White Canvas #13 Oleksandra Voronina über das Arbeiten während der Krieg noch läuft
Ich habe viele Dinge vergessen, die vor Februar 2022 passiert sind. Mir ist klar, dass der Krieg schon seit vielen Jahren andauert, aber dennoch hatte er vorher keine so belastende Wirkung auf mein Bewusstsein. Es war eher eine Depression, die mehrere Jahre dauerte.
Jetzt erinnere ich mich nicht mehr an die Menschen, mit denen ich kommunizierte. Ich erinnere mich nur noch an meine Freunde, Freundinnen und Verwandten. Jeden Tag halte ich mein Handy fest umschlossen in den Händen, verfolge ständig die Nachrichten und scrolle durch die Sozialen Medien, auf der Suche nach Lebenszeichen von meinen Liebsten. Nur so kann ich mich beruhigen und auch ihnen Teile meiner Geschichte zeigen. Ich habe keine Kraft, sie anzurufen und ihnen zu schreiben.
Mein Leben und das wahrscheinlich aller Ukrainer:innen hat sich verändert. Meine Persönlichkeit scheint nicht mehr zu existieren, sie scheint verschwunden zu sein. Jetzt bin ich ein Mensch aus der Ukraine, einsam, mit unkontrollierbaren Emotionen und grossem Gepäck. Obwohl der Krieg uns alle im Kampf und in der Abscheu vor dem russischen Angriffskrieg vereint hat, hat er auch viele einsam gemacht.
Ich denke an das Problem der Einsamkeit von Frauen. Ich beobachte, wie meine Freundinnen gezwungen waren, ihr Land, ihre Familie, ihr Zuhause und ihr gewohntes Leben unfreiwillig hinter sich zu lassen und in einer fremden Umgebung irgendwie neu anzufangen. Andere blieben zu Hause, aber vor dem Hintergrund des emotionalen Umbruchs begannen sie, bei Begegnungen mit anderen Menschen Unbehagen und eine Art von Stress zu empfinden. Die meisten passten sich an und kehrten teilweise in ihr normales Leben zurück.
Ich schreibe verwirrt, meine Stimmung und meine Gedanken ändern sich schneller, als ich sie kontrollieren kann. Alle gewöhnlichen Dinge, alltägliche Szenen haben ihre Farbe verändert. Jede Szene des Lebens ist gewöhnlich, aber man spürt, dass etwas mit der normalen Realität passiert. Alles, was man jetzt tut, hat man auch vorher getan, aber jetzt sieht man alles durch das Prisma des Krieges, denn man kann nicht aufhören, an den Krieg zu denken. Schliesslich kann man sich nicht von den Schrecken, die man gesehen, gelesen oder gehört hat, ablenken. Du denkst immer daran, wenn du aufwachst und wenn du einschläfst. (…)
Man kann sich nicht über die Freiheit der Menschen freuen, man spürt sofort das Grauen dessen, was diese Menschen später erzählen werden. (…) Wie die Grossmutter meines Freundes, die wir in der besetzten Stadt, die seit langem unter verheerendem Dauerbeschuss steht, gesucht hatten, sie sich aber weigerte, evakuiert zu werden. Und als sie nach langer Zeit evakuiert wurde, war sie verrückt geworden. (...) Man kann nie begreifen, wozu ein Mensch fähig ist, wenn man ihm völlige Freiheit und Straffreiheit gewährt. Ich denke, dass wahrscheinlich die Mehrheit der Menschen in der Ukraine in irgendeiner Form an einem posttraumatischen Syndrom leidet. Ich denke daran, wie die Menschen, die die Ukraine verteidigen, und an diejenigen, die zu viel verloren haben, um in ihr zivileres Leben zurückkehren zu können. Ich denke an all die Menschen, die sich nicht für diesen Krieg interessieren oder ihn satthaben.
Bild 1: "Ein Abdruck auf der Netzhaut" 2022. 320 x 140 cm. Gemälde, Acrylfarbe auf Leinwand.
Das Feuer ist ein Symbol für meine durch den Krieg ausgelöste Wut, die mir einen Wirbelsturm von vorwiegend negativen Emotionen bescherte. Das ist es, was in meinem Kopf sitzt und mich nicht eine Minute lang verlässt. Das ist es, was mich jetzt immer begleitet. Ich habe lange an diesem Werk gemalt und parallel dazu habe ich andere Werke aus diesem Projekt fertiggestellt. Ich habe es angefertigt, als meine Emotionen aus dem Ruder liefen und ich mich ihnen beugen musste. Und da meine Gefühle und meine Stimmung sehr wechselhaft sind, springt sie die ganze Zeit, viele Male am Tag, von einem Extrem ins andere. Dies zeigt sich in meinem Werk in den Segmenten, die mein Inneres, meinen emotionalen Zustand widerspiegeln.
Bild 2: "Gewohnheit" 2022. 140 x 100 cm. Gemälde, Acrylfarbe auf Leinwand.
In dieser Szene geht es nicht um Sexualität, sondern um das übliche Geschehen im Leben, das gleich zu sein scheint. Aber etwas Wichtiges hat sich verändert, denn es ist unmöglich, sich von Informationen, von Abscheu und Verständnis für eine unglaublich schreckliche Realität völlig zu abstrahieren. Fotos von gefolterten Menschen und ihre Geschichten tauchen immer wieder in meinem Kopf auf – wie ein Juckreiz. Das Licht der Flamme in der Arbeit ist das, womit mein Leben im letzten Jahr gefüllt war. In dieser Arbeit geht es auch um mein einsames Leben ausserhalb der Ukraine. Davon, wie ich allein in einem Haus auf dem Gelände einer Galerie in Deutschland sass, nachdem alle Festivitäten vorbei waren und die Künstler:innen den Ort verlassen hatten. Dann lebte ich allein in einem Haus für Kunstbewohner:innen von Not Quite in Schweden. Dieses Gefühl änderte sich ein wenig, als ich in die Ukraine ging und meine Mutter und meinen Hund nach Schweden mitnahm. Aber trotzdem verstärkte sich das Gefühl der Einsamkeit durch die Erkenntnis, dass die Menschen um einen herum einen nie ganz verstehen würden. Jeden Tag treffe ich viele freundliche, mitfühlende und interessierte Menschen. Aber sie haben nicht die Fatalität, mit der die Ukrainer und Ukrainerinnen ausgestattet sind. In dieser Arbeit und in der Arbeit mit dem Wald habe ich einige Kapitel meinem Freund gewidmet, mit dem ich gemeinsam als Freiwilligenkoordinatorin tätig war und mit dem ich gemeinsam unsere Gesundheit durch Überarbeitung ruiniert habe. Auf dem Laptop befindet sich ein Clip mit Musik, den ich mir nicht oft anhöre aber mag, weil es eine der ersten neuen Musikstücke war, die ich seit einigen Monaten nach Beginn der Bombardierung der Ukraine hörte. Meine Freundin spielte das Lied ab als wir uns endlich in Kiew trafen, um nach Deutschland zu reisen, wo sie mir bei der Installation des Werkes half. So begann meine Reise nach Schweden.
Bild 3: "Prochoriwka" 2023. 140 x 100 cm. Gemälde, Acrylfarbe auf Leinwand.
Dies ist ein Bild eines Waldes im Dorf Prochoriwka, wo ich ein Sommerhaus habe. Dort kam ich mit meiner Familie und meinem Hund zu Beginn eines Grossangriffs an. Wir wollten Kiew nicht verlassen, aber durch meinen Hund, der an Epilepsie, ausgelöst durch laute Geräusche, litt und aus dem Tierheim war, waren wir gezwungen, dorthin zu gehen, weil die Explosionen dort nicht so laut zu hören waren. Ich war nicht in der Lage, die Arbeit zu beenden und die Stahlrohre zu zeichnen, die die Landschaft der Ukraine durchbohrten, weil mein Hund in Schweden an einer Reihe von Unfällen starb, die durch den Angriff der Russen verursacht wurden. Ich musste jeweils in den Wald gehen, um Holz zum Heizen zu besorgen, und in den ersten Tagen suchte ich nach Löchern, in denen ich mich vor Raketen oder den Russen verstecken konnte, da wir keinen Luftschutzkeller hatten. Zu dieser Zeit war ich rund um die Uhr in Kontakt mit der Aussenwelt und las ununterbrochen die Nachrichten und sammelte Informationen darüber, wie ich helfen konnte und wer Hilfe brauchte. Mein Freund und ich arbeiteten mit verschiedenen Hilfsorganisationen zusammen und koordinierten auch die Evakuierung von Menschen aus einer bestimmten Region in der Ukraine. Ich musste immer in Kontakt bleiben, denn die Menschen, die Hilfe brauchten, hatten während der Besetzung kein Handy und keine Internetverbindung, da diese (…) blockiert war. Um anzurufen, mussten sie ihr Leben riskieren, manchmal unter Beschuss, liefen sie zu einem Feld, um das Signal der Mobilfunkbetreiber zu empfangen. Ich erinnere mich an die Pause, in der ich mich hinsetzen konnte, um alle Nachrichten meiner Freunde und Freundinnen zu beantworten, mit denen wir zusammenarbeiteten und die in verschiedenen Orten der Ukraine wohnten. Und manchmal, wenn ich in den Himmel schaute, sah ich Raketen auf Kiew zufliegen.
Bild 4: "Fengersfors" 2023. 100 x 140 cm. Gemälde, Acrylfarbe auf Leinwand.
Der erste Tag, an dem ich mich unter vielen Menschen in Schweden wiederfand, kurz nach meiner Ankunft in der Kunstresidenz. Der erste und letzte Tag, an dem ich das kristallklare Wasser des Sees Knarrbysjön berührte. Das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, weil die Menschen hinter mir, die Mittsommer feierten, sich freuten und Spass hatten und nicht mit meiner düsteren Realität harmonierten, ebenso wenig wie die idealistische Landschaft vor meinen Augen.
Bild 5: "Tunnelblick" 2023. 100 x 140 cm. Gemälde, Acrylfarbe auf Leinwand.
Das Werk drückt aus, dass ich nicht ganz aufrichtig sein und es mir nicht erlauben kann, in meine Arbeit oder in eine Person einzutauchen, weil am Rande Explosionen flackern. Ich bin bereits an Alarme und Raketen gewöhnt und kann gleichzeitig meiner Arbeit nachgehen, aber ich kann mich trotzdem nicht völlig in etwas anderes vertiefen als in die Analyse des Krieges und die Informationen, die in einem endlosen Strom fliessen und sich schnell ändern. Für mich verlieren Partner und Partnerinnen in diesem Moment ihre Persönlichkeit und werden amorph. Im Hintergrund habe ich eine Spur dargestellt, die durch die chemischen Waffen vorausgesetzt ist. Sie sieht aus wie ein schönes Glühen, das zu Verbrennungen im Körper führt, weil es sich dabei um Phosphor handelt. Und eine Erlösung ist sehr unwahrscheinlich.
Entdecken Sie mehr von Oleksandras Kunst hier. Lesen Sie über weitere persönliche Erfahrungen von Künstlerinnen aus der Ukraine im Blog "White Canvas #6".