Der Regenbogen #2 – Regenbogen in Darstellungen des Mittelalters

17.03.2023
Yvonne Roos

In monatlich erscheinenden Blogs, das sind wir Autorinnen der Reichhaltigkeit dieses Themas schuldig, sind wir dem eigentlich flüchtigen Phänomen des Regenbogens und seiner Farben, seiner symbolischen, kulturellen, kunstbezogenen wie mythologischen Verwendung über Jahrhunderte hinweg auf der Spur – angeregt durch das bunte art24-Logo, das wie zerfliessende Aquarellfarben auf Papier stellvertretend für das reiche Spektrum einer Kunstwelt aus unterschiedlichsten Formationen, Ausprägungen und natürlichen Farben steht. Im zweiten Teil der Serie verfolgen wir die Spuren des Regenbogens in der Kunst des Mittelalters.

Von der Ur- und Frühgeschichte zur christlichen Ikonographie

Im ersten Blog haben wir erfahren, welches Verhältnis zwischen der Naturerscheinung Regenbogen und dem Menschen in den frühen Kulturen, Religionen und Mythologien herrschte. Das Phänomen wurde mit Bedeutungen, Vorstellungen und Erwartungen aufgeladen und zum Zwecke des Menschen kultiviert. Der Mensch suchte stets nach etwas Praktischem in der Natur, etwas, das über die reine Existenz hinausgeht, das ideell verwertbar und nützlich ist und etwas Höheres transportiert. Dies, weil Naturphänomene wie der Regenbogen noch nicht erklärbar waren und damit auch das Wesen der Natur, der Dingwelt für den Menschen ein Rätsel war. Im zweiten Blog wenden wir uns von einer globalen Perspektive der Ur- und Frühgeschichte hin zu einer europäischeren Sicht. Nämlich mittelalterlichen Regenbogen-Darstellungen und die Bedeutungen, die diese in einer christlich geprägten Gesellschaft hatten.

Kontrolle durch das Göttliche

Die Natur gab dem Menschen Sicherheit in seiner Existenz, etwa durch Nahrung. Doch sie konnte zugleich brutal und zerstörerisch sein. Angst und Dankbarkeit liegen also eng beieinander. Indem Naturerscheinungen als etwas Göttliches verstanden wurden, ergaben diese unberechenbaren Diskrepanzen und Undurchsichtigkeiten der Natur einen Sinn. Diese Begründungen liessen eine ideelle Interpretation entstehen, die in der jüdisch-christlichen Religion der „Verständigungsweg“ zwischen Natur und Mensch einer „aussernatürliche[n] göttliche[n] Instanz“ wich (WKV, S. 24). Das ephemere Sichtbare und die Form als Halbkreis verliehen dem Regenbogen etwas Verbindendes. Durch das seltene und plötzliche Erscheinen am Himmel, wie auch die kurze Verweildauer, hatte er nach wie vor einen faszinierenden und unfassbaren Effekt zugleich. Aus diesen Gründen war er für den religiösen Menschen ein Wunder. Ihn aufzuspüren, zu betreten und zu berühren war und ist unmöglich, weshalb wohl der Glaube und der Wunsch zugleich entstanden, wer ihn erreicht, erhalte Zugang zu etwas Wunderbarem, würde in den Himmel aufgesogen und in eine andere Sphäre transzendieren. Diese Aufladung der wirkmächtigen Natur mit einer göttlichen Bedeutung, liess Naturphänomene zu Symbolen werden. Somit wurde der Regenbogen in der christlichen Ikonographie zum Hoffnungsträger, als Brücke zwischen Mensch und Gott, hin zu einer Einheit. Wie im Regenbogen-Blog #1 erwähnt, gibt es ein frühes literarisches Ereignis im Buch Genesis, Kapitel 9, in dem der Regenbogen eine wichtige Rolle bekommt. Und zwar die Geschichte von Noah und der Arche, die aus dem Gilgamesch-Epos entlehnt wurde. War der Regenbogen also Zeichen einer Wunschvorstellung, das unbekannte Überirdische zu erreichen und Gott näher zu kommen? 

Der Regenbogen in der Genesis

Noah und seine Familie sowie je ein Paar jedes anderen Lebewesens überleben im Schutze der Arche die grosse Sintflut, die über die Welt durch Gottes Wort hereinbrach. 40 Tage und 40 Nächte sollte es laut Gottes Strafgericht Wasser vom Himmel schütten. Wort und sein Zeichen sind dabei eng miteinander verknüpft. Denn am Ende der Sintflut erscheint der Belegschaft am Himmel ein Regenbogen als Zeichen des Bundes: Mit diesem Zeichen verspricht Gott, nie wieder alles Leben auf der Erde mit einer Flut zu zerstören. Somit wurde im Christentum der Friedensgedanke auf den Regenbogen übertragen. Doch warum zerstörte Gott die Menschheit und alles, was sie umgab? Und weshalb genossen Noah und seine Familie seinen Schutz?

Für Gott waren die Menschen, die er selbst erschaffen hatte, verdorben. Denn sie waren gewalttätig und beuteten einander aus, wie auch die Erde. Gott bereute sein Schöpfungswerk und kam zum Schluss, dass die Menschheit böse sei. Er bestrafte sie, indem er sie wieder zerstörte und von vorne begann. Die Tiere sollen dabei, wie auch Noah und seine Familie, am Leben bleiben. Denn Noah war der Einzige, der nach Gottes Vorstellung lebte. Nach der Sintflut sollen sie sich wieder vermehren. Nach 150 Tagen begann der Wasserspiegel zu sinken und die Arche strandete am Berg Ararat. Nachdem die Taube endlich mit einem Olivenzweig zurückkam, als Zeichen dafür, dass sie die Arche verlassen konnten, brachten sie Gott ein Opfer zum Dank. Daraufhin liess er den Regenbogen erscheinen, als Zeichen des Bundes zwischen ihm und den Menschen. Gott sprach vor der Sintflut: «Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.» (1. Moses, 8,21). Dies bedeutet, dass er die Menschheit nun machen lässt, weil sie sich nicht ändern lässt. Die Sintflut ist somit ein Vorbote des endzeitlichen Weltuntergangs, die in der Offenbarung des Johannes angekündigt wird und in der Bibel der Westkirche Einlass fand. Darin wird eine neue Welt angekündigt. Diese Welt wird ganz anders sein, ohne das Böse, ohne Himmel und Erde. Doch bis dahin zögert Gott das Ende der Menschheit noch hinaus, um Geduld zu zeigen, dass alle die Chance zur Busse haben. Die Bibel ist also ein Buch der Hoffnung, dass der Mensch gut sein kann. Dies versinnbildlicht der Regenbogen. 

Die Ikonographie des Regenbogens

Gott sprach: «Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Bundeszeichen sein zwischen mir und der Erde.» (Gen. 9,13). Als früheste Darstellung dieses Bundes gilt eine Miniatur der «Wiener Genesis» (Cod. Theol. graec. 31), eine griechische Handschrift, die in der Mitte des 6. Jahrhunderts entstand und möglicherweise jüdischer Herkunft ist. Dargestellt ist Noah mit seinen drei Söhnen Sem, Ham und Japhethi. Ihre Köpfe sind nach oben gegen den Himmel gerichtet. Denn dort erscheint ein dreifarbiger Regenbogen-Halbkreis, der die Gruppe umfasst. Aus der Wolke in der Mitte des Bogens durchstösst die Hand Gottes den Bogen, den Segensgestus ausführend. Sie empfangen den Bund Gottes. Aufgrund des Ikonoklasmus ist das Überleben dieser illuminierten Handschrift besonders bemerkenswert. 

Bild 1

Ein Beispiel für die byzantinisch beeinflusste Kunst im Westen ist das Evangeliar Ottos III. aus München. Hier sitzt beispielsweise der Evangelist Lukas auf einem Regenbogen, während seine Füsse auf einem weiteren Regenbogen ruhen (998-1001 n. Chr.). Damit wird auf das Alte Testament, das mit dem Neuen Testament eine Einheit bildet und zugleich auf die drohende Apokalypse hingewiesen. In den Arche-Noah-Darstellungen wurde etwas später ein weiteres Element angefügt. Das Moment, wo Noah, seine Familie und alle Tiere die Arche verlassen. Diese Szene ist beispielsweise in einem Mosaik der Cappella Palatina in Palermo (ca. 1160/70) oder im Bilderzyklus des Markusdom in Venedig (12. Jh.) abgebildet.

Bild 2

Kurze Zeit später findet sich im Dom von Monreale ein neues Bildmotiv. Noah, seine Söhne, seine Frau und die Frauen seiner Söhne, welche die Arche verlassen haben und Gott ein Brandopfer darbringen (ca. 1185/90). Hier verbindet der Regenbogen die Gruppe und den Opferaltar. 

Bild 3

Viel später wurde der Regenbogen dann gänzlich weggelassen, so dass die Darstellung des göttlichen Bundes nun von der Szene des Dankopfers dominiert wurde. So etwa im Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle von Michelangelo (1508-1512). Das Wissen um den Zusammenhang und die Verbindung dieser Geschehnisse war allerdings nicht verschwunden. Denn der Regenbogen sollte seinen Weg später wieder in die Malerei zurückfinden. Als Heilszeichen stand er aber fortan für das «Gott mit uns». Das Symbol und diese Bedeutung konnten deshalb auch auf eine Palette von anderen Themen übertragen werden. Doch dazu erfährst Du mehr in den folgenden Blogs. 

Neben den Darstellungen rund um Noah, wurde der Regenbogen bereits im Mittelalter auch in Weltgerichtsdarstellungen und dessen ursprünglicherem Motiv von Christus in der Glorie, der sogenannten Maiestas Domini, abgebildet. Dieses Motiv des Christus, auf seinem Bogenthron sitzend, ist byzantinischer Herkunft. Eine der frühsten Darstellungen dieser Art ist diejenige der ehemaligen Klosterkirche Hosios David in Thessaloniki aus dem 5. Jahrhundert. 

Bild 4

Die Bibel ist auch hierfür Quelle der Bildthematik, etwa die Gottesvision Ezechiels im Alten Testament sowie die Offenbarung Johannes. Hier zwei Auszüge aus den Visionen:

«Gleichwie der Regenbogen steht in den Wolken, wenn es geregnet hat, also glänzte es um und um. Dies war das Ansehen der Herrlichkeit des Herrn. Und da ich’s gesehen hatte, fiel ich auf mein Angesicht und hörte einen reden.» (Ezechiel 1,28)

«Und der dasass, war gleich anzusehen wie der Stein Jaspis und Sarder; und ein Regenbogen war um den Stuhl, gleich anzusehen wie ein Smaragd.» (Offenbarung Johannes, 4,3)

Der Regenbogen gilt hier als ein Zeichen der Herrlichkeit Gottes/Christus und entspricht somit der Bedeutung der Glorie/Mandorla selbst, die oft ebenfalls mehrfarbig erscheint. So scheint zwischen diesen Elementen eine Verbindung zu bestehen. Die Farben, Form und Beschaffenheit des Regenbogens spiegeln diese Herrlichkeit und Vollkommenheit Gottes, wodurch die Elemente aber auch separat erscheinen können. So muss der Regenbogen, auf dem etwa Christus thront, nicht zwingend irisierende Farben besitzen oder die «illusionierte Materialität des wirklichen Regenbogens» (WKV, S. 72). Zudem konnten diese Elemente auch auf andere Objekte und Wesen übertragen werden, etwa Engelsflügel als «Abzeichen göttlicher Herkunft» (WKV, S. 72). Im «Westen» wurde das Motiv ab dem 9. Jahrhundert abgebildet. 

Bild 5

Im 13. und 14. Jahrhundert wird die Maiestas Domini durch das Motiv des Weltenrichters ersetzt. Der thronende Christus auf dem Regenbogen in der Mandorla wurde darin als zentrales Element integriert. Die Sintflut diente somit als Präfiguration, eine Vorausdeutung des kommenden, finalen Weltgerichts, das meist mit dem Motiv des Christus als Pantokrator dargestellt wird, weshalb die Mandorla später nicht mehr zwingend nötig war. Beim Weltengericht begegnen die sündigen Menschen nun nicht mehr der zerstörerischen Wut des Wassers, sondern dem Feuer der Hölle. Obschon die beiden repräsentativen, symbolischen Farben der Elemente, das Blau des Wassers und das Rot des Feuers sich beim optisch realen Regenbogen nicht gegenüberliegen, wurde dies in der damaligen Literatur nicht beachtet, sondern ignorierte den Fakt, dass dieser unten Violett ist. 

Repräsentation des Göttlichen

Der Regenbogen war also nicht nur Zeichen des Bundes, sondern wurde auch als Zeichen des himmlischen Körper Jesus auf Erden verstanden (Nicole Omresme, ca. 1325-82). Damit wird auf das für den Menschen Unbegreifliche des Göttlichen hingewiesen. Er deutet als Reflexion des göttlichen Lichtes das Göttliche bloss an und erscheint entsprechend in göttlichen Visionen. So meinte schon Isidor von Seville (ca. 560-636), die Form des Halbkreises des Regenbogens leite sich von der Helligkeit der runden Sonne ab, das Sinnbild Gottes. Wie sich diese Motive im Spätmittelalter und dem Übergang zur Frühen Neuzeit weiterentwickelte, erfährst Du nächsten Monat! 

 

 

Glossar:

Ikonographie: Eine wissenschaftliche Methode der Kunstgeschichte, durch die Motive in Kunstwerken bestimmt und gedeutet werden können. 

Ephemer: Aus dem Altgriechischen für «nur ein Tag dauernd» und bezeichnet damit etwas, das nur kurze Zeit bestehet, etwas das flüchtig, rasch vorübergeht.

Präfiguration: In der Auslegungstradition der Bibel bedeutet Präfiguration (auch Typologie) die Inbezugsetzung/Referenz eine Person oder eine Geschichte aus dem Alten Testament (Typos) mit einer Person oder Geschichte aus dem Neuen Testament (Antitypos). Die vorausgehende Geschichte deutet damit die folgende Geschichte an und stellt so eine Tradition her, welche durch diesen historischen Bezug Legitimation und Kontinuität herstellt. 

Pantokrator: Aus dem Griechischen und bedeutet «Weltenherrscher» oder «Allherrscher». Der Name steht ca. ab dem 4. Jahrhundert als «Synonym» für Jesus Christus. Davor wurde der Begriff für Gott Vater verwendet. Entsprechend gibt es in der Kunstgeschichte eine typologische Darstellung von Christus als Pantokrator, wobei er als Ikone dargestellt wird. 

Bildnachweis:

Bild 1: Gottes Bund mit Noah, Cod. Theol. graec. 31 = sog. Wiener Genesis, fol. 3r, 6. Jh. n. Chr., Österreichische Nationalbibliothek Wien. Foto: ÖNB Digital.

Bild 2: Noah verlässt die Arche, Bilderzyklus aus Mosaik in der Cappella Palatini, Palermo, ca. 1160/70. Foto: Codex, CC BY SA 4.0.

Bild 3: Noah und seine Familie beim Darbringen des Brandopfers, Mosaik, Dom von Monreale, ca. 1185/90. Foto: Rabel, CC BY SA 4.0.

Bild 4: Foto: Maiestas Domini, Mosaik in der ehemaligen Klosterkirche Hosios David, Thessaloniki, 5. Jahrhundert. Foto: The Byzantine Legacy, CC BY SA 4.0.

Bild 5: Foto: Apokalyptische Maiestas, Krypta von St. Magnus, Anagani Kathedrale, ca. 1255. Foto: Anonym, https://www.gliscritti.it/arte_fede/anagni/apoc_anagn.htm, Wikicommons.

Titelbild: Gottes Bund mit Noah, Cod. Theol. graec. 31 = sog. Wiener Genesis, fol. 3r, 6. Jh. n. Chr., Österreichische Nationalbibliothek Wien. Foto: ÖNB Digital.

Weiterführende Literatur:

Lee, Raymond L. und Fraser, Alistair B. (2001). The Rainbow Bridge: Rainbows in Art, Myth and Science. University Park.The Pennsylvania State University Press. 2001.