Regenbogen #6 – Das Zeitalter des Barocks

28.07.2023
Martina Kral

In monatlich erscheinenden Blogs, das sind wir Autorinnen der Reichhaltigkeit dieses Themas schuldig, sind wir dem eigentlich flüchtigen Phänomen des Regenbogens und seiner Farben, seiner symbolischen, kulturellen, kunstbezogenen wie mythologischen Verwendung über Jahrhunderte hinweg auf der Spur – angeregt durch das bunte art24-Logo, das wie zerfliessende Aquarellfarben auf Papier stellvertretend für das reiche Spektrum einer Kunstwelt aus unterschiedlichsten Formationen, Ausprägungen und natürlichen Farben steht. 

Widmeten sich die ersten Teile (1-4) den Ursprüngen des Regenbogens, seiner Bedeutung für verschiedene Kulturen sowie Epochen bis zur Neuzeit, tauchen wir in Teil 6 in die prachtvoll-opulente, illusionistische Welt des Barockzeitalters ein. Wie gingen die Künstler:innen mit dem Motiv des Regenbogens in der Zeit von 1600 bis ca. 1750 um? Gab es neue Interpretationen oder Sichtweisen zu diesem Naturphänomen?

Barockes Lebensgefühl zwischen Wissenschaft und Phantasie  

Es sind Jahrzehnte voller technischer Erfindungen, wissenschaftlicher Entwicklungen und aufblühender Forschungsexperimente, die das barocke Zeitalter ab 1600 prägen, wie beispielsweise der Zwinger in Dresden im Mathematisch-Physikalischen Salon eindrücklich präsentiert: vom Mikroskop, über das Fernrohr zum Barometer und Thermometer, zur Rechenmaschine oder Pendeluhr bis hin zur Gründung wichtiger Gesellschaften und Akademien sowie der Entstehung von ersten Gelehrten-Journalen. Doch dieser Entwicklung von technischen, auf Nützlichkeit ausgerichteten Errungenschaften zum Trotz – oder gerade deshalb? –  entsteht parallel dazu ein ausgeprägter Sinn für blühende Fantasie, für Skurriles, überbordende Sinnlichkeit und Rätsel. Vor allem in wohlhabenden, höfischen Gesellschaftskreisen entfalten sich in diesem Rahmen prunkvolle Umzüge, sinnes- wie reizüberflutete Festivitäten und prachtvolle Kunstwerke, die als attraktive Sammelobjekte begehrt sind. Die Welt der Malerei ist dramatischer als je zuvor.

 

Regenbogen als Hoffnungs- und Friedenszeichen

Einer dieser dramatischen Meister-Maler ist Peter Paul Rubens (1577-1640). Seine effektvollen Landschaftsbilder, mal mit mythologischen Figuren angereichert, mal mit idealisierten Vorstellungen ländlichen Lebens ausgeführt, führt der Künstler in brillanter Technik aus reinem Vergnügen vor allem nach dem Erwerb seines Landsitzes Het Steen nahe Mechelen aus. Ein besonders fesselndes Werk ist Die stürmische Landschaft mit Philemon und Baucis aus dem Kunsthistorischen Museum Wien, die Rubens 1636 auf diesem Landsitz vollendete.  

Bild 1: Peter Paul Rubens, Die stürmische Landschaft mit Philemon und Baucis, 1620/25–ca. 1636, Öl auf Holztafel, 147.1 x 209.6 cm, Kunsthistorisches Museum Wien (Gemäldegalerie, 690).

 

Im Fokus stehen mächtige Naturgewalten, die als Gewitter, aufbrausender Sturm und anschwellender Fluss die Szenerie bedrohlich dominieren. Das auf den ersten Blick unscheinbar am rechten Bildrand sitzende Paar Philemon und Baucis beobachtet mit den Gottheiten Jupiter und Merkur die hereinbrechende Katastrophe. Nicht sofort sichtbar ist der kleine, durch die Gischt des heftig strömenden Flusses entstandene Regenbogen in der linken Bildecke, der durch diese Anordnung und nicht wie üblich am Himmel erscheinend die dramatische Situation symbolhaft unterstreicht: die natürliche Ordnung unterliegt dem Chaos. Nichts ist mehr so, wie es eigentlich sein sollte.

Die Ordnung stellt Rubens dann wieder in der grossen Regenbogen-Landschaft von 1536 aus der Wallace Collection her: 

Bild 2: Peter Paul Rubens, The Rainbow Landscape, um 1636, Öl auf Eichenholz, 137 × 235 cm, Wallace Collection Marylebone.

 

Der Regenbogen über der weiten, flachen, idealisierten Landschaft mit Blick auf Weizenfelder, ferne Wiesen, Mischwälder und ländliches Schaffen greift die Tradition von Regenbogen-Bildern vorhergehender Epochen wieder auf: die mit der Natur in Harmonie lebenden fleissigen Menschen sind mit der göttlichen Sphäre durch den Regenbogen als biblisches Symbol für den Bund zwischen Gott und der Menschheit verbunden und können in Hoffnung und Frieden ihr Tageswerk verrichten. 

Peter Paul Rubens setzt sein noch öfter verwendetes Lieblingsmotiv, den Regenbogen, je nach Kontext imponierend und aussagekräftig ein. In einer Fassung in der Ermitage St. Petersburg scheint das Bündnis zwischen Gott und Mensch-Natur-Tier gar in doppelter Hinsicht besiegelt zu sein:

Bild 3: Peter Paul Rubens, Landschaft mit Regenbogen, 1630-1635, Öl auf Leinwand, 86 x 130 cm, Ermitage, St. Petersburg.

 

Ein Hoffnungszeichen setzt auch Jacob van Ruisdael (1628/29-1682), einer der wichtigen Protagonisten der holländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts. Er zeigt in düsterer Atmosphäre unter bedrohlich dunklem Himmel einen jüdischen Friedhof inmitten einer von Ruinen und Bäumen umgebenen Lichtung an einem Fluss. Tod, Zerfall und Vergänglichkeit sind allgegenwärtig. Nur wenige Sonnenstrahlen erhellen einige Wolkengebilde über den Ruinen und streifen vereinzelte Grabmäler und Sarkophage. Gemeinsam setzen der im grauen Himmel links erscheinende Regenbogen und das einfallende Sonnenlicht jedoch Zeichen von Hoffnung in der verlassenen Gegend. Ein grossartiges Werkbeispiel für barocke Malerei, die von krassen Gegensätzen und Dissonanzen geprägt war.  

Bild 4: Jacob van Ruisdael, Jüdischer Friedhof, um 1655, 84 x 95 cm, Öl auf Leinwand, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister.

 

Regenbogen an der Decke

Ein spannendes wie bedeutsames Merkmal der Barockkunst ist die illusionistische Deckenmalerei. Dabei wurden reale Architekturräume mittels raffinierter dreidimensionaler Bemalung (etwa in Trompe-l`oeil-Technik (“Augentäuschung”), perspektivischer Verkürzung, gemalter Ansicht-von-unten) negiert und gleichsam als Scheinarchitektur neu definiert. Dadurch entstanden perfekte Täuschungen von offenen Himmelsgewölben zwischen elegant gemalten architektonischen Strukturen, bevölkert von zahlreichen (Himmels-)Wesen, die Realität vorgaukeln. Der Blick in den imaginären Himmel scheint – zumindest im Kirchenraum – dem irdischen Menschen einen Vorgeschmack auf eine überirdisch-himmlische Sphäre zu geben, die ihm erst nach dem Tod vergönnt sein möge und macht dadurch “Unsichtbares sichtbar”. Zwei Fresken-Beispiele mögen das Motiv des Regenbogens und dessen göttliche Bedeutung und Sinnhaftigkeit verdeutlichen:

Bild 5: Paul Troger, Deckenfresko mit dem thronenden Gottvater unter einem Regenbogen im Stift Seitenstetten, 1741.

 

Zum einen im Deckenfresko eines der herausragenden Maler des österreichischen Barocks, Paul Troger (1698-1762). Er öffnet mit seiner illusionistischen Deckenmalerei im niederösterreichischen Stift Seitenstetten scheinbar den Himmel für die Kirchenbesucher:innen. Unter dem göttlichen Regenbogen, der einzig dieser Sphäre vorbehalten bleibt, übergibt Gottvater dem Lamm das Buch mit den sieben Siegeln, während sich die 24 Ältesten zur Anbetung Gottes erheben.

Bild 6: Johann Baptist Zimmermann, Kuppelfresko mit Christus auf dem Regenbogen in der Wallfahrtskirche Wies (Wieskirche, Bayern), vor 1758.

 

Im Zentrum des Freskos in der Wallfahrtskirche Wies sitzt Christus als Weltenrichter auf dem Regenbogen und nicht auf dem leeren, pompösen Thron unter ihm. Der Künstler Johann Baptist Zimmermann (1680-1758) spiegelt im Regenbogen die Verheissung Christi, die sich auf die ihm gegenüberliegende, gemalte, allerdings (noch) verschlossene Paradiestür bezieht und symbolisiert darin einmal mehr die Verbindung zwischen Himmel und Erde.

Giambattista Tiepolo (1696-1770) hingegen erzählt im illusionistisch geöffneten Himmel samt Regenbogen, Cumulus-Wolken und sich dort tummelnden und fliegenden Wesen von Göttern, allegorischen Wesen und Kontinenten.

Bild 7: Giambattista Tiepolo, Deckenfresko im Thronsaal im Palacio Real in Madrid, 1762-1764.

 

Nicht ein göttlicher Regenbogen ist hier gemeint, der das Himmelsblau durchzieht, sondern ein farbenfrohes, realitätsbezogenes Gebilde, das Tiepolo durch einen künstlerischen Trick im Deckenfresko des Thronsaals im Palacio Real in Madrid positionierte. Denn der Künstler reagierte in seinem raffiniert angelegten Spätwerk aus den Jahren 1762 bis 1764 aus ästhetischen Gründen auf den langen, von zwei Seiten her zugänglichen Saal. Somit unterteilte er die Deckenszenerie mit Hilfe eines dekorativ platzierten Regenbogens in leichter erfassbare und lesbare Abschnitte aus allegorischen Szenen und einer Erzählung zur Meeresgöttin Thetis. Mit Tiepolo sind wir der weltlichen Malerei, die den Regenbogen als Wetter- und Himmelsphänomen betrachtete, ein wenig nähergekommen.

Im nächsten Teil unserer Regenbogen-Blog-Serie beschäftigt uns die Zeit der Aufklärung. Wie haben sich Künstler:innen zwischen 1700 und 1800 mit dem Motiv Regenbogen beschäftigt, als Wissenschaft und rationales Denken die Menschen prägten?