbundenen Kontext eingebunden. Dadurch wird als wertlos angesehenes Material plötzlich zu etwas Edlem und Wertvollem.
Abfall ist, was wir nicht mehr nutzen, sei dies, ob es defekt, verbraucht oder überflüssig ist. Durch diese Entwertung verliert das Produkt schon mal den Bezug zu seiner ursprünglichen Funktion. In einem Kunstobjekt eingebunden, lässt sich diese einstige Funktion oft noch erahnen, manchmal stärker, manchmal nur noch als lose Spur. Aber wir sind uns bestimmte Materialien für bestimmte Verwendungszwecke gewöhnt und bringen sie damit in Verbindung. Etwa bei Materialien wie Kunststoff, bleibt die industrielle Herstellung und die Vielfalt an Verwendungszwecken am Material haften. Gerade weil dieses Material als Grundlage der industriellen Produktion in den Fokus rückt, öffnet sich der Raum für Fragen nach den eigenen Prinzipien. Indem das Objekt aus Abfall nun auch als Kunstwerk präsentiert wird, werden diese beiden Bezüge unzertrennlich verwoben. Das Material bekommt einerseits eine neue Funktion, es verweist als Spur aber auch auf die einstige Bedeutung. Die Aufwertung geschieht, in dem es nicht mehr als reines Industrieprodukt betrachtet wird, sondern nun auch als Kunstobjekt agiert. Je nach Kunstwerk kann auch ein gänzlich neuer ästhetischer Charakter erzeugt werden, der auf den ersten Blick gar nicht mehr auf den Abfall verweist. Damit erscheinen die verbrauchten Ressourcen noch weniger als Abfall, sondern nur noch als wertvolle Kunst. Abfall in der Kunst kann aber auch eine Reflexion über die Ästhetik sein, denn Kunst muss nicht zwingend «schön» sein. Entsprechend hat auch das Weggeworfene eine eigene Ästhetik. Somit müssen wir also hinterfragen, wie wir den Wert der Ressourcen definieren. Denn auch bei Werken, bei denen Abfall als Material auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist, führt die genauere Betrachtung und Auseinandersetzung mit dem Werk zu einem Bewusstsein für die Herkunft der Struktur des Kunstobjekts und somit auch des Materials.
Ein art24-Künstler, der sich mit dem Thema auseinandersetzt, ist Arto Forma. Seine Kunst kreiert er so gut es geht aus Materialien, die bereits für etwas anderes produziert wurden. Damit versucht er, der Herstellung neuer Materialen für seinen Schaffensprozess zu minimieren und der Überproduktion entgegenzuwirken. Grundlagen seiner Werke sind Entsorgungsmaterialien, recycelte Materialien, Produkte aus zweiter Hand oder Spenden. Diese als untauglich und nicht mehr wertvoll angesehene Rohstoffe erfahren dadurch eine Aufwertung, wie auch eine neue Bedeutung, indem er daraus seine abstrakten Kunstwerke kreiert, so etwa «atomare» (2020).
Er beschreibt das Motiv des Werkes als «ein sich wiederholender Kreislauf einer spezifischen Schädigung, welche als Regen auf einen Menschen herabsinkt.» Dies kann unterschiedlich verstanden werden, etwa als psychische Schäden, die auf einen Menschen niederprasseln. Dies kann aber auch auf die strukturellen Prozesse unserer Gesellschaft bezogen werden, die mit dem Konsumverhalten verbunden sind und uns (in)direkt schaden. Angesichts der geringen Grösse seiner Werke, wird einem auch bewusst, wie viel brauchbares Material täglich weggeworfen wird und dass daraus unglaublich viele Kunstwerke erzeugt werden könnten, für die es vermutlich zu wenig Wände und Räume gibt, um sie alle zu zeigen.
Eine weitere art24-Künstlerin, die sich intensiv mit Fragen von Wert, Umwelt, Ressourcen und den Botschaften, die Materialien aussenden, beschäftigt, ist Verena Kandler. So verwendet sie etwa alte Poster, Verpackungsreste oder sonstige Gegenstände, die weggeworfen wurden und verbindet diese mit der klassischen Malerei. Dadurch verweist sie auf die menschlichen Spuren, die wir täglich hinterlassen und die somit als menschliche Relikte und Zeitdokumente in ihre Kunstwerke eingeschrieben werden. Je nach Art des Abfalls und wie sie die Elemente eingearbeitet hat, kann das Kunstwerk damit auch seinen traditionellen Anspruch an Stabilität und Ewigkeit verlieren. Gerade bei Produkten wie Kunststoff, wissen wir um dessen Eigenschaften. Das Material ist zwar sehr langlebig und bleibt deshalb auch als Mikroplastik entsprechend lange im Umlauf, doch gerade deshalb wird es spröde und zersetzt sich langsam – und somit ist auch das Kunstwerk, das es bildet, ephemer. Damit ruft sie also ein Problem in Erinnerung, mit dem sich die Menschheit erst langsam anfängt auseinanderzusetzen. Sie fordert auf, gemeinsam nach Lösungen für die Zukunft zu suchen und fragt, wie wir mit diesen langlebigen Materialen umgehen wollen, um der Umwelt nicht länger zu schaden. So etwa auch in ihrem Werk «Sympioesis» (2022).
Die Künstlerin verwendet häufig Stoffelemente in ihren Arbeiten. Damit wird ein Bezug zur Bekleidung und zur Modeindustrie hergestellt. Kleidung ist oft sehr persönlich und Ausdruck unserer Individualität und Lebenseinstellung. Sie nimmt somit eine grosse Rolle im Bereich des Konsums ein. Indem sich der Stoff an unsere Körperform anpasst, ist in der Bekleidung stets ein persönlicher Abdruck des individuellen Leibes enthalten, der somit ins Werk eingeschrieben wird und an unsere Vergänglichkeit erinnert. Ein Werk, das gleich mehrere dieser Aspekte vereint, ist «Standpunkt (TECH NO BODIES)». (2022)
Damit spricht sie auch ein weiteres Abfallproblem an. Unser Textilmüll landet oft auf riesigen Abfallbergen, die kaum zu bewältigen sind und die meist in afrikanischen Ländern Mensch und Umwelt vor erhebliche Probleme stellen und Schaden zufügen. Das Beschützende der Kleidung für unseren Körper bekommt damit also auch einen bedrohlichen, zerstörerischen Charakter. In Kandlers Arbeiten wird das Restmaterial aber auch so eingebunden, dass der Abfallcharakter verwandelt wird und etwas Wertvolles und Bewusstes entsteht. Ihre Werke werden durch die Zeitdokumente erzählerisch und fordern uns auf, die Geschichte neu zu denken. Wir sollen uns fragen, wie wir mit unseren Hinterlassenschaften umgehen, was wir verbrauchen wollen und was wir mit dem Konsum von Produkten bewirken. Das verwendete Material selbst sendet bereits eine Botschaft und Konnotationen aus, verweist aber auch an die natürlichen Ressourcen der Erde, aus der sie kreiert wurden. Damit wird der menschliche Unrat plötzlich wieder wertvoll. So auch im Kontext als Grundlage von Kunst. Der Abfall wird damit genauso beachtenswert und hochwertig wie Ölfarben, Gold, Bronze, edle Stoffe oder Marmor es sind. Indem sie diese Materialien verwertet, stellt sie also eine Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft her. Wir sollen also unser Leben von diesen Materialien unabhängiger machen, um der Umwelt weniger Schaden zuzufügen. «Wie behandle ich die Ressourcen der Erde?», lautet also die Leitfrage.
Auch der Künstler Sam Drukker setzt sich mit der Bedeutung von altem Material auseinander. Seine Bildträger stellen oft unkonventionelle Medien dar. So verwendet er etwa verwitterte Segeltücher oder alte Holzstücke als Malgrund. Er bemalt damit Oberflächen, die eine vom Werk unabhängige Vorgeschichte besitzen und fügt ihnen durch seine Malerei eine weitere Bedeutungsebene hinzu. Somit bindet Drukker die Vergangenheit in seine Kunstwerke ein, um eine Beziehung zu ihr herzustellen und sie zu schätzen. Dadurch kann der Ist-Zustand reflektiert werden. Wir werden aufgefordert, uns zu fragen, wie die Vergangenheit uns kulturell beeinflusst hat. Das Leben eines Materials wird so unmittelbar mit der Gegenwart des Menschen verbunden und ebenfalls in den Kontext der Wertfrage gesetzt.
Wie gehen wir also damit um, dass wir zu viele Spuren unseres Daseins hinterlassen? Wie das Wort «Abfall» suggeriert, können wir auch unsere Werte einer Entwertung unterziehen und dem Konsum eine abfallende Gewichtigkeit zuteilen. Das Verschenken ist durch diese Perspektive betrachtet also nicht nur eine nette Geste. Die Entscheidung was und ob wir etwas schenken ist hochpolitisch und beeinflusst das Leben vieler Menschen und unserer Umwelt. Die Weihnachtszeit sollte uns also auch dazu auffordern, unsere Geste des Schenkens neu zu definieren. Wir könnten, statt etwas Neuproduziertes zu kaufen, auch Dinge verschenken, die bereits im Umlauf waren, die eine Langlebigkeit besitzen oder die besonders schonend hergestellt wurden. Gerade auch Kunst ist sehr persönlich und damit ein wunderbares Geschenk. Es ermöglicht eine Auseinandersetzung mit dem Leben auf verschiedenen Ebenen. In diesem Sinne kann einem/einer Kunstliebhaber:in auch nachhaltige Kunst verschenkt werden. Zum Beispiel Kunst, die aus wiederverwendeten Materialien besteht und welches durch dieses Upcycling ein neues Leben als Kunstwerk geschenkt bekommen hat – auch wenn es wahrscheinlich der Wunsch dieser Künstler:innen ist, würde so wenig Abfall wie nur möglich entstehen, so dass daraus keine Kunst hergestellt werden muss. Dies ist aber (noch) nicht der Fall und somit ist es eine Form, von der Konsumwelt abzuweichen und alternative Umgangsformen anzuregen und auszuleben. Es sendet eine schöne Botschaft aus, die nicht nur fürsorglich gegenüber der beschenkten Person und den Künstler:innen ist, sondern auch gegenüber den Menschen, die unter schlechten Bedingungen diese Produkte erzeugen und deren Leben darunter leidet, wie auch gegenüber der Umwelt, die unsere Überlebensbasis bildet. Damit wird der Abfall zwar nicht radikal aus unserem Leben verbannt, denn er verschwindet nie. Aber er erinnert uns in Form von Kunst an unsere Verantwortung für die Gesellschaft und gibt uns Kraft.
Empfehlung: Bis zum 23. Januar 2023 läuft im Museum Tinguely in Basel die beeindruckende Ausstellung «Territories of Waste». In vielen der Arbeiten verschmelzen Kunst und Dokumentation. Der lesenswerte Ausstellungskatalog kann auf der Website kostenlos heruntergeladen werden.
Weitere Literatur zum Nachschlagen:
Bergfleth, Gerd. Bataille, Georges. Metzler Philosophen-Lexikon, in: spektrum.de. (https://www.spektrum.de/lexikon/philosophen/bataille-georges/33).
Gerke, Tano. Lob der Verschwendung. Zu Batailles Theorie der Ökonomie, in: anbruch. Magazin für Kultur & Künftiges, (https://anbruch-magazin.de/batailles-theorie-der-oekonomie/).
Kolk, Katrin (2019). Aggregatzustände: Das Material der Kunst von Abfall bis Zement. Hannover: Sprengel Museum.
Reimann, Sandra Beate (2022). Territories of Waste: Über Die Wiederkehr des Verdrängten: on the Return of the Repressed. Basel: Museum Tinguely.
Bildnachweis:
Bild 1: Arto Forma, atomare, Tusche auf Malkarton, 18 x 13 cm, Foto: art24.
Bild 2: Verena Kandler, «Sympioesis», Mixed Media, 67 x 50 x 2 cm, 2022, Foto: art24.
Bild 3: Verena Kandler, Standpunkt (TECH NO BODIES), Mixed Media, 160 x 130 x 3 cm, 2022, Foto: art24.
Bild 4: Verena Kandler, Standpunkt (TECH NO BODIES), Detailansicht, Mixed Media, 160 x 130 x 3 cm, 2022, Foto: art24.