Künstler:innengruppen: Ihre Geschichte und welche auf art24 zu entdecken sind
Sind Künstler:innen Einzelgänger:innen?
Neue Ausstellungen, neue Werke, neue Künstler:innen. Du schlenderst durch die Ausstellungshalle, hältst inne vor ausgewählten Werken. Bei besonders ansprechender Kunst trittst Du näher und betrachtest sie von nahem. Vielleicht wandert Dein Blick auf das kleine Ausstellungsschild neben dem Werk und liest den Bildtitel sowie den Namen des Künstlers / der Künstlerin. Dir wird auffallen, dass es häufig einzelne Namen sind.
«Könnte ein Werk nicht auch von mehreren Künstler:innen stammen?» fragst Du Dich.
Die Antwort lautet: ja! Denke nur an die grössten Künstler und Künstlerinnen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, wie etwa Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat, die in den 1980er Jahren zahlreiche Gemälde gemeinsam in New York erschufen. Abwechselnd und jeder für sich, malten sie an mehreren Werken gleichzeitig und blieben dabei ihrem persönlichen Stil treu. Aus den Pop Art Symbolen Warhols und den graffitistilistischen-expressionistischen Elementen Basquiats entstanden ganz neue, einzigartige Kompositionen und stellen mit ihrem gemeinsamen Schaffen ein wunderbares Beispiel für eine kleine Künstlergruppe dar.
Und wie sieht es mit Gruppen von Künstler:innen aus, die zwar kein gemeinsames Werk schaffen, aber in ihrer gemeinsamen Kreation zusammen einen eigenen künstlerischen Stil verfolgen?
Eine Gruppe, die dieses Narrativ im deutschsprachigen Raum verfolgte, war die «Brücke», die von 1905 bis 1913 bestand (Bild 1). Gemeinsam entwickelte das Kollektiv aus Kunstschaffenden einen eigenen expressionistischen Stil und beeinflusste sich gegenseitig im persönlichen Kreationsprozess.
Bild 1: Ernst Ludwig Kirchner, Eine Künstlergruppe, 1926-27. Foto: ©www.kunst-zeiten.de/Kuenstlergruppen.
Noch abstrakter wird es jedoch bei der Betrachtung von Vereinigungen von mehreren Künstlern und Künstler:innen zu Verbänden oder Kreisen. Anstatt einen gemeinsamen Stil zu verfolgen, werden durch Kollektivausstellungen und Mitgliedschaften vielmehr Kontakte und Beziehungen zu anderen Künstler:innen gefördert.
Das Ziel von Künstler:innen-Vereinigungen ist zum einen die gegenseitige künstlerische Förderung, Motivation und Inspirationals auch das gemeinsame Kreieren von etwas Neuem, «Avantgardistischem». Vertreten sind Künstler:innen aus ganz unterschiedlichen Bereichen: ob aus der Bildhauerei, Malerei oder Grafik. Hier vereinen sie sich, stellen kollektiv aus, schaffen gemeinsam neue Projekte und führen konstruktive Diskussionen.
Historischer Hintergrund
Kehren wir zum Anfang der Geschichte zurück: Die Kunst stand über Jahrhunderte unter Obhut der Kirche und herrschenden Monarchie. Zu erwarten waren Auftragswerke, die Selbstbilder der Kirche oder des Monarchen / der Monarchin darstellten und dem Geschmack und den Erwartungen des Volkes entsprechen sollten. Zwar gab es in der Zeit des Altertums in Rom sogenannte collegia (Werkstattverbände, in welchen sich Handwerker, meist religiös motiviert, zusammenschlossen, um im Bündnis ihre Interessen nach aussen zu vertreten. In der Renaissance des 15. und 16. Jahrhunderts erreichte die politische Auftragskunst ihren Höhepunkt. Dennoch waren die Künstler:innen auch danach nicht frei, sondern weiterhin an politische Auftragskunst gebunden.
Bis zur Französischen Revolution 1789 bestimmte die Politik die Kunstrichtung. Die staatlich gegründeten Akademien, welche die Künstler:innen lehrten und denen die Kunstschaffenden loyal blieben, gaben vor, was «gute» Kunst war. Es verwundert daher nicht, dass Künstler:innen im Laufe der Zeit das Bedürfnis entwickelten, sich gegen den Staat und die Vorschriften in der Kunst aufzulehnen. Im 19 und 20. Jahrhundert entstanden erste Vereinigungen, die sich dem akademischen Kunstverständnis widersetzten. Sie verfolgten ihre eigene Kunstauffassung und Malweise. Zu den ersten dieser Bündnisse von Kunstschaffenden gehörten die Nazarener (Lukasbund) sowie die Präraffaeliten und Malerkolonien als auch die französische Schule von Barbizon.
Die Künstler:innen, deren Kunst von den Akademien abgelehnt wurden, protestierten, indem sie erstmals ihre abgelehnte Kunst gemeinschaftlich in der Öffentlichkeit ausstellten. So waren es die Impressionisten, die 1850 im Salon des Refusés als Protestaktion ihre unbeachtete Kunst präsentierten. Es bildeten sich weitere Gruppierungen, die sich von der damalig als «gut» empfundenen Kunstrichtung abwendeten: die sogenannten Secessionen. Die erste Secession entwickelte sich 1892 in München, 1897 in Wien und 1898 in Berlin. Die zum Jugendstil hingewandte Bewegung führte in Deutschland zu neuen Reformen, zu einer neuen Kulturpolitik und wurde Wegbereiter für die expressionistische Stilrichtung.
Fortan wurden neue Künstler- und Künstlerinnengruppen gegründet, die sich stilistisch ähnelten. Am 7. Juni 1905 entstand die anfangs erwähnte Brücke, die von den Künstlern Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, K. Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl in Dresden ins Leben gerufen wurde, und zu deren Mitgliedern u. a. Cuno Amiet und Max Pechstein zählten. Sie schufen ihren eigenen Gruppenstil und wandten sich vom Impressionismus ab. Wenige Jahre später vereinten sich Franz Marc und Wassily Kandinsky 1911 im Der Blaue Reiter mit Gleichgesinnten und läuteten gleichzeitig die Moderne ein. Die auf art24 vertretene Elisabeth Iwanowna Epstein fungierte als Vermittlerin zwischen den Pariser Künstler:innen und den Gründern des Blauen Reiters. Ihre Rolle kann im Blog «Künstler:innen beeinflussen Künstler:innen Teil 3» nachverfolgt werden. Einen genaueren Blick auf das Leben der Künstlerin bietet zudem der Film «Vor dem Vergessen gerettet: Elisabeth Iwanowna Epstein». Diese Gruppen erarbeiteten keinen gemeinsamen Stil, sondern sahen sich vielmehr als Ausstellungsgemeinschaften, die eine Erneuerung der Kunst zu bewegen und ihre eigenen kunsthistorischen Vorstellungen nach aussen zu präsentieren versuchten. 1924 schloss sich in Paris eine Gruppe von Künstler:innen dem Schriftsteller André Breton und seinem in dem Jahr veröffentlichten «Manifest des Surrealismus» an. Zu der sogenannten «Breton-Gruppe» gehörten Max Ernst, Jean Arp, Salvador Dalí, René Magritte, Antonin Artaud, Marcel Duchamp, Paul Klee, Joan Mirò, Pablo Picasso und weitere.
Die Schweiz entwickelte sich parallel zu den anderen europäischen Länder mit: In der Schweiz gründete sich 1787 die Zürcher Künstlergesellschaft, die erste offizielle Künstler:innengemeinschaft, welche sich von der öffentlichen Kunstschule abgrenzen wollte. Im 19. Jahrhundert folgte die Basler Künstlergesellschaft, die Genfer Künstlerkolonie Cercle des artistes sowie die Gesellschaft Schweizerischer Maler und Bildhauer (und Architekten), heute unter dem Namen visarte bekannt. Um 1900 kommen Künstler:innen aus verschiedenen Nationen nach Ascona und formen auf dem Monte Verità, dem Berg der Wahrheit, eine Künstler:innenkolonie. Maler:innen, Schriftsteller:innen, Dichter:innen, Politiker:innen, Emigrant:innen und Aussenseiter:innen der Gesellschaft kamen dort zusammen und lebten unabhängig in ihrer eigenen gegründeten Lebensreform. Otto Gross, Hermann Hesse, Hans Arp, Hans Richter, Marianne von Werefkin, Alexej von Jawlensky, Ignaz Epper und viele mehr lockte es ins Tessin und auf diesen besonderen Berg. Auch der belgische König Leopold II, der Komponist Richard Strauss, Konrad Adenauer und weitere sollen Besucher:innen des Monte Veritàs gewesen sein. Im Laufe des 20. Jahrhunderts bildeten sich weitere Künstler:innengemeinschaften wie die Lausanner Société romande des femmes peintres et sculpteurs, der Zürcher Moderner Bund sowie die Allianz, die Basler Künstler:innengemeinschaften Rot-Blau I und II, Gruppe 33 und Kreis 48.
Künstler:innengruppen auf art24
Kreis 48 bestand aus einer Gruppe von Basler Künstler:innen, die im Jahr 1950, initiiert durch den Künstler Max Kämpf, einen Verein gründeten. Zu den 16 Mitgliedern der «48-er» gehörte auch der Maler Hans Weidmann (1918 – 1997). Weitere Mitglieder waren Peter Moillet, Johann Anton Rebholz und die einzige Frau im Kreis 48: Hannah Salathé. Ein zentrales Thema der Mitglieder stellte die Figuration dar.
Bild 2: Hans Weidmann, Shiva im Feuertanz, Acryl.
Im Jahr 1948 stellten sie gemeinschaftlich in der Galerie Beyeler und 1950 in der Basler Kunsthalle aus. Obgleich sich die Gruppe 1976 offiziell auflöste, stellten sie zehn Jahre später das letzte Mal aus. In den 2000er Jahren folgten Gedenkausstellungen und Retrospektiven in Moutier und Riehen, Basel.
Eine weitere Schweizer Künstlergruppe, die einige art24 Künstler:innen des 20. Jahrhunderts aufführt, ist die Künstlergruppe Winterthur. Sie wurde am 5. April 1916 unter anderem von Fritz Bernhard gegründet und zählt heute etwa 80 Künstler:innen zu ihren Mitgliedern. Seit 2017 wird die Winterthurer Gruppe als Kollektiv geleitet. Der vertretene Künstler Henri Schmid fungierte von 1970 bis 1980 als Präsident der Gruppe und war zudem Vorstandsmitglied in der Gesellschaft Schweizerischer Maler und Bildhauer in Zürich (GSMBA). 1973 erhielt er eine Anerkennung der Stadt und den Kunstpreis der Karl-Heinrich-Ernst-Stiftung.
Bild 3: Henri Schmid, Hafen von Alicante (200/200), Lithographie.
Auch Rudolf Zender trat der Künstlergruppe Winterthur im Jahr 1932 bei und trat nur zwei Jahre später zum ersten Mal im Rahmen der Gruppierung auf.
Bild 4: Rudolf Zender, Berglandschaft (159/200), Lithographie.
Eine besondere Gemeinschaft stellt die Vereinigung der mund- und fussmalenden Künstler (VDMFK) dar. Sie fördert körperliche behinderte oder erkrankte Künstler:innen, die statt mit ihren Händen, mit ihren Mündern oder Füssen malen. Der Künstler Prof. Arnulf Erich Stegmann, der selbst mit dem Mund malte, spielte eine bedeutende Rolle bei der Gründung der Vereinigung im Jahr 1957. Stegman war Initiator und wurde neben den Vorstandsmitgliedern Corry F. Riet, Charles Pasche Schweiz und Dr. Herbert Batliner zum Präsidenten der VDMFK. Insgesamt 18 Künstler:innen waren damals zur Gründungsstunde vertreten, heute zählt der Verband bis zu 750 Kunstschaffende aus 76 Ländern.
Bild 5: Arnulf Erich Stegmann, Viale a Montmartre, Tusche und Aquarell.
Der italienische Künstler Miro Wladi förderte den VDMFK-Verein. Er wollte die Künstler:innen in Italien bekannt machen und organisierte sowie kurierte ab 1961 regelmässig Ausstellungen der italienischen Mund- und Fussmaler:innen. Durch sein Engagement, auch in der Finanzierung der Vernissagen, erlangte die Vereinigung grosse Aufmerksamkeit in den Medien, die zur Förderung der Mund- und Fussmaler:innen führte. Dank ihm wurde 1966 eine VDMFK-Galerie in Florenz errichtet und eine permanente Ausstellung in Mailand möglich. 1969 wurde Miro Wladi zum ersten Ehrenmitglied des Vereins ernannt.
Bild 6: Miro Wladi,«Chiesa di Santo Spirito» aus der Serie: «La Firenze dei Medici» (16/120), Lithographie.
Eine weitere Besonderheit von art24 stellt die Präsentation vielzähliger tschechischer und slowakischer Künstler:innen dar. Die Mehrheit dieser sind bzw. waren im Verband der bildenden Künstler von Mánes (S.V.U. Mánes) vertreten. Der im Jahr 1887 nach dem Maler Josef Mánes benannte und gegründete Verband ist noch heute aktiv. Folgende art24-Künstler waren wichtige und bedeutende Mitglieder des Verbandes: Stanislav Ježek, Vilém Nowak, der auch in der Prager und Münchener Neuen Secession vertreten war, Jaroslav Grus, František Jiroudek, František Tichý, Paderlík Arnošt, Ota Janeček, Josef Jíra (zudem Mitglied der Künstlergruppe «Gruppe M57») und Orest Dubay Senior. Dubay war ein bedeutender Grafiker des 20. Jahrhunderts und seit 1948 Mitglied in der «Vereinigung der Künstler und der Freunde der Grafik» sowie im «Club der Grafiker».
Ein sehr wichtiger Verband der tschechischen Grafiker:innen stellte die Gruppe SČUG HOLLAR dar. Sie wurde 1917 in Prag u. a. von T. F. Šimon, Karel Vik und V. H. Brunner gegründet. Der Name des Verbandes geht auf den bekannten Graveur Václav Hollar zurück. Die Grafiker:innen-Gemeinschaft erzielte allgemein die technische Vervollkommnung des grafischen Werks und der Fortführung der Tradition des 19. Jahrhunderts. Die erste Mitgliederausstellung erfolgte ein Jahr nach der Gründung. Ab 1923 wurden die Werkverzeichnisse der Künstler:innen, die Sammlung der Galerie HOLLAR und grafische Blätter veröffentlicht. Ab 1956 förderte sie experimentelle Richtungen und die Repräsentation der tschechischen Grafik im Ausland.
Die HOLLAR-Gesellschaft zählt heute insgesamt 161 Mitglieder, bestehend aus überwiegenden Grafiker:innen sowie wenigen Kunsthistoriker:innen und Künstler:innen. Auf art24 zählen einige tschechische Künstler:innen der Gegenwart zu den Mitgliedern des Verbandes: Emílie Tomanová, Jaroslava Severová, Kamil Lothàk, Karel Vysušil, Jan Smetana, Karel Demel,