Regenbogen #11 – Der Regenbogen im 21. Jahrhundert: Immersion in den Regenbogen
Glorie und das Unerschöpfliche
Wenn wir an den Regenbogen denken, assoziieren wird diesen automatisch mit Farbe, Licht und Reflexion. Auch Gerhard Richter befasste sich mit diesen Wahrnehmungsphänomenen unter anderem in seinem «Richter-Fenster» (2007), welches im Südhaus des Kölner Doms zu bestaunen ist.
Bild 1: Gerhard Richter, Fenster im Südquerhaus, Mundgeblasenes Echt-Antikglas, 2300 x 900 cm, Kölner Dom, 2007. Foto: Wikipedia CC BY-SA 4.0.
Im Gegensatz zu seinem Gemälde «Regenbogen» (1970, lese mehr hierzu im Blog #10), wendete er sich diesen Themen im Kölner Dom aber weniger «gegenständlich» zu, sondern «konkreter» mit dem Farbverlauf und der örtlichen Erfahrung in der Kirche., also wie die Fenster im Kontext des Kirchenraumes auf uns wirken. Das Fenster besteht aus 11'500 Farbquadraten in 72 Nuancen, welche teils durch das Zufallsprinzip, teils durch die Architektur bedingt, angeordnet wurden. Dabei schimmert das Tageslicht durch die Glasquadrate hindurch und hinterlässt an den Wänden des Kirchenraums flüchtige Reflexionen der Farbpalette. Dadurch werden Besuchende von farbigen Lichtflecken umhüllt, die sich mit dem Tagesverlauf verändern. Das Fenster basiert auf Richters Arbeit «4096 Farben», das finale Werk einer Serie, mit der sich der Künstler ab den 1960er Jahren bis in die 1970er Jahre beschäftigte. Hierfür sammelte er Farbkartenbilder unterschiedlicher Maler:innen.
Bild 2: Beispiel einer Farbkarte von Pantone, Foto: Wikipedia.
Folglich dachte er über Farbe als ein kommerzielles Produkt nach, genau wie er dies auch mit Autos, Ferien und anderen Motiven tat, die er auf die Leinwand brachte. In seiner Arbeit «4096 Farben» isolierte er nun die Farbe, welche der Malerei als Grundlage dient. Farbe wird als seriell hergestelltes Produkt offengelegt, deren Kombinationen in der Serie anfangs dem Zufallsprinzip unterlagen. Später kam eine mathematische Berechnung der Farbanordnung dazu, die er auch beim finalen Werk «4096 Farben» anwendete. In Richters Kunst entsteht so eine Spannung zwischen Berechenbarkeit, Zufall und Mystik. In den Farbnuancen und Anordnungen des Richter-Fensters finden wir dadurch nebst einer Zelebration von Glorie auch die Unendlichkeit an Möglichkeiten. Und damit auch die Unmöglichkeit, diese Unendlichkeit des Spektrums von Farben und Kombinationen jemals darzustellen. In diesem Grenzenlosen der farblichen Beschreibungsmöglichkeiten, in dem so viel Hoffnung steckt, wird gleichzeitig eine Bedeutungslosigkeit offengelegt. Erkennen wir in diesem Fenster also eine Parallele zum Prinzip der Hoffnung, das im Regenbogensymbol und dessen Spektralfarben steckt, welche allen Farben als Grundlage dienen? Es scheint als brauche es eine Form des Glaubens und des Hoffens für den Menschen, die Richter in diesem Fenster einfängt. Kann ein katholischer Ort somit auch als Ort der Hoffnung für alle dienen? Ist das ein Gefühl, das uns Menschen auszeichnet? Dass wir uns für etwas öffnen, das möglich erscheint?
Bild 3: Gerhard Richter, Fenster im Südquerhaus, Mundgeblasenes Echt-Antikglas, 2300 x 900 cm, Kölner Dom, 2007. Foto: Wikipedia CC BY-SA 4.0.
Die Welt des Unerschöpflichen spiegelt sich also nicht nur in der Popkultur, Werbung und der seriellen Herstellung von Ware wider, wie wir dies im Blog Nr. 10 gesehen haben, sondern wird auch im Glauben und in der Kunst besprochen. Dies beweisen die verschiedenen Bedeutungen, die das Unerschöpfliche annehmen kann. Nebst dem Thema der seriellen Produktion hat Richter in seinem Fenster also auch Fragen von Religion, Ehrfurcht und Staunen aufgegriffen.
Auf dem Regenbogen dahin schreiten
Und was, wenn wir ganz vom Regenbogen umhüllt werden und ihn «begehen» können? Ist das Unmögliche möglich? Eine solche Annäherung an den Regenbogen erhalten wir durch ein architektonisches Werk des dänisch-isländischen Künstlers Ólafur Elíasson. Für dieses Kunsterlebnis reisen wir nach Aarhus, Dänemark ins Kunstmuseum ARoS. Auf dem Dach des Gebäudes steht ein begehbares permanentes Werk des Künstlers, das sich aus einem 150 m langen und 3 m breiten verglasten Gehweg bildet. Während man entlangschreitet, verändert sich die Farbe des Glases, so dass man alle Farben des Spektrums durchschreitet. «Your Rainbow Panorama» (2004) nennt sich die Arbeit, umgesetzt durch die Architekten Schmidt, Hammer & Lassen. Dabei wird den Besuchenden ein Rundpanorama in allen Spektralfarben über die Stadt und die Bucht freigegeben. Der Blick auf die Stadt zersetzt sich in seine Ursprungskomponenten. Dabei wird das jeweilige Licht im Gang auf den Boden und die Decke geworfen, so dass die Menschen ganz vom Licht, in dem sie gerade stehen, zugedeckt und eins mit dem Regenbogen werden. Während Besucher und Besucherinnen also über die Stadt schweben, wird ein Zwischenraum eingenommen, der den Himmel näherbringt und gleichzeitig eine neue Wahrnehmung und Definition von Raum sowie Innen und Aussen ermöglicht. Wie Elíasson selbst beschreibt, verschwimmt damit auch die Grenze zwischen Kunst und Gebäude, wodurch sich unsere Sinne erweitern und aus der uns so vertrauten Distinktion zwischen Architektur und Natur ausbrechen (vgl. Presseinformation 2011, Ein Regenbogen über Aarhus, Zumtobel 2011).
Bild 4: Kunstmuseum ARoS in Aarhus mit der Installation «Your Rainbow Panorama» von Ólafur Elíasson auf dem Dach, erbaut 2004, Foto: Wikipedia CC BY-SA 4.0.
Bild 5: Kunstmuseum ARoS in Aarhus, Luftaufnahme mit Blick auf die Installation «Your Rainbow Panorama» von Ólafur Elíasson, erbaut 2004, Foto: Wikipedia CC0.
Bild 6: Kunstmuseum ARoS in Aarhus, Blick von der Installation «Your Rainbow Panorama» von Ólafur Elíasson auf die Stadt, erbaut 2004, Foto: Wikipedia CC BY-SA 3.0.
Licht und Leben
Die koreanische Künstlerin Kim Soo-ja kreiert Räume auf der ganzen Welt, die uns in atemberaubende, atmosphärische Welten eintauchen lassen. Die Räume entfalten ihre Wirkung durch die Regenbogenfarben. Durch ihre Installationen betont sie den vorgegebenen Raum, macht ihn aber zu etwas gänzlich anderem als wir es in unserer tagtäglichen Erfahrung gewohnt sind. Sie thematisiert das Ein- und Ausatmen innerhalb der Leere des Raumes, eine Funktion des Körpers, die uns am Leben hält und uns in einer permanenten Dualität existieren lässt (vgl. Interview mit Francesca Pasini). Mittels Licht und Spiegel kreiert die Künstlerin ihre Werke. Dabei wird beispielsweise Licht auf zerkratze oder durchsichtige Beugungsgitterfolie geworfen, der dieses in den Farben des Spektrums verstreut. Wie bei Richters Fenster, sind die Werke vom Tageslicht abhängig, wodurch das Werk jeden Tag anders aussieht. Damit gibt die Künstlerin auch ein Stück ihrer Kontrolle ab und erzeugt auch hier eine Analogie zum Leben. Sie fordert uns aber auch dazu auf, unsere Beziehung zu uns, zu anderen und zur Umgebung wahrzunehmen und zu erfahren. Durch die Spiegel werden die Regenbögen unendlich reflektiert, so dass ein Raum plötzlich eine Vielzahl an Ebenen erhält. Licht und Farben werden hier zu verbindenden Elementen für den Menschen und führen zu einem Moment des Staunens. Durch Kim Soo-jas Arbeiten kann nun wahrgenommen werden, was sonst so selbstverständlich jeden Tag da ist. Indem sie uns diese Grundlagen in diesen Räumen bewusst werden lässt, entfaltet sie die Schönheit dessen, womit wir die Welt erfahren können. Licht und Farben sind wesentlicher Bestandteil unserer Kultur – die Kunst bedingt diese Elemente.
Bild 7: Respirar - Una Mujer Espejo / To Breathe - A Mirror Woman, Ortsspezifische Installation mit Beugungsgitterfilm, Spiegel, The Weaving Factory, 2005 (Klangperformance der Künstlerin) für den Palacio de Cristal in Madrid, 2006. Foto: CC BY-SA 3.0
Hoffnung und politische Botschaften
Auch der Schweizer Künstler Ugo Rondinone greift das Regenbogen-Motiv immer wieder auf. Rondinones Werke bestechen visuell, bergen aber auch tiefe philosophische Fragen in sich. Eine seiner Rauminstallationen von 2014, die – im Gegensatz zu Elíasson – innerhalb eines Gebäudekomplexes integriert wurde, war die Arbeit «Vocabulary of Solitude». Das Werk wurde 2021 in Auckland in der Art Gallery Toi o Tamaki gezeigt. Dabei wurden Glasfenster mit bunten Folien behandelt und im Raum Clown-Skulpturen aufgestellt. Die Clowns repräsentieren Figuren, die sich vom Mainstream der Gesellschaft abheben und als «Narren» betitelt werden und stellen Themen der Inklusion und Exklusion in den Fokus. Diente der Regenbogen hier als verbindendes Element, als ein Traumort, in dem wir Narren sein dürfen und so der Einsamkeit durch dieses Stigma entkommen können?
Rondinone erstellte neben seinem erfahrbaren Werk in Auckland 17 unterschiedliche Neon-Schilder, die in Regenbogenfarben leuchten und jeweils in ortsspezifischen Aussenbereichen auf der ganzen Welt verstreut zu sehen waren. Die Krümmung der Schriftzüge sind dem Regenbogen nachempfunden und «rufen» jeweils eine Aussage in die Welt hinaus. So etwa «A Horse With No Name» (2002) auf dem Dach der Matthew Marks Gallery in New York, eine Referenz zum erfolgreichen Hit der Band America von 1972. Ein Lied, das davon handelt, wie gut es ist, dem Regen zu entfliehen und dem Alltag zu entkommen. Damit eröffnet er eine Fülle von Assoziationen, die oft sozialpolitisch geprägt sind. So auch mit dem Schriftzug «Life Time» (2022) auf dem Dach der Schirn Kunsthalle in Frankfurt, das Zeit und Vergänglichkeit thematisierte. Die Werke Rondinones entfalten Gefühle von Melancholie und Hoffnung zugleich. Die politischen und philosophischen Botschaften der Neon-Schilder werden vom Regenbogen übermittelt. In den Statements verschmilzt so die Natur, repräsentiert durch den Regenbogen, mit den melancholischen Aussagen und lässt etwas Positives entstehen. Durch den Regenbogen greift Rondinone somit zur Natur als Kraftort zurück, der uns Hoffnung gibt.
Bild 8: Ugo Rondinone, Breathe, Walk, Die, Installation aus Aluminium, Neon, Plexiglas, durchsichtige Folie, Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, 2014, Foto: Wikipedia CC-BY-4-0.
Love, Peace and Empathy
Wir sehen also, dass mit dem Regenbogen auch in der zeitgenössischen Kunstgeschichte Fragen zu Spiritualität, Kraft und Hoffnung einverleibt werden. Künstler:innen befassen sich mit den Grundlagen der Bedingungen unserer Welt und damit auch automatisch mit wissenschaftlichen Aspekten. Denn hinter all diesen inspirierenden Naturphänomenen stecken erstaunliche Abläufe, die unsere Kunst und Kultur prägen und nur schon auf Grund dessen wie Wunder wirken. Die Hoffnung als verbindende menschliche Erfahrung, die uns vorantreibt und uns offen für all diese Möglichkeiten macht, wird also durch den Regenbogen verkörpert, der so wiederum in unendlichen Kunstwerken seine Spuren hinterlässt und Liebe, Frieden und Mitgefühl verstreut.
Somit beenden wir unsere Regenbogen-Reise in der Gegenwart und hoffen, Du hattest Freude am Lesen und konntest vieles über die Kulturgeschichte des Regenbogens mitnehmen. Der Regenbogen der uns jedes Mal innehalten lässt, wenn er sich zeigt – ein wahres Wunder und einzigartige Kunstwerk der Natur.
Weiterführende Literatur
Shannon, Joshua, System: Gerhard Richter. The Recording Machine. New Haven: Yale University Press, 2020, S. 149–194.
Public Delivery, What are Kimsooja’s rainbow rooms all about? (latest update: 31. August 2023, What are Kimsooja’s rainbow rooms all about? (publicdelivery.org)).
AroS, Your Rainbow Panorama, Your rainbow panorama - ARoS.
Paula Pfoser, Gerhard Richters gebrochene Romantik, 30. September 2020. (BA Kunstforum: Gerhard Richters gebrochene Romantik - news.ORF.at).