Regenbogen #9 – Das 20. Jahrhundert: bis 1960

30.11.2023
Martina Kral

In monatlich erscheinenden Blogs, das sind wir Autorinnen der Reichhaltigkeit dieses Themas schuldig, sind wir dem eigentlich flüchtigen Phänomen des Regenbogens und seiner Farben, seiner symbolischen, kulturellen, kunstbezogenen wie mythologischen Verwendung über Jahrhunderte hinweg auf der Spur – angeregt durch das bunte art24-Logo, das wie zerfliessende Aquarellfarben auf Papier stellvertretend für das reiche Spektrum einer Kunstwelt aus unterschiedlichsten Formationen, Ausprägungen und natürlichen Farben steht. 

Auch mit Beginn des 20. Jahrhunderts erhält das Motiv des Regenbogens seitens der Kunstschaffenden grosse Aufmerksamkeit. Die unübersichtliche Fülle an Kunstwerken ist so gross, dass Teil 9 zu einem ersten Überblick bis zu den 1960er Jahren wird. Dass sich die Entwicklung der Malerei durch konträre Stilepochen hinweg bis zur Jahrtausendwende auch im Regenbogen widerspiegelt, dokumentiert, wie beliebt dieses Sujet nach wie vor war.

Schillernd durch die «-ismen»-Stile

Das 20. Jahrhundert beginnt - durch die malerische Brille gesehen - mit einem Paukenschlag: In Dresden, Paris und München gründen sich innert eines Jahrzehnts Zusammenschlüsse von Kunstschaffenden wie die «Brücke», «Les Fauves» oder «Der Blaue Reiter». Ihre expressive, spontan geführte Malerei ist geprägt von dominanten Farbkombinationen, die einer individuellen Gefühlslage entspringen. In dieser Zeit des Expressionismus' sind Regenbögen wohl als solche erkennbar. Doch weniger als Abbild der Realität, sondern als Ausdruck persönlicher Stimmungslagen, die die malerische Bildkomposition unterstützen, etwa bei Wassily Kandinsky, dem Mitbegründer von «Der Blaue Reiter»:

 

Bild 1: Wassily Kandinsky, Murnau – Landschaft mit Regenbogen, 1909, Öl auf Pappe, 33 cm x 42,8 cm x 0,4 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957

 

Franz Marc, der zweite Begründer von «Der Blaue Reiter» geht gar einen Schritt weiter. In seinem Werk «Der Turm der blauen Pferde» von 1913, das seit Ende des II. Weltkriegs 1945 als verschollen gilt, offenbaren sich diverse Elemente: zum einen die Vorstellung des Künstlers, dass Natur bzw. Tier und Kosmos eine Einheit bilden, versinnbildlicht durch den Regenbogen als Brücke zwischen Erde und Himmel; zum anderen die Aufnahme von expressionistischen, kubistischen wie abstrakten Merkmalen, die Marc durch den im Jahr zuvor kennen gelernten französischen Maler Robert Delaunay (1885-1941) und seinen abstrakten, von Licht und Farbe geprägten Kompositionen erfahren konnte und die offensichtlich im «Turm der blauen Pferde» ihren Niederschlag fanden. Der Regenbogen wird damit in die Dimension einer geistig-spirituellen Ebene überführt, die somit keiner realitätsbezogenen Abbildhaftigkeit mehr zu folgen hat.

 

Bild 2: Franz Marc, Der Turm der blauen Pferde, 1913, Öl auf Leinwand, 200 x 130 cm, gilt seit Ende des II. Weltkriegs 1945 als verschollen

 

Der Regenbogen jenseits der sichtbaren Welt

Dass Kunstschaffende veraltete, dem modernen Leben nicht mehr gerecht werdende akademische Regeln bewusst missachteten, um zeitgerechte Antworten in allen Kunstgattungen zu finden, lag auch an naturwissenschaftlichen Erfindungen und neuen Erkenntnissen, die um die Jahrtausendwende auftraten, etwa Röntgenstrahlen, Mikroskop und Film, Einsteins Relativitätstheorie oder Sigmund Freuds Erkenntnisse im Bereich der Psychoanalyse. Bei Paul Klee (1879-1940) und seiner experimentierfreudigen Kreativität liefen immer wieder Ergebnisse aus Forschung, Naturwissenschaft mit eigenen Natur-Beobachtungen zusammen. Etwas «Neues erschaffen», «die Bausteine des Lebens» in neuen malerischen Ausdrucksformen wiedergeben, trieb den aussergewöhnlichen Künstler an. Nach anfänglichen Inspirationen durch kubistische Werke eines Braque oder Picasso oder durch Robert Delaunays kreisförmige, farblich leuchtende Abstraktionen, die Klees Erkenntnis von einer gegenständlichen Auflösung entscheidend prägten, fand er zu einer eigenen Bildsprache. Sein Aquarell «mit dem Regenbogen», angeregt durch Delaunay, lässt einen Regenbogen eine abstrahierte, symmetrisch aufgebaute Landschaft aus eckigen Farbbändern zentral in der oberen Bildmitte überspannen - direkt unter ihm ein dunkles Gebäude mit Turm, das an eine Kirche erinnert und in einem blauen Kreis endet. Von Menschenhand bearbeitete Feldstreifen und gebaute Wasserkanäle versus Kosmos, überirdischer (Himmels-)Sphäre - symbolisiert durch die blaue Scheibe und durch den Regenbogen - katapultieren Klees mitten im 1. Weltkrieg entstandenes Werk mit seiner zeitlosen Bildsprache, die jegliche realistische Wiedergabe hinter sich gelassen hat, in die zeitgenössische Avantgarde.   

 

Bild 3: Paul Klee, mit dem Regenbogen, 1917, 56, Aquarell auf Grundierung auf Papier auf Karton, 17,4 x 20,8 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern 

 

Anfangs noch dem Impressionismus und Expressionismus verhaftet, entwickelte auch der rumänische Künstler Arthur Segal (1875-1944) ab 1914 eine eigene, abstrahierte Formensprache, in der alle Objekte, Figuren und Elemente innerhalb von gemalten Rastern, die sich bis auf den Rahmen ausdehnen (können), gleichwertig behandelt werden. Der Weg für vollkommen abstrakte Werke ist frei.

 

Bild 4: Arthur Segal, Rainbow (prismatic), 1924, Öl auf Leinwand mit bemaltem Holzrahmen, 105.4 × 85.7 cm, Art Institute Chicago, Geschenk von Richard Roth

Im «prismatischen Regenbogen» tritt dieses Prinzip spektakulär in Erscheinung: innerhalb der rechteckigen Raster erhält ein in viele farbige Streifen zerlegter Regenbogen eine neue geometrische Ordnung und damit einen neuen Bildsinn. Nicht der Regenbogen als Motiv steht im Vordergrund, sondern die rhythmische Gliederung der Bildfläche mit Hilfe aufgefächerter Regenbogen-Farben, die einem Muster zu folgen haben. Dass Segal Goethes Farbenlehre für sich entdeckt und verwendet hat, ist allerdings kaum mehr erkenntlich.

 

Der Regenbogen als Hoffnungsträger?

Mit Max Beckmanns (1884-1950) «Eisenbahnlandschaft mit Regenbogen» aus dem Jahr 1942 erhält das Motiv des Regenbogens eine weitere Konnotation. Der Künstler, der Nazi-Deutschland im Juli 1937 für immer verlassen hatte und in die Niederlande emigriert war, gab diesem Bild mit dampfender Eisenbahn entlang eines Gewässers eine beklemmend wirkende Atmosphäre: Trotz vereinzelt blühender Bäume und des farbigen Regenbogens in allerdings inkorrekter Reihenfolge von rot-orange-grün-blau-gelb anstelle von rot-orange-gelb-grün-blau-violett sowie türkisfarbenen Wasserläufen unterbinden schwarzes Geäst, die Dampfwolke und dunkle Waldzone eine freundliche Stimmung. War dieses Bild eine Reaktion auf seine persönliche Lage im Amsterdamer Exil, auf die Diffamierung als entarteter Künstler in Deutschland, auf die schweren Kriegszeiten, trotz allem die farbenfrohe Hoffnung auf Frieden im Zeichen des Regenbogens, im Vorwärts-Drängen in bessere Zeiten durch die Eisenbahn auszudrücken? 

«Worauf es mir in meiner Arbeit vor allem ankommt, ist die Idealität, die sich hinter der scheinbaren Realität befindet. Ich suche aus der gegebenen Gegenwart die Brücke zum Unsichtbaren - …: "Willst du das Unsichtbare fassen, dringe, so tief du kannst, ein - in das Sichtbare." Es handelt sich für mich immer wieder darum, die Magie der Realität zu erfassen und diese Realität in Malerei zu übersetzen. … Das mag vielleicht paradox klingen - es ist aber wirklich die Realität, die das eigentliche Mysterium des Daseins bildet! … Ich erwachte - und sah mich in Holland, inmitten einer grenzenlosen Verwirrung der Welt. Aber mein Glaube an eine endliche Befreiung und Erlösung von allen Dingen, die mich quälten und erfreuten, war neu gestärkt, und ruhig legte ich meinen Kopf wieder in die Kissen. Um zu schlafen und weiter zu träumen.» (Beckmann 21.6.1938). 

 

Bild 5: Max Beckmann, Eisenbahnlandschaft mit Regenbogen, Amsterdam 1942, Öl auf Leinwand, 55 x 89 cm, Privatbesitz. 

 

Regenbögen aus Rauch und Licht

Radikal sollte der Neuanfang der Kunst nach dem Ende des II. Weltkriegs sein. So radikal, dass Otto Piene (1928-2014) gemeinsam mit Heinz Mack (*1931) im Jahr 1957 die Künstlergruppe ZERO gründete, die buchstäblich «bei Null» anfangen sollte. Piene, heutzutage immer noch viel zu wenig bekannt, wurde zu einem der einflussreichsten Wegbereiter der (kinetischen, skulpturalen) Lichtkunst. Mit Rauch, Feuer, Bewegung und Licht kreierte er im wahrsten Sinne des Wortes glühende Werke. Dass er dabei das Motiv des Regenbogens für sich fand, zeigt sich in vielen Grafiken, Siebdrucken und Gouachen, wie im folgenden Beispiel «Lichtbogen (Regenbogen für Hering)» von 1966, der als Jahresgabe für den Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf entstand und vermutlich dessen Direktor Dr. Karl-Heinz Hering gewidmet war. Pienes Vorstellung war, eine Kunst zu schaffen mit Verweis auf menschliche Existenz. Ausgedrückt in der Gegenüberstellung von Licht und Dunkelheit, Tag und Nacht, Leben und Tod. Die Wiedergabe des intensiv leuchtenden Regenbogens, dessen glühendes Strahlen vor schwarzem Grund mit roter Sprühfarbe verstärkt ist, lässt ihn leicht schweben und abermals zum Leitmotiv seiner Auseinandersetzung mit Sonnen(-Licht) werden. Piene ging es nicht um die exakte optische Wiedergabe des Regenbogens, sondern um die Umsetzung und Sichtbarmachung von Naturkräften. 

 

Bild 6: Otto Piene, Lichtbogen (Regenbogen für Hering), Farbserigrafie auf Karton, handüberarbeitet mit Sprühfarbe, 1966, 50 x 70 cm, signiert, datiert, Epreuve d`artiste. Privatbesitz,

 

Mit dem gigantischen Regenbogen für die Abschlussfeier der Olympischen Sommerspiele in München 1972 setzte Otto Piene schliesslich ein Friedenssymbol und macht seine «Sky Art» weltweit bekannt.

Wie der Regenbogen die restlichen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts eroberte, spürt Teil 10 unserer Blog-Serie auf.

 

Weiterführende Literatur:

Little Stephen. (2006). …ismen. Kunst verstehen. München: Verlag Knesebeck

Ruhrberg Karl, Schneckenburger Manfred, Fricke Christiane, Honnef Klaus (Hg.). (2003). Kunst des 20. Jahrhunderts. Malerei, Skulpturen und Objekte, Neue Medien, Fotografie. Köln: Taschen Verlag