Regenbogen #7 – Im Zeitalter von Vernunft und Aufklärung

14.09.2023
Martina Kral

In monatlich erscheinenden Blogs, das sind wir Autorinnen der Reichhaltigkeit dieses Themas schuldig, sind wir dem eigentlich flüchtigen Phänomen des Regenbogens und seiner Farben, seiner symbolischen, kulturellen, kunstbezogenen wie mythologischen Verwendung über Jahrhunderte hinweg auf der Spur – angeregt durch das bunte art24-Logo, das wie zerfliessende Aquarellfarben auf Papier stellvertretend für das reiche Spektrum einer Kunstwelt aus unterschiedlichsten Formationen, Ausprägungen und natürlichen Farben steht. 

Widmeten sich die ersten Teile (1-6) den Ursprüngen des Regenbogens, seiner Bedeutung für verschiedene Kulturen sowie Epochen bis zum Barockzeitalter, befasst sich Teil 7 mit dem Zeitalter von Vernunft und Aufklärung. In diesem Jahrhundert zwischen 1720 bis 1800 stand das Streben nach Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung eines jeden einzelnen Menschen und sein eigenes Denken im Zentrum. Was bedeutete diese Entwicklung für die Kunst? Liessen sich Kunstschaffende darauf ein oder verfolgten sie ungeachtet dessen eigene Wege? Setzten sie das Motiv des Regenbogens nun «korrekter», also in einem «wissenschaftlich» verstandenen Kontext ein oder widersetzten sie sich jeglicher Vernunft? 

Benutze den Verstand…

Es waren Philosoph:innen und Wissenschaftler:innen, die mit ihren Schriften über Toleranz, Freiheit, Fortschritt und rationales Denken die Grundlagen zur Aufklärung legten und kirchliche Vorgaben wie religiöse Ansichten attackierten. So wie Immanuel Kants Aussage: «Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen» (1784). Dieser Satz gilt als einer der bedeutsamsten Leitsprüche jener Zeit, der nicht nur der Philosophie eine neue Richtung gab. Mit der zunehmenden Emanzipierung des Bürgertums, das eigene Rechte einforderte und die Vormachtstellung des Adels hinterfragte, gewann auch der Kunst- und Kulturbereich mit zeitgenössischen Ausstellungen, der Entstehung von Kunstkritik, -theorie und -rezeption sowie der Gründung von Akademien eine spannende Öffentlichkeit – vor allem in London und Paris als den wichtigsten Kunstmarktzentren Europas. Als die glänzende Blütezeit aristokratischer Kultur nach der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu verblassen begann, waren aufklärerische Theorien mit moralisierenden, erzieherischen wie rationalen Programmen nicht mehr aufzuhalten. Die Wahrnehmung des Schönen und Natürlichen, einer einfachen und deutlichen Darstellung in der Kunst, die bei den Betrachtenden Empfindungen wecken sollten, wurden zum Gegenstand zahlreicher theoretischer Kunst-Abhandlungen (etwa bei Johann Georg Sulzer). Und auch die Erforschung von Licht und der Spektralfarben des Regenbogens, wie schon der art24-Blog «Gesichter der Farbenlehre» thematisierte, wurde in jenen Jahrzehnten genauer analysiert.

…und male!

Aber wie wirkten sich all’ die aufklärerischen Tendenzen und Theorien auf die bildende Kunst aus? Auf Künstlerinnen und Künstler, die das Motiv des Regenbogens einsetzten, zumal dieser viele Jahrhunderte hindurch als Symbol und oftmals nicht optisch korrekt wiedergegeben wurde? Der Einfluss des Farbkreises von Isaac Newton, die daraus abgeleiteten Erkenntnisse seiner Nachfolger sowie die Erfindung weiterer Farbpigmente sind für die «Revolution der Farben» und ihrem «Ineinanderfliessen» im 18. Jahrhundert nicht zu unterschätzen. Eine der Künstler:innen, die sich durch den Newtonschen Farbkreis inspirieren liess, war die geniale und erfolgreiche Künstlerin Angelika Kauffmann (1741-1807). Während ihres Aufenthalts von mehr als einem Jahrzehnt in London entstand ihr Bild Colouring. Dieses farbenprächtige Auftragswerk gehört zu insgesamt vier Deckengemälden für den Sitz der Royal Academy im Somerset House, später Burlington House. Bereits die darauf vorbereitende Grisaille-Skizze (siehe Bild 2) zeigt die wunderschöne Verschmelzung von Symbolik, Ikonographie und Wissenschaft, durchsetzt mit eigenen künstlerischen Ideen. 

Bild 1: Angelika Kauffmann, Colouring, 1778 bis 1780, querovales Deckengemälde, 130 x 149.5 cm, Royal Academy of Arts, Somerset House, London. Foto: Wikimedia Commons

Bild 2: Angelika Kauffmann, Colour, Grisaille-Skizze Öl auf Papier, 1778-80, 22.4 x 28 cm, Graphik & Zeichnungen Study Room, Ebene C, Case MB2A, Regal DR80, Victoria and Albert Museum, London. Foto: Victoria and Albert Museum.

Eine junge Künstlerin, inmitten einer felsigen Landschaft, entnimmt einem Regenbogen mit ihrem Pinsel Farbe. In der anderen Hand hält sie eine Palette mit einem Klecks weisser Farbe (als Symbol für das weisse Licht). Während diese Szenerie die Gattung Malerei und die Farbe als eines der Elemente der Kunst vertritt, repräsentiert das kleine Chamäleon zu ihren Füssen die Vielfalt der Farben in der Natur. In Ergänzung zu den restlichen Deckengemälden mit weiteren Elementen der Kunst («Erfindung», «Komposition» und «Design») folgte Angelika Kauffmann den Ansichten von Sir Joshua Reynolds (1723-1792). Dieser leidenschaftlich der Farbe in Theorie wie Praxis verfallene Maler war der erste Präsident der damals noch jungen Royal Academy in London, der auch Angelika Kauffmann als Gründungsmitglied angehörte. Die Inhalte seiner Vorlesungen zu Malerei und Farbe waren ihr daher hinlänglich vertraut. Schon bald wurde Kauffmanns Gemälde als Kupferstich von Francesco Bartolozzi (1727-1815) verbreitet - ihr Ruhm als «vielleicht die kultivierteste Frau in Europa» (Gottfried Herder an seine Frau Caroline 1789), die Theorien mit grosser Könnerschaft zu verbildlichen wusste, wurde weiter gefestigt.

Dass Sir Joshua Reynolds nicht nur über Farbe und Licht als geschätzte Themen theoretisieren konnte, zeigt das Porträt von Archibald Montgomerie aus den Jahren 1783/84. Äusserst begehrt waren Reynolds Bildnisse, die zumeist spektakuläre, optisch genau beobachtete Himmelsatmosphären aufgriffen. Der unter einem Lichtkreis (Halo) wie ein Heiliger erscheinende Archibald Montgomerie, 11. Earl of Eglinton, spiegelt Reynolds exakte Naturbeobachtungen auch hinsichtlich Farbverläufen eindrücklich wider.

Bild 3: Sir Joshua Reynolds, Archibald Montgomerie, 11th Earl of Eglinton, 1783-1784, Öl auf Leinwand, 76.2 x 63.5 cm, Royal Collection der britischen Königsfamilie.

Auch Benjamin West (1738-1820), der zweite Präsident der Royal Academy, verstand es mit brillanter Sprache seine Studenten für den korrekten Gebrauch von Farben zu animieren, beispielsweise 1897 über Vorträge zu «Principles of Colouring in Painting» oder «The Warm and Cold Colours» (S. 115 ff.), die 1820 in «The Life, Studies, and Works of Benjamin West» veröffentlicht wurden. Dass hierbei auch der Regenbogen als leuchtendes Vorbild für die korrekte Verwendung von Farben genannt wurde, mag kaum mehr verwundern.

Ein starkes Interesse an Naturwissenschaften hatte auch der englische Maler Joseph Wright of Derby (1734-1797), dessen Werke mit dramatisch inszenierten Lichteffekten von innen heraus aufzuleuchten scheinen. Eines dieser Meisterwerke ist A Philosopher Giving that Lecture on an Orrery, in which a Lamp is put in the Place of the Sun von 1766. Da das Licht als das Symbol der Aufklärung schlechthin galt und in vielerlei Hinsicht eine bedeutsame Rolle spielte, gibt sich Wright als deren grossartiger Vertreter zu erkennen, der die Aneignung von rationalem Denken und Wissen darstellt und zugleich würdigt. 

Bild 4: Joseph Wright of Derby, Ein Philosoph hält einen Vortrag über das Planetarium, 1764-1766, Öl auf Leinwand, 147.3 x 202.2 cm, Derby Museum and Art Gallery, Derby, England.

1794 entstand Wrights Landschaft mit Regenbogen mit einem wahrscheinlich fiktiven Standort. Ein Jahr zuvor hatte der Künstler seinem Freund und Gönner John Leigh Philip mitgeteilt: «Ich versuche mich an einem Regenbogeneffekt». Für ihn war es ein neues Thema, vermutlich inspiriert von früheren Landschaftsdarstellungen mit Regenbogen etwa von Peter Paul Rubens, die Wright allerdings mit eigenen Naturstudien und aus persönlichem Interesse an Wetterphänomenen ergänzte – ganz im Kant’schen Sinne «sich seines eigenen Verstandes zu bedienen».

Bild 5: Joseph Wright of Derby, Landscape with a Rainbow, 1794, Öl auf Leinwand, 81.2 x 106.7 cm, Derby Museum and Art Gallery, Derby, England.

Spirituelle, mystische Farbverläufe

Die Kunst des 18. Jahrhunderts war jedoch weit mehr als nur von einzelnen, aufklärerischen Sujets geprägt, zumal von einer reinen Kunst der Aufklärung kaum die Rede sein kann, sondern eher von einer aufklärerischen Kunst. Zu vielschichtig waren die Bildmotive von fernen Universen, bedrohlichen Apokalypsen, erotischen Szenen und zur menschlichen Anatomie, zu ideenreich setzten die Kunstschaffenden Gedanken und Visionen um. Einer dieser Visionäre war William Blake (1757-1827), der als Künstler, Dichter, Naturmystiker und Erfinder der Reliefradierung allerdings auf wenig Anerkennung stiess. Im gleichen Jahr wie Wrights Regenbogenbild entstand Blakes Gedicht Europe a Prophecy mit zahlreichen Illustrationen, aus dem folgenden Beispiel entnommen ist: 

Bild 6: William Blake, Europe a Prophecy, 1794, Relief- und Weisslinienätzung mit Farbdruck und Handkolorierung, 36 x 25.7 cm, The British Museum, England, Foto: British Museum

Eine Gottvater-ähnliche Figur in einem expressiv rot-orange changierenden Sonnengebilde mit unterem Strahlenkranz, umgeben von grau-blauen Wolken, hält sich knieend und mit gebeugtem Rücken, ausgestrecktem Arm und in der Hand einen überdimensionalen Zirkel zur Vermessung bereit. Was dieses «Auszirkeln» beinhaltet und worauf es sich bezieht, liegt für uns Betrachtende, vielleicht auch für den «Architekten» selbst buchstäblich im Dunkeln. Dieser aufleuchtende Farbverlauf in Blakes Prophezeiung unterstreicht die künstlerischen Ansichten auf vielfältige Weise: Einerseits sieht sich Blake als Künstler mit dem Göttlichen verbunden, der die Menschen zu einer spirituellen Erneuerung führen wollte; zum anderen kreierte er eigene mythologische Kreaturen (etwa Ork als Geist der Energie), die als Sinnbilder für seine Sichtweisen auf geschichtliche und politische Missstände seiner Zeit zu verstehen sind. Blake benutzte hier den Zirkel als Zeichen der Freimaurer, die als unterstützende «Architekten» der Revolutionen in Frankreich und Amerika galten. Politik, Spiritualität, Revolution, Geschichte, Weisheit – alles durchdringt sich, und sollte immer wieder neu ausgezirkelt werden.

Bild 7: William Blake, Beatrice spricht zu Dante, 1824, 37 x 53 cm, Tusche und Aquarell auf Papier, Tate Gallery.

Farbenfroher und für Augen und Sinne verführerischer kann die Führung von Dante (1265–1321) durch seine grosse Liebe Beatrice durch den Himmel in der Vorstellung von William Blake nicht sein – mit fein schillernden Farbnuancen, ein wenig wie Regenbogenfarben, illustrierte der Künstler diese Szene am Ende von Dantes «Göttlicher Komödie» von 1321 und katapultierte sich damit bereits in die nächste Kunstepoche: in die Zeit der Romantik. 

Einmal mehr hat Blake mit anderen Kunstschaffenden aufgezeigt, dass Aufklärung die Erkenntnis davon ist, unter Einsatz des eigenen Denkens und Verstands zu neuen Ideen und Sphären zu gelangen, um sogar Wissenschaft und Forschung weit hinter sich lassen zu können. Wie sich die Kunst dann nach 1800 dem Regenbogen annahm, verrät der nächste Artikel dieser Blogserie.

 

 

Weiterführende Literatur:

Steffen, Martus. (2015). Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert. Ein Epochenbild. Berlin: Rowohlt. 

Saltzwedel, Johannes (Hg.). (2017). Die Aufklärung. Das Drama der Vernunft vom 18. Jahrhundert bis heute. DVA Spiegel Verlag.

Kay Kankowski (2012). Die Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192628.

Weiterführende Links:

Angelika Kauffmann Research Project

Die Aufklärung in Bildern, Deutschlandfunk Kultur