Regenbogen #8 – Von Romantik bis Jugendstil

10.10.2023
Martina Kral

In monatlich erscheinenden Blogs, das sind wir Autorinnen der Reichhaltigkeit dieses Themas schuldig, sind wir dem eigentlich flüchtigen Phänomen des Regenbogens und seiner Farben, seiner symbolischen, kulturellen, kunstbezogenen wie mythologischen Verwendung über Jahrhunderte hinweg auf der Spur – angeregt durch das bunte art24-Logo, das wie zerfliessende Aquarellfarben auf Papier stellvertretend für das reiche Spektrum einer Kunstwelt aus unterschiedlichsten Formationen, Ausprägungen und natürlichen Farben steht. 

Bis um 1800 haben wir der Motivik des Regenbogens, seiner Bedeutung für verschiedene Kulturen sowie Epochen in unserer Blogreihe nachgespürt. Nun widmet sich Teil 8 dem gesamten 19. Jahrhundert, einer überaus entwicklungsreichen Zeitspanne von der Romantik, zum Naturalismus und Realismus, über den Impressionismus bis hin zum Symbolismus und Jugendstil. Dabei werden die zeitlichen Abstände zwischen den Stil-Epochen immer kürzer.

Die Romantik: eine Epoche voller Gefühle und Stimmungen

Noch hielten die Auswirkungen der Französischen Revolution mit ihren sozialen Veränderungen und die Napoleonischen Kriege (bis 1815) die Welt in Atem, als das Zeitalter der Romantik als Reaktion auf wissenschaftliche Erklärungen, rationales Denken und industrielle Fortschritte zunehmend an Stärke gewann. Zum umkämpften Begriff und Gefühl nach Freiheit gesellte sich das vielschichtige «Ich» des Menschen mit individuellen Gefühlen, Gedanken, Stimmungslagen, Affekten, persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen sowie die Verherrlichung des Mittelalters und die Bewunderung von Natur-Schönheiten, denen die Künste grosse Aufmerksamkeit schenkten. Die Werke der Romantik bedienten sich einer breiten Klaviatur an emotionalen, leidenschaftlichen, fantastischen, überwältigenden, aber auch erschreckend-unberechenbaren Gefühlen, die Empathie beim Lesen eines Gedichts oder Betrachten eines Landschafts-Gemäldes hervorrufen sollten. Erfolgreich waren jene kreativen, inspirierten Künstler:innen, die Visuelles mit Erfühltem zu kombinieren verstanden. 

Vom Glücksbringer zum Naturphänomen

«Grau und trüb und immer trüber / Kommt das Wetter angezogen, / Blitz und Donner sind vorüber, / Euch erquickt ein Regenbogen. / Frohe Zeichen zu gewahren / Wird der Erdkreis nimmer müde; / Schon seit vielen tausend Jahren / Spricht der Himmelsbogen: Friede. / (…) / Wilde Stürme, Kriegeswogen / Rasten über Hain und Dach; / Ewig doch und allgemach / Stellt sich her der bunte Bogen.» 

So beschrieb Johann Wolfgang von Goethe im Sommer 1814 (während Kriegszeiten) auf der Fahrt nach Wiesbaden sein Naturerlebnis im Gedicht «Regenbogen über den Hügeln einer anmutigen Landschaft». Noch des Öfteren verarbeitete er als Schriftsteller mit grossem Interesse an Farbtheorien das von ihm geliebte Motiv des Regenbogens (siehe art24-Regenbogen-Blog #5). Bei jener Reise jedoch sah er im «bunten Bogen» ein Zeichen für Glück und Hoffnung – und es kann kaum ein Zufall sein, dass es in Goethes Haus in Weimar ein Deckengemälde mit der Göttin Iris und einem Regenbogen gab.  

Wie das visualisierte Bild von Goethes Regenbogen-Gedicht präsentiert sich William Turners (1775-1851) Aquarellstudie «Regenbogen mit Kühen» von 1815:

Bild 1: Joseph Mallord William Turner, A Rainbow, with Cattle, um 1815, Aquarell auf Papier, 25.6 x 41.5 cm, Graphisches Kabinett, Tate Britain (Turner Vermächtnis CXCVII G). 

Vor schweren dunklen Gewitterwolken in der Tiefe der hügeligen Landschaft dominiert Turners Regenbogen leicht und locker gesetzt über einer weiten Wiesenebene mit grasenden Kühen. Ein aufblitzender blauer Himmelsfetzen am oberen Bildrand kündigt besseres Wetter an. Ein weiteres Aquarell mit Regenbogen zeigt meisterhaft und geradezu puristisch, wie Turner Wetterphänomene mit Licht, Luft, Atmosphäre faszinierend umsetzte:

Bild 2: Joseph Mallord William Turner, A Rainbow, um 1820, Aquarell auf Papier, 35.3 x 48.8 cm, Graphisches Kabinett, Tate Britain (Turner Vermächtnis CXCVI R).

Zu Recht avancierte er zum bedeutendsten und einflussreichsten Landschaftsmaler seiner Zeit. Dem Motiv des Regenbogens gab er als «Maler des Lichts» den Status eines Naturphänomens. Nun genügt der Regenbogen, akribisch im Freien beobachtet, einzig und allein sich selbst, ohne symbolisch aufgeladen zu sein.

In den farbenprächtigen, kompositorisch an alten Meistern orientierten Regenbogen-Bildern von John Constable (1776-1837), einem weiteren herausragenden, mit Turner sich rivalisierenden Landschaftsmaler, verbinden sich persönliche, spektakuläre Naturbeobachtungen jedoch mit symbolhaften Inhalten:

Bild 3: John Constable, Landschaft mit doppeltem Regenbogen, 28.7.1812, Öl auf Leinwand, 33.7 x 38.4 cm, Victoria and Albert Museum, London.

Vom Hoffnungssymbol zum Friedenszeichen

Trotz genauer Auseinandersetzung mit Ereignissen am Himmel sah Constable im Regenbogen-Motiv auch ein Symbol für Hoffnung. Etwa im «Doppel-Regenbogen»-Gemälde, das während des Besuchs seines Geburtsorts in Suffolk entstand und im melancholisch-vergangenheitsbezogenen Aquarell «Stonehenge», das in einer für ihn schmerzhaften wie traurigen Zeit entstand: Neben dem Wegzug seiner beiden Söhne litt er unter dem Verlust seiner Ehefrau Maria und seines besten Freundes. Vor allem im Spätwerk finden sich regelmässig Regenbögen, die als «most beautiful Phenomenon of Light» den Maler zutiefst beeindruckten.

Bild 4: John Constable, Stonehenge, 1835, Aquarell auf Papier, 37.7 x 59.1 cm, Victoria and Albert Museum, London.

Ein eher aussergewöhnliches, irritierendes Regenbogen-Motiv findet sich bei Caspar David Friedrich (1774-1840), dessen Malerei schon zu Lebzeiten als Inbegriff romantischer Kunst galt. 

Bild 5: Caspar David Friedrich, Gebirgslandschaft mit Regenbogen, 1809/10, Öl auf Leinwand, 69 x 102 cm, Museum Folkwang, Essen.

Unter dem düsteren, wolkenverhangenen Himmel mit bleichem Bogen lehnt eine vom Sonnenlicht bestrahlte Figur im Vordergrund an einen Felsen und schaut in die weite bergige Landschaft. Einsam, klein und verloren wirkt der Mensch angesichts von Naturgewalten in einer höheren, somit göttlichen Sphäre und der bedrohlichen wie erhabenen Welt – ein Topos, der von romantischen Malern häufig eingesetzt wurde. Mit dem weissen Bogen als Zeichen des Bundes zwischen Gott und den Menschen steht Friedrich bei aller romantischen Erhabenheit noch in der Tradition religiöser Bildwerke vorangegangener Jahrhunderte (vgl. art24-Regenbogen-Blog 4). 

Farbliche Akzente und Malerei im Freien

Bild 6: Jean-François Millet, Le Printemps, zwischen 1868 und 1873, Öl auf Leinwand, 86 x 111 cm, Musée d`Orsay, Dist. RMN-Grand Palais, Paris.

Trotz sozialkritischer Bildinhalte widmete sich der realistisch malende Jean-François Millet (1814-1875) auch landschaftlichen Schönheiten. Im Werk «Frühling» schildert er in lyrisch-poetischer Weise den Aufbruch in eine neue Jahreszeit: Während abgeschnittene Zweige noch an den Winter erinnern, spiegeln blühende Obstgärten und bepflanzte Felder die kommenden fruchtbaren Monate wider. Die Natur dominiert. Nicht der Mensch, der sie bewirtet und bebaut. Kaum erkennbar unter einem Baum im Hintergrund stehend wird der Mensch Teil der Landschaft. Millet nahm frische Farben, die – rasch gesetzt – die atmosphärische Situation mit unterschiedlichen Lichteffekten als Momentaufnahme fixieren. Dass ein Regenbogen die harmonische Bildkomposition farblich akzentuiert, verrät Millets Nähe zu einem Stil, der etwas später als Impressionismus bezeichnet wurde. 

Mit Georges Seurat (1859-1891) betreten wir bereits die postimpressionistische Phase des Pointillismus. Millionen von aneinandergesetzten Farbpunkten sorgen für flimmernde, vibrierende Bildoberflächen. Für das grosse Bild «Badende in Asnières» (1884) fertigte Seurat Dutzende von Vorstudien an. Die hier gezeigte, ist die einzige mit Regenbogen, der nach dem Trocknen der Farbe über den Himmel gemalt wurde. Aufgrund des speziellen, atmosphärisch changierenden Himmels könnte der Künstler in der Tat einen echten Regenbogen gesehen und draussen im Freien vor Ort auf dem Bildträger fixiert haben. 

Bild 7: Georges Seurat, Der Regenbogen: Studie für «Badende in Asnières», 1883, Öl auf Holz, 15.5 x 24.5 cm, The National Gallery, London.

Der Regenbogen am Ende des 19. Jahrhunderts

Auch für sie war die Natur in Kombination mit geschichtlichen oder mythologischen Bezügen von grosser Bedeutung: für die Vertreter:innen des Symbolismus (ab etwa 1880) und der präraffaelitischen Stilrichtung, die in England bereits um 1850 entstand. Akribisch, detailreich und mit feinsten Farbabstufungen gemalt, spiegeln die Werke jener Phasen eine Überfülle an tiefgehenden, symbolischen Anspielungen wider, die in geheimnisvolle, erahnte Sphären abtauchen. Ein Beispiel ist das symbolistische Werk «Töchter der Nebel» von Evelyn De Morgan (1850-1919) aus dem frühen 20. Jahrhundert. Eingehüllt in durchsichtige Gewänder präsentieren sich vier luftige Wesen zwischen Wolken, in Lichtstrahlen erfüllter, schillernder Umgebung und einem zart erfassten, allerdings umgekehrten Regenbogen, der die ätherische Situation unterstreicht. Vermutlich nahm De Morgan Bezug auf Hans Christian Andersens Erzählung von der kleinen Meerjungfrau, die von den Töchtern der Lüfte ermutigt wird, 300 Jahre lang gute Taten zu tun, damit sie schliesslich unsterblich wird. Was im Bild der Stern verdeutlicht. 

Bild 8: Evelyn De Morgan, Daughters of the Mist, 1910, Öl auf Leinwand, 119.4 x 101 cm, Watts Gallery, De Morgan Collection, Cannon Hall, Barnsley, England.

Bild 9: Alfons Mucha, Malerei (aus dem Zyklus Die vier Künste), 1898, diverse Techniken auf Papier, Mucha Museum / Mucha Trust 2017, Prag.

Bilder von hoher Ästhetik, kombiniert mit floraler Ornamentik und der Huldigung weiblicher Schönheit schuf der tschechische Jugendstilkünstler Alfons Mucha (1860-1939). Im Zyklus «Die Vier Künste» von 1898, eines seiner ambitioniertesten Projekte, huldigt er mit ausbalancierter Ornamentik der Malerei in der Personifikation einer anmutigen, stilisiert wiedergegebenen weiblichen Figur, umgeben von dekorativen Mustern, die sich im Hintergrund in Regenbögen und regenbogenfarbenen Kreisen vor wolkenverhangenem Himmel zeigen. Mucha greift in schönster Jugendstilornamentik und ohne Verwendung von Attributen ein traditionsreiches Thema auf, das als Vorlage für zahllose Reproduktionen und ihm als Ausdruck seiner Lebensfreude diente.

Mit diesem Künstler verlassen wir ein Jahrhundert, das abwechslungsreich an Stilen und so gesehen interpretatorisch reichhaltig an Motiven des Regenbogens war. Der nächste Blog widmet sich dem 20. Jahrhundert in Form eines Überblicks.

 

Weiterführende Literatur:

Bockemühl, Michael. (2018). Kunst Sehen - Die Malerei des 19. Jahrhunderts. Bd. 1. Frankfurt/M.: Info 3 Verlag.

Ciseri, Ilaria. (2004). Die Kunst der Romantik: Beginn einer neuen Empfindsamkeit. Stuttgart: Belser AG.

Görner, Rüdiger. (2021). Romantik. Ein europäisches Ereignis. Ditzingen: Reclam Verlag.

Zimmermann, F. Michael. (2020). Die Kunst des 19. Jahrhunderts. Realismus, Impressionismus, Symbolismus. München: C.H.Beck Wissen.

 

Weiterführende Links:

Kunst Sehen (kunst-sehen.com)

Belle Époque – die Kunst des späten 19.Jh. – WELTKUNST 

Kunst des 19. Jahrhunderts - Landesmuseum Oldenburg (landesmuseum-ol.de)